Chapter 49

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Sobald ich Katherines Lippen auf meinen spürte, verblasste meine Wut und wurde von einem Haufen anderer Gefühle ersetzt. So viele, dass ich sie unmöglich alle zuordnen konnte. Instinktiv erwiderte ich ihren Kuss und drängte sie zurück an die Wand, während meine Hand sich wie von selbst in ihren Haaren vergrub. Sie fühlten sich weicher an, als ich es erwartet hätte, aber von dem Gedanken wurde ich schnell abgelenkt, als sich Katherines Hände auf meine Taille legten, um mich näher zu ziehen. Ich verstand nicht, was hier gerade passierte, aber ich wollte auch nicht darüber nachdenken. Ich wollte es viel lieber genießen, dass ich nicht mehr das Gefühl hatte, in meinen verstärkten Emotionen zu ertrinken.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich es schaffte, mich von Katherine zu lösen. Ich blieb direkt vor ihr stehen, eine Hand noch immer an der Wand hinter ihr, und blickte ihr in die Augen. Ihre Wangen waren gerötet, aber sie sah nicht so aus, als würde sie irgendetwas bereuen. "Was war das?", fragte ich leise. "War das aus Mitleid?"

"Nein", antwortete Katherine sofort und ich war gegen meinen Willen beruhigt. Ich wollte nicht so schwach wirken, als ob ich so etwas nötig hätte. Ich wollte kein Mitleid von ihr.

"Wieso hast du das dann getan? Es hätte gut sein können, dass ich dich dafür umbringe."

"Aber zum Glück hast du das ja nicht", erwiderte sie so nervtötend gelassen wie immer.

"Was hast du dir nur dabei gedacht?"

"Gar nichts, ehrlich gesagt. Ich wollte dich küssen, also habe ich es getan. Das ist alles. Keine Sorge, ich fange jetzt nicht an, dir meine unendliche Liebe zu gestehen oder so etwas..."

"Das würde ich dir eh nicht glauben", unterbrach ich sie schmunzelnd. Katherine hatte schon vielen ihre Liebe vorgespielt. Vielleicht hatte sie bei einigen sogar wirklich etwas empfunden, aber ich würde ganz sicher nicht auf diese Masche von ihr reinfallen. Ich wusste, dass sie sich selbst immer an erste Stelle stellen würde.

"...aber ich bin trotzdem froh, dass ich das getan habe", fuhr sie fort, ohne auf meinen Einwurf einzugehen. "Du kannst wirklich gut küssen. Ich bin also jederzeit bereit, das zu wiederholen, wenn du willst. Wenn du mal wieder irgendwelche angestauten Emotionen loswerden willst, oder dir auch nur einfach langweilig ist - Ich bin für alles offen."

Katherine zwinkerte mir zu, während sie an mir vorbeiging, um sich einen Bourbon einzuschenken. "Dir hat es doch auch gefallen, oder etwa nicht?", fragte sie.

"Ich fand es zumindest nicht so abstoßend, wie ich es erwartet hätte", erwiderte ich grinsend und nahm ihr das Glas weg, bevor sie daraus trinken konnte, nur um es selbst in einem Schluck zu leeren.

"Ahh, dann hattest du es dir also doch auch schon vorgestellt, wie es wohl wäre, mich zu küssen. Natürlich hast du das, wer will das nicht?"

"Du hast eine viel zu hohe Meinung von dir selbst, Kat", antwortete ich nur kopfschüttelnd, behielt mein Grinsen aber bei. Alle Gedanken an Finn und Sage waren vergessen. Mein Bruder hatte seine große Liebe gefunden, und ich konnte mich wirklich für ihn freuen. Ich würde das vielleicht auch irgendwann, oder vielleicht auch nicht. Es war egal, weil ich keine Beziehung brauchte, um vollständig zu sein. Ich hatte auch so ein gutes Leben, ich war nicht darauf angewiesen, die Liebe meines Lebens zu finden.

"Vielleicht hast du ja auch einfach nur eine viel zu geringe Meinung von mir", erwiderte sie und trat einen Schritt auf mich zu. "Sei ehrlich, dir hat dieser Kuss gefallen."

"Ein wenig vielleicht", gab ich zu. Was hätte es auch für einen Sinn, sie anzulügen? Sie konnte wirklich gut küssen, das wusste sie selbst, und das gerade war genau das gewesen, was ich gebraucht hatte, um meine Wut und meinen Ärger über die Ungerechtigkeit der Welt zu vergessen.

"Es müsste nicht bei diesem einen Kuss bleiben", flüsterte Katherine verführerisch und kam mir noch ein wenig näher, bis nur noch wenige Zentimeter uns voneinander trennten.

