Chapter 55

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Ich wusste nicht mehr ganz genau, wann ich es schaffte, meinen Blick von den Überresten meines Bruders zu nehmen, aber irgendwann führte Katherine mich raus aus dieser Lagerhalle, nach draußen an die frische Luft, und setzte sich mit mir auf die Rasenfläche dort.

"Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben einmal so zu Ende geht", verkündete sie leise und blickte in den Sternenhimmel über uns. "Es ist so... langweilig."

Ungläubig sah ich zu ihr, als sie das sagte und lachte dann auf, auch wenn es eher einem Schluchzen glich. "Langweilig? Das kann auch nur eine Katherine Pierce sagen."

"Ich hatte immer gedacht, dass mich jemand umbringen würde. Vermutlich Klaus. Oder dass ich mich irgendwann selbst umbringe, wenn mir das Davonlaufen zu anstrengend wird. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich sterbe, nur weil ich von der falschen Blutlinie abstamme." Einige Sekunden schwieg sie und blickte dann zu mir. "Was ist mit dir?"

"Was soll mit mir sein?", fragte ich und wischte dabei meine letzten Tränen von den Wangen.

"Hast du dir je vorgestellt, wie du wohl sterben würdest?"

"Als ich bei Dahlia war jeden Tag", antwortete ich leise. "Zuerst dachte ich, sie würde uns irgendwann für ein Ritual umbringen. Als klar wurde, dass sie uns unsterblich machen wollte, haben Freya und ich oft darüber gesprochen, dass wir uns irgendwann umbringen würden, wenn wir keinen Weg fänden, vor ihr zu fliehen. Erst als ich frei von Dahlia war, habe ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, einen friedlichen Tod zu sterben. In hohem Alter, in den Armen einer Person, die ich liebe, obwohl längst klar war, dass ich das als Vampir nicht erleben würde. Aber so etwas wie jetzt habe ich mir nie vorgestellt." Ich seufzte leise auf und blickte auch nach oben. "Immerhin der Sternenhimmel ist heute wunderschön."

"Ja, wunderschön", stimmte Katherine mir kaum hörbar zu. Die Stille, die sich daraufhin zwischen uns ausbreitete, war alles andere als unangenehm, dennoch drehte ich mich kurz darauf zu ihr um, nur um zu bemerken, dass sie mich schon längst ansah, ihre Augen trauriger, als ich sie je zuvor gesehen hatte.

"Was ist los?", fragte ich leise. "Woran denkst du?"

"Ach, ich bemitleide mich gerade nur selber", winkte Katherine ab und zuckte mit den Schultern, als wäre es nichts Wichtiges. "Es ist alles in Ordnung, vergiss es."

Skeptisch hob ich eine Augenbraue und musterte die Doppelgängerin neben mir. "Komm schon, Kat. Wir haben weniger als eine Stunde zu leben. Wenn es je einen Zeitpunkt gab, an dem du ehrlich sein konntest, ohne irgendwelche Konsequenzen zu erwarten, dann ist das jetzt. Also sag schon, worüber denkst du nach?"

Einige Sekunden schwieg Katherine, bis sie leise aufseufzte. "Über dich", gab sie flüsternd zu. "Und darüber, an welchem Zeitpunkt du angefangen hast, mir so wichtig zu sein."

Überrascht sah ich sie an. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. "Und, zu welchem Ergebnis bist du gekommen?", fragte ich vorsichtig.

"Ich weiß es nicht. Gemocht habe ich dich schon, als ich dich Anfang des 19. Jahrhunderts kennengelernt habe. Diese Zeit bis 1864 ist eine der liebsten meines Lebens. Die Flucht vor Klaus hat sich damals nicht ganz so furchtbar angefühlt. Aber offensichtlich habe ich dann einen ziemlich großen Fehler gemacht, den ich nicht gemacht hätte, wenn du mir schon damals so wichtig gewesen wärst. Aber ich weiß genau, wann ich angefangen habe, dir zu vertrauen. Es war, nachdem ich Damon das Gegengift für seinen Werwolfbiss gebracht habe. Ich dachte, du würdest mich umbringen, aber du hast mich gehen lassen, ohne irgendeine Forderung."

"Habe ich dir bei der Gelegenheit nicht gesagt, dass es eine viel schlimmere Strafe ist, dass du niemanden hast, dem du vertrauen kannst?", erinnerte ich mich schmunzelnd und auch Katherine musste leise lachen.

"Ja, das hast du. Schon ironisch, oder? In dem Moment habe ich angefangen, Vertrauen zu dir aufzubauen und zeitgleich habe ich mir gewünscht, dass du vielleicht auch mir vertrauen könntest. Auch wenn ich wusste, wie absurd dieser Gedanke war, nach allem, was ich dir schon angetan hatte. Vielleicht war es da, dass ich angefangen habe, dich... wirklich zu mögen. Vielleicht aber auch, als wir versucht haben, Mikael aufzuwecken, oder auch erst, als du bei mir eingezogen bist. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich gerade, als Alaric dich umbringen wollte, nicht wollte, dass dir etwas passiert. Obwohl ich wusste, dass wir beide eh sterben würden, ich... ich wollte mich von dir verabschieden."

Aufmerksam hörte ich Katherine zu und lächelte sie dann leicht an. "Weißt du, Kat, wahrscheinlich ist das eine der dümmsten Entscheidungen, die ich je in meinem Leben getroffen habe, aber ich vertraue dir tatsächlich. Ich glaube, langsam fange ich an, dich zu verstehen. Ich hätte gerne mehr Zeit mit dir gehabt."

"Es gibt nur drei Sachen, die ich wirklich bereue", verkündete Katherine leise und blickte wieder in den Himmel, als könnte sie es nicht ertragen, mir dabei in die Augen zu sehen. "Die erste ist es, dass ich meine Tochter nie in den Armen halten konnte, dass ich nicht noch mehr um sie gekämpft habe. Das zweite ist es, dass ich mich je auf Klaus eingelassen habe. Ich hätte wegrennen sollen, bevor er mich auch nur das erste Mal sieht."

"Verständlich. Was ist das Dritte?", wollte ich neugierig wissen, als sie nicht weiterredete.

"Dass ich dir 1864 keine Chance gegeben habe, dich zu erklären. Wir hätten so viel Zeit gemeinsam haben können. Ich habe ein langes Leben gelebt, mehr als genug, und trotzdem wünschte ich auch, ich hätte mehr Zeit mit dir gehabt. Ich glaube, ich... ich hätte vielleicht... ach vergiss es. Wir haben diese Zeit nun einmal nicht gehabt. Das ist meine Schuld und mit den Konsequenzen müssen wir jetzt beide leben."

Langsam richtete ich mich auf und sah sie neugierig an. "Du hättest vielleicht was?", fragte ich nach.

"Ich hätte vielleicht Gefühle für dich entwickeln können", murmelte Katherine so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. "Seit ich dich geküsst habe, denke ich darüber nach, was das zu bedeuten hat. Wir haben nie ernsthaft darüber geredet, aber ich hätte das wirklich gerne wiederholt. Ich kann seitdem an kaum etwas anderes denken. Ich weiß, wie albern das klingt, und dass du mir das vermutlich eh nicht glauben wirst, aber in einer halben Stunde sind wir eh schon tot, also was soll's. Ich hätte gerne herausgefunden, ob da etwas zwischen uns sein könnte. Aber dafür fehlt uns jetzt die Zeit."

Sprachlos musterte ich Katherine und versuchte, die richtigen Worte auf diese Offenbarung zu finden, aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Hatte sie sich in den letzten Tagen deshalb so merkwürdig verhalten? Es würde so vieles erklären, und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann wollte ich ihr glauben. "Ich hätte es auch gerne herausgefunden", antwortete ich irgendwann nur leise und lehnte mich langsam Katherine entgegen. "Aber zumindest haben wir noch ein paar Minuten, um diesen Kuss noch einmal zu wiederholen", flüsterte ich kaum hörbar und legte dann sanft meine Lippen auf ihre.

Es war genauso wundervoll, wie ich es in Erinnerung hatte. Ganz anders, denn der erste Kuss war voller Leidenschaft und Wut gewesen, während dieser hier zärtlich war, wie ein Abschied, und dennoch verblasste auch dieses Mal die Außenwelt und in mir kehrte eine innere Ruhe ein, die ich so nicht gewohnt war. Als ich mich langsam wieder von ihr löste, schenkte Katherine mir ein trauriges Lächeln. "Lass mich dir auch einen letzten Wunsch erfüllen", sagte sie leise.

"Und woran denkst du da?"

"Ich weiß, das hier ist nicht der friedliche Tod im hohen Alter, den du dir vorgestellt hast. Du kannst nicht in den Armen der Person liegen, die du liebst, weil du dafür nie genug Zeit hattest. Aber..." Plötzlich schien Kat, die Katherine Pierce, so unsicher, wie ich sie noch nie erlebt hatte. "Aber vielleicht genügt ja auch die Person, die du eventuell irgendwann hättest lieben können."

Einige Sekunden sah ich Katherine in die Augen, erwartete beinahe, dass sie anfing zu lachen und einen Scherz darüber machte, dass ich ganz auf sie reingefallen war, aber sie tat es nicht. Wir beide wussten, dass das hier das Ende war, und anscheinend war das alles, was Katherine brauchte, um nicht nur ehrlich, sondern auch ernst zu werden. Gerührt blinzelte ich meine Tränen weg und nickte dann. "Ja", flüsterte ich heiser. "Das wird genügen."

Und so legten wir uns zurück in das weiche Gras, Katherines Arm fest um mich geschlungen, blickten hinauf in den Sternenhimmel, und warteten auf unseren Tod.


Hidden Past - The Story of Malina MikaelsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt