Natürlich hatte ich aus Nancy am Samstag nichts mehr herausbekommen können. Den ganzen Tag konnte ich mir den Kopf darüber zerbrechen, warum der Abend so verlaufen war, wie er verlaufen war. Leider wusste ich nur zu gut, dass nicht ich allein der Auslöser für ihr Verhalten war. Es musste etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun haben, weshalb ich auch nicht mehr weiter nach bohren wollte. Schließlich kurierte sie auch noch den halben Tag den Kater aus, den sie sich selbst eingebrockt hatte.
Unter uns war es kein Geheimnis, dass Kate nur Kinder aufgenommen hatte, die bereits einen schwierigen Teil ihres Lebens hinter sich hatten. Jeder von uns hatte einen an der Klatsche, ob es Kate, mit dem Verlust ihres Mannes war, Linus, der seiner drogenabhängigen Mutter weggenommen wurde, oder Audrina, die ihrem gewalttätigen Vater entkommen musste. Mich brauchte ich da wohl kaum zu erwähnen. Nur Nancys Geschichte war ein Geheimnis. Sie redete nicht darüber. Sie schwieg wie ein Grab, nicht einmal die Adoptionsstelle wusste etwas über ihre Vergangenheit.
Jeder von uns, außer Kate, hatte eine Zeit lang regelmäßig einen Therapeuten besucht. Sehr zum Missfallen von Kate, brach ich die Sitzungen bereits nach zwei Monaten ab. Sie riefen in mir nur seelische Schmerzen hervor, ohne die ich wesentlich besser dran war. Die letzte Sizung war der Grund, warum mich diese verdammt blauen Augen nicht mehr aus dem Sinn bekam. Sie gruben in mir nach dem tiefsten Schmerz meines Herzens. Davor hätte ich nie zu glauben gewagt, jemals solchen Schmerz empfinden zu können.
Es war gut so, wie es war. Sich nicht an seine Eltern erinnern zu können, war im Wesentlichen nicht ganz so schlimm, als sich zu erinnern und deren Tod hinterherzutrauern. Wenigstens blieben mir diese Schmerzen erspart. Es war einfacher, damit leben zu können, wenn ich nichts über sie wusste. Dennoch blieb in mir das Bewusstsein der Ungewissheit.
Sie war belastend und dennoch ließ sie mich so viel freier fühlen. So konnte ich so einigermaßen unbeschwert leben. Nicht einmal die kleinen Flashbacks sollten mich daran aufhalten, weshalb ich in der Regel auch vielen Menschen aus dem Weg ging. Jona und Mila waren die Ersten, die sie in mir zum Vorschein gebracht hatten, weshalb ich sie zuerst auch nicht so einfach an mich heranließ. Auch heute setzte ich mich dieser Gefahr jeden Tag, den ich mit ihnen verbrachte, aus. Nichtsdestotrotz, setzte ich mich ihr gerne aus.
Kate hatte ich von der nächtlichen Aktion nichts erzählt, weder von der Party und dem Alkohol, noch dass jemand Nancy etwas ins Getränk gemischt hatte. Sie würde mich noch mehr hassen, wenn ich dies getan hätte. Außerdem wollte ich ihr die Chance geben, mir vertrauen zu können, auch wenn ich das von Kate auf eine harte Probe stellte. Ich hatte das Gefühl, dass sie jemanden zum Reden brauchte, aber nicht wusste, wem sie sich anvertrauen sollte. Deswegen war es am Samstag wahrscheinlich auch so aus dem Ruder gelaufen.
Noch dazu musste ich meine Freunde belügen, wobei mich mein schlechtes Gewissen verschlang, als müsste es sich Speck für den kommenden Winter anfressen. Außer Teresa und Christian wusste niemand etwas von der Eskapade. Hoffentlich hatte ich dem Grauäugigen deutlich genug gemacht, dass ich ihn vierteilen würde, sobald er nur ein Sterbenswörtchen darüber verlor. Letztendlich hatte er mir hoch und heilig versprochen, dass niemand etwas davon erfahren würde.
Damit hatte ich wohl ein Geheimnis mit einem Jungen, den ich gar nicht kannte. Wann war das alles nur so aus dem Ruder gelaufen?
Auf unserem morgendlichen Weg in die Schule hatte meine Schwester kein einziges Wort mit mir gewechselt. Zudem wusste ich selbst nicht, was ich sagen konnte, ohne sie auf die Palme zu bringen. Es frustrierte mich.
Meine Laune war kaum zu beschreiben, so sehr saß mir das Wochenende noch immer in den Knochen. Einerseits freute ich mich Zeit mit anderen Dingen, als das Nachdenken zu verbringen, andererseits musste ich feststellen, dass dies an diesen Tag eher weniger der Fall war. Dementsprechend senkte sich meine Laune in Richtung Keller.
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Strong and Selfless
Romance𝘽𝙖𝙣𝙙 𝙄 𝙙𝙚𝙧 𝙎𝙩𝙧𝙤𝙣𝙜 𝙍𝙚𝙞𝙝𝙚 Rosa Price ist verschwunden. Ihr Vater unternimmt alles, um sie zu finden. Nach einem Jahr Suche gibt die Polizei auf und erklärt sie für tot. Währenddessen verfolgt die leidenschaftliche Hobbytänzerin Ashl...