Bevor ich mir jedoch überlegen konnte, was ich auf diesen Vorschlag antworten könnte - wobei ich meine Antwort mit Sicherheit im Nachhinein bereut hätte - klingelte Katherines Handy und sie seufzte frustriert auf.

"Willst du nicht rangehen?", fragte ich leicht grinsend und trat demonstrativ einen Schritt zurück.

Katherine warf einen kurzen Blick auf ihr Display, lehnte dann aber zu meiner Überraschung den Anruf ab. "Nein, will ich nicht. Ich bin gerade beschäftigt."

"Wer war das denn?", fragte ich neugierig.

"Einer meiner Informanten, Troy. Er ist einer von Sages Vampiren, arbeitet eigentlich aber für mich."

"Was ist, wenn es etwas Wichtiges war?"

"Er sollte sich bei mir melden, wenn es etwas Neues von Sage gibt, wahrscheinlich wollte er mir also nur sagen, dass Finn wieder bei ihr ist. Und das weiß ich schließlich schon. Was auch immer er mir erzählen wollte, es war sicherlich nicht wichtiger als das hier. Also, wo waren wir stehen geblieben?"

Katherine trat wieder einen Schritt auf mich zu, und stöhnte dann frustriert auf, als ihr Handy uns wieder unterbrach, dieses Mal mit der Benachrichtigung, dass sie eine Nachricht erhalten hatte. "Ich sollte dieses verdammte Ding wirklich stumm schalten", fluchte sie leise und wollte gerade die Nachricht zur Seite wischen, als sie erstarrte. In wenigen Sekunden wich ihr alle Farbe aus dem Gesicht und von ihrem flirtenden Grinsen war nichts mehr zu sehen.

Sofort wurde auch ich ernst und blickte Kat besorgt an. "Was ist los?"

"Das... war eine Nachricht von Troy", sagte sie leise.

"Worum ging es? Ist irgendetwas mit Sage passiert?"

"Nein. Ja... Nein. Es geht nicht um Sage. Es... Es geht um deinen Bruder. Finn."

Katherines Stimme klang so sanft, dass ich bereits wusste, was sie sagen würde. Trotzdem redete ich mir ein, dass ich mich irren musste. Das war nicht möglich. "Was ist mit Finn?", flüsterte ich kaum hörbar.

"Es waren die Salvatores. Genau genommen Stefan, Elena und Matt. Sie... Sie haben Finn im Mystic Grill angegriffen. Sie hatten einen Weißeichenpfahl. Es tut mir leid, Malina. Finn ist tot."

Ungläubig sah ich Katherine an und versuchte, diese Worte zu verarbeiten. Finn. Mein kleiner Bruder, Finn, war tot. Endgültig. Für immer. Und ich hatte mich darüber geärgert, wie ungerecht es war, dass er seine große Liebe gefunden hatte. Dabei war ihm noch größeres Unglück widerfahren als mir. Er hatte nach 900 Jahren seine große Liebe wiedergefunden, hatte endlich wieder einen Grund, leben zu wollen, und nach nicht einmal 24 Stunden war er gestorben.

Am Rande hörte ich, wie Katherine mir sagte, dass Klaus es anscheinend vorher geschafft hatte, die Verbindung zwischen ihnen zu trennen und dass all meine anderen Geschwister noch leben würden, aber selbst das schenkte mir nur kurzfristig Erleichterung. Finn war tot. Die einzige Person, die außer mir noch Erinnerungen an Freya gehabt hatte. Die einzige Person, die mich sofort erkannt hatte, als er mich gesehen hatte. Er hatte mich immer geliebt, und ich ihn, und jetzt war er fort.

"Ich... ich muss raus", flüsterte ich und verschwand mit Vampirgeschwindigkeit, ohne eine Antwort von Katherine abzuwarten. Ich lief, und lief, direkt in den Wald, bis ich so weit von allen entfernt war, dass mich niemand mehr finden würde. Erst dann ließ ich all meine Gefühle raus und schrie. Schrie wegen der Ungerechtigkeit und wegen meines Verlustes. Schrie, weil ich meinen Bruder verloren hatte, nachdem wir es gerade erst geschafft hatten, ihm das Gute im Leben zu zeigen. Schrie, weil ich nur so wenig Zeit mit meinem Bruder verbringen durfte, obwohl wir tausend Jahre hätten haben sollen. Ich brach noch dort, alleine auf dem Waldboden zusammen und stand die ganze Nacht nicht wieder auf.

Hidden Past - The Story of Malina MikaelsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt