Chapter 41

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Ich rannte und rannte, ohne mich darum zu kümmern, wohin mich mein Weg führte. Ich wollte nur noch raus. Raus aus diesem Zimmer, wo meine Mutter so tat, als wären wir eine glückliche Familie. Raus aus dem Anwesen, in dem ab heute all meine letzten überlebenden Verwandten wohnen würden. Raus aus Mystic Falls.

Ich wurde erst langsamer, als ich merkte, wie anstrengend meine Vampirgeschwindigkeit wurde, joggte noch einige Meter weiter und blieb dann mitten auf der Straße stehen. Tief atmete ich durch und sah mich dann um. Eine verlassene Landstraße, die so spät abends von niemandem mehr benutzt wurde, und die mitten durch einen Wald führte. Es wäre wahrscheinlich gruselig gewesen, wenn nicht ich selbst eine Gefahr wäre, mit der man rechnen musste.

Nachdenklich blickte ich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich könnte zurückkehren. Könnte meinen Hass auf Mutter vergessen, um meine Geschwister besser kennenzulernen. Mit Kol hatte ich nicht einmal ein Wort gewechselt, mit Finn und Rebekah nur ein Gespräch gehabt. Ich würde sie gerne kennenlernen. Aber der Gedanke, dass ich dafür mit der Frau unter einem Dach leben musste, die mich an Dahlia verkauft hatte... Nein, damit konnte ich nicht leben. Selbst wenn es mir gelingen sollte, Mutter aus dem Weg zu gehen, wollte ich auf keinen Fall, dass sie auch nur eine Sekunde dachte, ich könnte ihr verzeihen.

Aber ich wollte auch nicht einfach noch weiter weglaufen und meiner Familie den Rücken kehren, wie ich es jahrhundertelang getan hatte. Hin- und hergerissen blickte ich zu den beiden Wegen, auf die diese Straße mich führen konnte. Vorwärts, in eine ungewisse, und vermutlich einsame Zukunft oder zurück, in ein Leben mit der Frau, die ich verabscheute? Ich seufzte über das Klischee dieser Situation, in der ich plötzlich war, und setzte mich vorerst einfach an den Straßenrand, wo ich die Beine an meine Brust zog und auf den Asphalt vor mir starrte. Ich wartete auf die Tränen, aber es kamen keine. Finn wiederzusehen, meine Mutter wiederzusehen... Das hatte so viele Gefühle in mir geweckt, aber jetzt gerade fühlte ich mich einfach nur leer. Ausgelaugt.

Mehrere Minuten saß ich so am Straßenrand, bis ich plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Ich konnte es nicht genau beschreiben, vielleicht war es ein Geräusch, das ich gehört hatte, oder ein fremder Geruch, aber ich wusste, dass im Wald vor mir jemand war, der mich ansah. War mir jemand gefolgt? Elijah vielleicht, oder Finn? Aber nein, die waren sicher mit unserer Mutter beschäftigt und außerdem hätte keiner meiner Geschwister einen Grund, sich zu verstecken.

"Komm raus", forderte ich mit klarer Stimme und blickte suchend zum Waldrand. "Komm raus, oder ich komme zu dir, und das wird nicht so schön werden."

Und tatsächlich trat kurz darauf jemand zwischen den Bäumen hervor. Die letzte Person, mit der ich hier je gerechnet hätte. "Katherine? Was zur Hölle tust du denn hier?"

Ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt, aber sie blieb mehrere Meter von mir entfernt stehen und verschränkte die Arme. "Ich war gerade in meiner kleinen Stadt unterwegs, um mir mein Abendessen zu suchen, als plötzlich ein Vampir mit unfassbarer Geschwindigkeit die Straßen entlang rannte, sogar schneller, als ich es bin. Ich war neugierig, wer es sein könnte, der so schnell aus Mystic Falls fort will, also bin ich dir gefolgt. Woher wusstest du, dass ich da bin?"

"Du bist nicht so unauffällig, wie du es vielleicht gerne wärst", antwortete ich nur und musterte die Doppelgängerin vor mir dann aufmerksam. "Aber was tust du hier? So nah an Mystic Falls? Ich hätte gedacht, dass du irgendwo in Australien bist, so weit weg von Klaus wie nur möglich."

"Ja, das habe ich Damon schließlich auch gesagt. Und in allen möglichen Bars verkündet. Lautstark. Falls Klaus wieder beschließen sollte, mich zu suchen, wäre hier der letzte Ort, an dem er anfangen würde."

Bei dieser Logik musste ich leise lachen. "Sehr clever", meinte ich und grinste sie leicht an. "Ein Problem wird das nur, wenn man dabei anfängt, irgendwelche Vampire zu verfolgen und sich von ihnen auch noch erwischen lässt. Und jetzt weiß ausgerechnet Klaus' Schwester, wo du bist. So hast du dir das sicher nicht vorgestellt, nicht wahr?"

Einige Sekunden musterte mich Katherine, zuckte dann aber mit den Schultern. "Was soll man machen, ich bin nun einmal neugierig und will immer über alles Bescheid wissen. Und du wirst mich nicht verraten."

"Du klingst sehr selbstbewusst", bemerkte ich. "Woher willst du das so genau wissen?"

"Weil du gerade so schnell wie nur irgendwie möglich aus Mystic Falls gerannt bist, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Ich tippe darauf, dass die kleine Bennett-Hexe es irgendwie geschafft hat, den Sarg zu öffnen und jetzt deine Mutter wieder am Leben ist. Und ich weiß, dass du sie nicht leiden kannst, daher also dein spontaner Ausflug. Und das bedeutet, dass sowohl Klaus als auch du jetzt besseres zu tun habt, als Jagd auf mich zu machen."

"Du bist erstaunlich gut informiert", meinte ich, gegen meinen Willen beeindruckt. "Wie bist du darauf gekommen, dass meine Mutter im Sarg ist?" Damon und seine Freunde hatten das nicht herausgefunden, sie wollten den Sarg einfach nur öffnen, weil sie dachten, dass darin eine Waffe gegen Klaus sei. Das hatte wohl nicht ganz funktioniert.

"Ach komm schon, das war doch recht offensichtlich. Klaus hält in diesen Särgen seine gesamte Familie gefangen. Jeder deiner Geschwister hat einen eigenen Sarg, Mikael ist tot und zu Asche verbrannt... Da bleibt eigentlich nur noch eine über, nicht wahr?"

Nachdenklich musterte ich die Doppelgängerin vor mir. Manchmal vergaß ich, wie klug Katherine eigentlich war. Sie war vermutlich der bestinformierte Vampir, sie wusste alles, was in Mystic Falls vor sich ging, ohne auch nur einen Fuß in die Stadt setzen zu müssen. Seufzend stand ich auf, als ich eine Entscheidung getroffen hatte. "Wo wohnst du?", fragte ich sie.

Einige Sekunden zögerte Katherine, merkte dann aber, dass es keinen Sinn hatte, mich anzulügen. "Eine kleine Stadt kurz vor Mystic Falls. Ich habe alle Bewohner manipuliert, dass sie niemandem erzählen, dass ich dort lebe. Hat mich zwei ganze Tage gekostet, aber das Ergebnis ist es wert."

"Wunderbar. Ich werde bei dir einziehen", verkündete ich grinsend.

Ungläubig starrte Katherine mich an. "Du wirst was?"

"Bei dir einziehen. Ich werde nicht zurück nach Mystic Falls gehen und mit meiner verräterischen Mutter unter einem Dach wohnen. Da wohne ich lieber mit einer verräterischen Doppelgängerin zusammen. Aber du hast ein ganzes Netzwerk an Informanten und Spionen, die dir von allem berichten, was in Mystic Falls vor sich geht. Ich will auch wissen, was in Mystic Falls passiert, damit ich eingreifen kann, wenn meine Mutter versuchen wird, meine Geschwister umzubringen. Und im Gegenzug dafür, dass du mich bei dir wohnen lässt und mir alle Informationen zukommen lässt, die ich verlange, verspreche ich dir, Klaus nicht zu verraten, wo du bist und dich im Notfall so gut es mir möglich ist vor ihm zu beschützen. Einverstanden?"

Zögernd ging Katherine einen Schritt auf mich zu und legte den Kopf schief, als würde sie überlegen, ob dieses Angebot von mir ernst gemeint war. Aber das war es. Ich brauchte Katherines kleines Informantennetzwerk und sie brauchte Hilfe, um vor Klaus sicher zu sein. Die Hilfe von ausgerechnet seiner Schwester konnte sie nicht abschlagen, das konnte sie sich nicht leisten. Deshalb war es wenig überraschend, als sie mich ansah und anfing zu grinsen. "Einverstanden, Mitbewohnerin."

Hidden Past - The Story of Malina MikaelsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt