Kapitel 54 ~ Einkaufslisten

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»Aber Mom! Das ist das einzige, was mir von der Außenwelt bleibt!«, rief Hazel und lief schnellen Schrittes in die Wohnküche, wo wir weiter das Schauspiel mit ansehen durfte.

Mila folgte ihr. Träumte ich oder spielte meine beste Freundin gerade die Hexe aus dem Märchen auf der Bühne?

Vor wenigen Wochen lag sie weinend auf dem Schulkloboden, während ich versuchte, ihre starke Schulter zu sein. Da hatte sie erst erfahren, dass sie keine der Hauptrollen erhalten würde. Es war, als wurde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Und jetzt stand sie doch da oben, wo sie hingehörte.

Ich hatte zwar bemerkt, dass sie glücklicher und ausgeglichener die letzten Tage war, doch dachte ich, es lag an Kayden. Damit hatte ich mich wohl geirrt. Ob er davon wusste?

Mir hatte sie nichts erzählt ...

»Von der Außenwelt wird dir gar nichts mehr bleiben, wenn du nicht mehr lebst!« Aufgebracht fuchtelte Mila mit ihren Armen herum.

Ich schmulte zu Jona herüber. Wusste er davon? Jedoch schien er genauso überrascht wie ich.

Für einen kurzen Augenblick nahm er seine Brille ab, putzte sie an seinem T-Shirt und setzte sie dann wieder auf. »Ist das Mila?«, flüsterte er gerade so laut genug, dass nur ich ihn verstehen konnte.

Ich brachte nichts weiter als ein Nicken zustande. Er sah also dasselbe wie ich.

Es war kein Traum?

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass dein Immunsystem nicht so stark ist wie das normaler Menschen. Du kannst nicht einfach so dieselbe Luft atmen wie sie. Da draußen lauern überall Gefahren auf dich!«

Sie spielte es so gut, dass sogar ich Schuldgefühle bekam und mir vorkam, als hätte ich mich eben aus dem Fenster gelehnt. Dabei war ich nicht einmal in ihrer Nähe. Die Angst, ihre Tochter zu verlieren, spielte sie unbeschreiblich gut. Sie erinnerte mich daran, wie Kate einst vor mir stand. Auch sie hatte damals nur Angst um mich gehabt.

Mein Blick wanderte über die Köpfe hinweg, die zwei Reihen vor mir hinter den Sitzen hervorragten. An einem blieb ich hängen, denn die kleine Palme würde ich überall erkennen. Kate blieb dieser Frisur schon so lange treu, wie ich bei ihr war. Ihr Inventar an Haarklammern war beeindruckend. Nichts kaufte sie lieber als diese.

»Kind, verstehe mich doch. Ich will doch nur das Beste für dich.«

Das wollte auch Kate immer nur für mich. Als ich damals entgegen der Anweisungen des Arztes wieder mit dem Tanzen begonnen hatte, war Kate außer sich vor Sorge. Nachdem sie mich erwischt hatte, verdonnerte sie mich zu Hausarrest. Sie wusste sehr gut, dass mein neues Zimmer nicht genug Platz für mein liebstes Hobby bot. Damals war ich so wütend auf sie, dass ich nicht mit ihr geredet hatte.

»Indem du mich einsperrst?!« Empört wich Viola zurück.

Seit damals hatte sie nie mehr jemanden von uns Hausarrest gegeben. Zudem war ich eins der rebellischsten Kinder. Ich fühlte mich in meiner eigenen Haut nicht wohl und das hatte ich definitiv zu sehr an ihr ausgelassen.

Ich verhielt mich wie Hazel, gespielt von Viola. Das trotzige Kind schien ihr sehr gut zu liegen, so wie sie mit dem Fuß auf den Boden stampfte und die Hände zu Fäusten ballte.

»Jetzt reichts!« Milas Stimme donnerte durch die Halle und jagte mir eine eisige Kälte über meine Haut.

Sie war mir total fremd. Der quietschende Flummi wurde gegen einen kratzigen Stein eingetauscht. Auf diese Art und Weise hatte ich ihre Stimme noch nie vernommen. Es war schon fast gruselig.

Die Gänsehaut in meinem Nacken legte sich gerade wieder. Plötzlich wurden die winzigen Härchen erneut gewaltsam auf die Beine geholfen.

Mila begann zu singen.

Strong and SelflessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt