Chapter 105

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Die nächsten paar Stunden verliefen für mich wie in Trance. Freya, Kat und ich hatten auf dem Friedhof eine kleine Trauerfeier abgehalten und auch wenn wir die Asche unseres Vaters nicht wirklich beerdigen konnten, erinnerte nun ein kleiner Grabhügel an sein Opfer. Kat war die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen und ich war froh, dass sie bei ihrem Angriff auf Nik nicht ernsthaft verletzt worden war. Ich hatte versucht, mich bei ihr dafür zu bedanken, aber sie hatte nur gemeint, dass ich in der Situation dasselbe getan hätte und es dann dabei belassen. Ich hatte das Gefühl, dass ihr Beschützerinstinkt seitdem noch ausgeprägter war, und dieser Gedanke bestätigte sich, als jemand einige Stunden nach der Beerdigung an unsere Tür klopfte und Kat sofort aufsprang, um sie zu öffnen.

"Du bist hier nicht willkommen", begrüßte sie unseren Besuch kalt, während ich noch aufstand, um zu ihr zu gehen.

"Ich möchte nur mit ihr reden."

"Elijah?", fragte ich überrascht und stellte mich neben Kat, um meinen Bruder anzusehen. "Was willst du hier?"

"Mit dir reden. Darf ich reinkommen?"

"Nein", antwortete Kat wütend, bevor ich auch nur darüber nachdenken konnte. "Du hast dich gestern Abend für eine Seite entschieden und das ist nicht unsere. Du darfst jetzt wieder gehen."

Unauffällig legte ich meine Hand auf Kats Rücken, um sie zu beruhigen und musterte meinen Bruder, der mich fast schon verzweifelt ansah. Ich fragte mich, ob er gestern Abend auch mein Gesicht hatte sehen können, als er mich festgehalten hatte.

"Komm rein", sagte ich also leise und trat einen Schritt zur Seite, damit er in unsere Wohnung konnte.

"Danke", antwortete er und blickte meine Freundin im Vorbeigehen fast schon triumphierend an.

"Weißt du, Kat hat recht", meinte ich daher, während ich die Tür fester als nötig hinter ihm schloss. "Du hast dich gestern tatsächlich für eine Seite entschieden, als du mich davon abgehalten hast, unserem Vater zu helfen. Bilde dir also nichts darauf ein, dass ich dich jetzt reinlasse. Ich will das nur nicht auf dem Flur klären, wo uns jeder hören kann. Sag einfach, was du zu sagen hast, und dann verschwinde wieder."

Bedrückt blickte Elijah mich an und seufzte leise auf. "Es tut mir leid, Malina. Das alles ist... äußerst ungünstig gelaufen. Ich wollte nur verhindern, dass du unseren Bruder angreifst, aber es tut mir dennoch leid, dass ich dich festgehalten habe."

"Eine Entschuldigung ist nichts wert, wenn man es jederzeit wieder so tun würde", erwiderte ich trocken. "Also, wieso bist du tatsächlich hier?"

Einige Sekunden zögerte Elijah, entschied sich dann aber wohl, mir die Wahrheit zu sagen. "Ich wollte sehen, ob es noch eine Chance für unsere Familie gibt, wieder zusammenzufinden."

Kat lachte trocken auf und für einen Moment war ich versucht, es ihr gleichzutun. "Dann frage ich mich, was du hier willst", antwortete ich. "Ich habe es Nik gestern bereits gesagt. Solange er sich nicht bei Freya und mir entschuldigt, will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Es liegt an ihm, ob wir je wieder eine Familie werden oder nicht."

Elijah, der ebenso gut wie ich wusste, dass Nik sich in seinem ganzen Leben noch nie bei irgendjemandem ernsthaft entschuldigt hatte, schwieg für einige Sekunden. "Selbst wenn Niklaus sich bei euch entschuldigen sollte, könntest du ihm wirklich verzeihen, dass er Mikael umgebracht hat?", fragte er vorsichtig.

"Ja, das könnte ich", antwortete ich ohne zu zögern. "Er ist mein Bruder, so sehr ich das auch gerade hasse. Und schließlich war nicht er es, der letztendlich dafür verantwortlich war."

"Was meinst du damit?", fragte Elijah verwirrt.

"Ist dir etwa nicht aufgefallen, dass es viel zu einfach war, unseren Vater zu töten?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. "Ja, Nik ist stark, aber unser Vater war ihm immer um ein Vielfaches überlegen. Ihr seid jahrhundertelang vor ihm geflohen, weil ihr keine Chance gegen ihn hattet. Und er wehrt sich nicht einmal, wenn Nik ihm angreift? Du musst doch bemerkt haben, dass das viel zu leicht war."

"Du denkst, Mikael hat sich absichtlich umbringen lassen?", fragte mein Bruder nach. "Wieso hätte er das tun sollen?"

"Für seine Kinder natürlich", antwortete Kat ihm mit verschränkten Armen. "Die einzigen, die er je geliebt hat. Du kannst gegen Mikael sagen, was du willst, aber für seine Töchter hätte er alles getan."

Bei Kats Worten stiegen mir wieder die Tränen in die Augen, aber ich nickte zustimmend. "Sie hat recht. Vater wusste, dass wir die Asche eines Wikingers brauchen, um eine Chance gegen Dahlia zu haben. Und er wusste auch, dass Dahlia sich als erstes an Freya und mir rächen würde, wenn sie ihren Willen bekommen hat. Zu sterben war seine beste Möglichkeit, uns vor ihr zu beschützen. Nik war es vielleicht, der der den Pfahl geführt hat, aber es war unser Vater, der die Entscheidung getroffen hat. Und solange ich ihn nicht dafür hassen kann, kann ich auch Nik nicht dafür hassen."

"Aber wenn du ihn nicht dafür hasst, dass er Mikael umgebracht hast... Wofür soll Niklaus sich dann entschuldigen?"

"Wofür Klaus sich entschuldigen sollte?", fragte Kat ungläubig nach. "Gib mir ein paar Monate und ich schreibe dir eine ganze Liste."

Der Kommentar meiner Freundin ließ mich leicht lächeln, aber ich wurde wieder ernst, als ich Elijah ansah.

"Ich kann verstehen, dass er Mikael umbringen wollte. Ich kann verstehen, dass Nik nur seine Tochter beschützen will und alles dafür tut. Himmel noch mal, ich kann sogar verstehen, wieso er unseren Vater gehasst hat. Aber was ich nicht verstehen kann, ist, dass ich ihm dabei so egal bin. Dass er sich nicht darum kümmert, ob er mich und Freya verletzt oder nicht. Dass er nicht einmal zögert, unseren Vater direkt vor unseren Augen umzubringen und dann auch noch Scherze darüber macht. Er hat sich über unseren Schmerz amüsiert. Oder es war ihm einfach egal. Beides ist nicht das, was ich von meinem Bruder erwarte. Und solange er das nicht versteht, möchte ich auch nichts mit ihm zu tun haben. Ich habe nicht vor, mich an ihm zu rächen oder etwas ähnlich Dämliches. Du kannst ihm gerne ausrichten, dass er sich was das angeht keine Sorgen machen muss. Aber ich will auch nichts mehr mit jemandem zu tun haben, dem ich offensichtlich völlig gleichgültig bin."

Hidden Past - The Story of Malina MikaelsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt