Kapitel 57 ~ Neuanfang

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»Lyn!«, donnerte es über mich hinweg.

Um mich befand sich das reine Nichts. Nur leichte Nebelschwaden wanden sich kalt und feucht um meine nackten Knöchel. Wie das Metall von Fußfesseln hinderten sie mich daran, der Stimme auf dem Grund zu gehen.

»Hilf mir!«

Hektisch blickte ich mich um. Konnte es nicht lokalisieren, denn sie hallte von allen Seiten. Mein Herz begann zu rasen. Eilig pumpte es mein Blut durch jede Ader meines Körpers. Es mobilisierte meine Gliedmaßen, doch stolperte ich über meine eigenen Füße.

Erneut donnerte mein Name über mich hinweg, vibrierte durch meinen Körper, der mich anschrie, etwas zu tun. Ich konnte nicht ...

Es war, als würde die Schwerkraft anders als sonst funktionieren. Sie nagelte mich am Boden fest. Sorgte dafür, dass ich nicht einmal mein Gesicht heben konnte. Ich war nutzlos ...

Also warum rief die Stimme ausgerechnet nach mir?

Ich hielt es kaum aus, als sie erneut nach mir schrie. Tränen brannten hinter meinen Lidern, als ich sie zukniff. Verzweifelt versuchte ich meinen Körper zu mobilisieren, doch tat sich nichts. Ich war nicht Herr über die Lage, hatte keine Kontrolle über mich selbst. Warum passierte das hier?

Ich wollte - musste helfen.

Warum konnte ich es nicht?

Kälte kroch von meinen Füßen hinauf. Der Nebel bedeckte mich mittlerweile komplett. Mein Puls wurde spürbar langsamer, doch lag das nicht daran, dass ich mich beruhigte. Nur flach konnte ich die dünne Luft einatmen. Und ... Und ich wurde unendlich müde. Ich fühlte mich, als hätte ich seit einer Ewigkeit nicht mehr geschlafen.

Vielleicht war es erholsam.

Die Töne um mich herum verstummten. Pure Stille breitete sich aus. Es war so ... friedlich.

So könnte es immer sein. Ich genoss sie. Ich gab mich ihr völlig hin.

Plötzlich packte mich etwas an der Schulter. Rüttelte mich, bis mein Puls abermals in die Höhe schoss. Ich schlug meine Augen auf. Es war hell. Die Dunkelheit hatte sich mitsamt Nebel verzogen.

»Lyni! Hilf mir!«, quietschte es neben mir, ehe es mich erneut schüttelte.

Diese Stimme hatte nichts mit der gemein, die vorhin verzweifelt nach mir rief.

Sofort war ich in Alarmbereitschaft. Ich hievte mich auf meinen Hintern, der sich in meinem weichen Bett befand. Es dauerte einen Augenblick, ehe ich mich an die Helligkeit meines Zimmers gewöhnte, doch danach sah ich klar und deutlich, was los war.

Mit böser Mine stand Rina vor meinem Bett, die nicht mich, sondern den Übeltäter neben mir ansah. Irritiert sah ich zu Linus, der versuchte, sich hinter mich zu schieben.

»Gib mir meinen Stift zurück!«, forderte meine kleine Schwester.

»Nein!« Er schob sich noch weiter hinter mich, sodass es mir unangenehm im Rücken schmerzte.

Rina war drauf und dran, eben auf mein Bett zu klettern, als Kate in der Tür erschien und ein Machtwort aussprach.

»Ihr solltet Ashlyn in Ruhe schlafen lassen. Sie hat einen harten Tag hinter sich.« Kaum als sie es ausgesprochen hatte, dröhnte mir auch schon der Kopf. Hinzu gesellte sich die Übelkeit, die mich umständlich zurück in mein Kissen sinken ließ. Schließ ich musste ich auf den Knirps hinter mir achten.

Meine Geschwister hörten zum Glück auf unsere Adoptivmutter, senkten ihre Waffen und zogen sich zurück. Dabei schwankte meine Matratze unter Linus Gewicht. Es schwindelte mich. Ich hatte das Gefühl, auf einem Schiff festzusitzen, welches durch ein Unwetter ins Wanken geriet.

Strong and SelflessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt