Chapter 99

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Ich wusste nicht, wie lange Freya und ich auf dem kalten Boden knieten und uns einfach nur festhielten, aber ich wusste, dass ich noch lange nicht bereit war, sie gehen zu lassen, als wir uns irgendwann wieder lösten. Das alles kam mir vor wie ein Traum. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mir vorstellte, endlich wieder mit meiner Zwillingsschwester wiedervereint zu sein, aber noch nie hatte es sich so real angefühlt wie jetzt gerade. Mir war klar, dass ich mich bei Kat melden sollte, um ihr zu sagen, wo ich war und dass es mir gut ging, aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, noch nicht. Stundenlang unterhielten Freya und ich uns, tauschten uns über die letzten Jahrhunderte aus. Ich erzählte ihr von Katherine, meiner Zeit in der Gruft in Mystic Falls, wie ich unsere Geschwister kennengelernt hatte und wie es möglich war, dass ich Zugriff auf Magie hatte, obwohl ich noch immer ein Vampir war. Und sie erzählte mir im Gegenzug, wie sie so lange Zeit vor Dahlia geflohen war, wie sie immer mal wieder nach mir und auch nach unseren Geschwistern gesehen hatte, und wie sie schließlich in diesem Irrenhaus für Hexen gelandet war, in dem Rebekah sie gefunden hatte. Wir hatten noch eine Menge zu besprechen, aber irgendwann stand Freya auf, als ich ihr erzählte, dass Finn erst gestern Abend unseren kleinen Bruder Kol umgebracht hatte.

"Er hat was?!", fragte sie entsetzt. "Nein, so etwas würde Finn doch niemals tun."

"Er hat sich verändert, Freya", flüsterte ich leise. "Das haben wir alle, aber Finn besonders. Er hängt noch immer an unserer Mutter, er würde alles für sie tun. Ich liebe ihn aus ganzem Herzen, das tue ich wirklich, aber all die Jahre, die Nik ihn in einem Sarg aufbewahrt hat, haben ihn verrückt gemacht. Kol war daran beteiligt, unsere Mutter in einen Vampir zu verwandeln und sie somit zu dem zu machen, was Finn am meisten hasst, und deshalb hat er sich an ihm gerächt. Er schreckt vor nichts zurück, um sein Ziel zu erreichen. Ich meine, er wollte doch auch Hope töten, das kann dich jetzt nicht überraschen."

Fassungslos sah Freya mich an, als könnte sie nicht glauben, was ich da über unseren Bruder sagte. "Er wollte die Tochter von Niklaus umbringen? Ein Baby? Seine eigene Nichte?"

"Ja, und ich... Ich weiß, du hast ihm dabei geholfen, sie zu finden", erwiderte ich und atmete tief durch, während ich auch aufstand. Ich wusste, was jetzt passieren würde. Wir hatten es bisher so gut vermieden, über unsere momentanen Probleme zu sprechen. Über Hope, und über Dahlia, die hierher unterwegs war. Freya hatte Finn dabei geholfen, Hope zu finden, um die Gefahr von Dahlia auszulöschen, aber obwohl ich in gewisser Weise nachvollziehen konnte, warum Freya bereit war, so einen radikalen Schritt zu gehen, um Dahlia aufzuhalten, konnte ich das nicht zulassen. Ich würde Hope beschützen, selbst wenn es vor meiner eigenen Schwester war. Wir hatten lange genug darum herumgeredet, aber was Hope anging, standen wir offensichtlich auf verschiedenen Seiten.

"Natürlich habe ich ihm geholfen", antwortete Freya und machte damit auch den letzten Rest meiner Hoffnung zunichte, dass ich mich mit dieser Vermutung vielleicht geirrt haben könnte. Dann redete sie aber weiter, und ich hörte ihr aufmerksam zu. "Ich bin davon ausgegangen, dass ihr alle keine Ahnung habt, dass Dahlia auf der Suche nach Hope sein wird. Als Finn und mir also klargeworden ist, dass Niklaus' Tochter immer noch lebt, musste ich einfach herausfinden, wo sie ist. Finn sollte sie holen, bevor Dahlia sie finden konnte, und sie herbringen, damit ich sie schützen kann. Ich muss zugeben, ich war überrascht, dass sie schon von einem Schutzzauber verborgen war, aber ich wusste, dass der für Dahlia nicht reichen würde. Ich hatte doch keine Ahnung, dass Finn versuchen würde, die Kleine gleich umzubringen!"

Mir fiel ein Stein vom Herzen, als sie das sagte, und atmete erleichtert aus. Auch sie wollte Hope beschützen, ich hätte nie daran zweifeln dürfen. So sehr wir alle uns auch verändert hatten, Freya war schon immer ein guter Mensch gewesen, und das war sie noch immer. Wir beide hatten erlebt, wie grausam ein Leben bei Dahlia war, Freya hatte noch mehr darunter gelitten als ich, und sie würde ebenso wenig wie ich zulassen, dass das noch einmal jemand aus unserer Familie durchmachen musste.

"Ich glaube, es wird Zeit, dass ich mit unseren Geschwistern spreche", verkündete Freya und fuhr sich durch ihre Haare. "Wenn sie denken, dass ich Finn dabei geholfen hätte, Niklaus' Tochter umzubringen, kann das nur böse enden. Wir sind jetzt eh alle in Gefahr, ich habe mich lange genug vor unserer Familie versteckt. Ich muss mit Niklaus sprechen und ihm klar machen, dass ich nicht sein Feind bin."

"Soll ich dich begleiten?", bot ich sofort an. "Nik kann... schwierig sein. Er ist nicht gerade vertrauensvoll."

"Wie hat er denn damals reagiert, als er erfahren hat, wer du bist?"

"Na ja, eigentlich ganz okay. Er hat zumindest nicht versucht, mich umzubringen, aber ich war auch keine mögliche Bedrohung für jemanden, den er liebt, und er hat mich gebraucht, um seine Geschwister zurückzubekommen, die zu dem Zeitpunkt entführt waren. Es war alles sehr kompliziert, aber wir hatten schon ein wackeliges Bündnis, als er es erfahren hat, das hat vieles einfacher gemacht. Aber darauf kannst du nicht zurückgreifen, das einzige, was er von deiner Rückkehr denkt, ist, dass du vermutlich dabei geholfen hast, seine Tochter in Gefahr zu bringen."

"Dann ist es umso wichtiger, dass ich zu ihm gehe", antwortete Freya fest entschlossen. "Ich muss erklären, was wirklich passiert ist und ihm klar machen, dass ich auf eurer Seite stehe. Und das sollte ich alleine tun."

"Bist du dir sicher?", fragte ich, kannte Freyas Antwort aber schon, bevor sie sie aussprach. So sehr ich auch bei meiner wiedergefundenen Schwester bleiben wollte, wusste ich, dass sie stark und mächtig genug war, um nicht auf meine Hilfe angewiesen zu sein, und sie wiederum würde mich nicht unnötig in Gefahr bringen.

"Ja, das ist etwas, das ich alleine machen muss", antwortete Freya tatsächlich und ich nickte leicht.

"In Ordnung. Aber ich gebe dir meine Handynummer. Wenn irgendetwas ist, kannst du mich jederzeit anrufen, okay?"

"Sehr gerne. Danke, Lina", meinte Freya und lächelte mich leicht an, wobei mir schon wieder fast der Atem wegblieb. Wie lange war es wohl her, seit ich sie das letzte Mal hatte lächeln sehen? Selbst als wir noch vor Jahrhunderten zusammen bei Dahlia waren, war so etwas selten gewesen. Aber ich wusste, nun, wo ich meine Schwester wiederhatte, würde ich dafür sorgen, dass sie von jetzt an immer einen Grund zum Lächeln haben würde.

Hidden Past - The Story of Malina MikaelsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt