»Nein«, war Hardings Antwort gewesen. Der bestimmte Ton ging mit unüberhörbarer Verzweiflung einher. »Nein. Bei den Höllen, nein.«
Erst bedachte er Rhun, dann den aufdringlichen Aart-Priester, der neben ihm stand.Der alte Greis lächelte nicht mehr — nicht einmal auf die gestellte Weise, wie zuvor. Stattdessen wartete er geduldig auf Chase' Begründung.
Doch dieser schüttelte den Kopf. »Lass mich in Ruhe. Wenn du hören willst, dass du recht hattest, dann hier. Du hattest recht. Brus ist untergegangen. Suhl' dich jetzt in deinem Erfolg.«
Der einäugige Mann schwieg lange. Gerade als Rhun glaubte, er würde nichts mehr sagen, sprach er jedoch: »Wollt ihr nicht mit uns zusammenarbeiten? Wir bieten euch eine Unterkunft. Und Nahrung.«
Rhun ergriff das Wort: »Hatten Sie nicht gesagt, hier gibt es keinen Platz für Flüchtlinge?«
»Korrekt. Aber ihr könntet euch uns anschließen.«
»Bei den Höllen, nein«, sagte Harding einmal mehr.
Rhun stimmte im Stillen zu. Er kannte die Fähigkeiten der Aart-Priester. Er wusste, dass sie in Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart blicken konnten. Und niemals würde er es zulassen. Es waren Mächte, mit denen er nicht spielte. Davon ab, es verstieß gegen seinen Glauben.
Die Aart hatten sich für ein Leben abseits entschieden. Sie gehörten nicht in die Stadt. Und die wenigen Aart, die in Brus gelebt hatten, haben sich stets über ihre Lebensumstände beschwert.
Sie hatten sich im Wald ein Zuhause geschaffen. Scheinbar gehörten sie dort auch hin.Oryn führte die Diskussion fort: »Ohne Brus geraten wir in eine Hungersnot. Die ganzen Felder-«
»Die Ernte war ohnehin schwach«, unterbrach Rhun ruhig. »Das, was wir in Brus angebaut haben, hätte niemals für die Einwohner genügt. Den Hauptteil haben wir von Außerhalb eingebracht.«
Harding nickte, bevor er sprach: »Was erwartet ihr? Wollt ihr, dass wir Brus wieder aufbauen?«
»Ich bezweifle, dass ihr das könnt«, erwiderte der Priester. »Wenn ihr mir einen Blick in eure Zukunft erlauben würdet, könnte ich euch aber helfen.« Er setzte sich auf die Stufen, die von seinem Haus herunterführten. Eine erhabene Aura strahlte er aus — auch, wenn er ein zerbrechlicher Mann war, dessen Zähne schräg wuchsen. »Ich weiß, dass uns eine Apokalypse erwarten wird.«
»Wir haben andere Probleme. Eine Apokalypse überstehe ich auch noch«, brummte Chase, als wäre es tatsächlich so einfach, wie er es darstellte.
Harding war genau so, wie Zorn ihn stets beschrieben hatte:
Naiv — oder lebensmüde — brutal und stur.»Glaubt ihr meinen Fähigkeiten immer noch nicht?«
»Eben schon! Du siehst in die Zukunft!«, knurrte Harding. »Das bedeutet, dass man nichts von alldem verhindern kann! Selbst wenn wir dir helfen, es führt zum selben Ergebnis!«
Rhun spielte Szenarien in seinem Kopf durch.
Je länger er nachdachte, desto verwirrender war es. Das Spiel zwischen Unveränderlichem und Formbarkeit erstreckte sich vor ihm, wie ein unendliches Labyrinth.Ließ sich die Zukunft tatsächlich nicht verhindern? Selbst wenn man wüsste, was man tun müsste?
Die Aussicht auf Katastrophen presste alle Kraft aus Rhuns Muskeln.Dabei hätte er nichts zu befürchten. Er war ein Cruor — und als solcher könnte er stets verlangen, eine Bleibe zu finden. Wenn er wollte, könnte er den nächstbesten Soldaten aufsuchen, der ihn in eine Notunterkunft schleusen würde.
Man würde ihn verwöhnen — so lange, bis man herausfinden würde, was er in Brus getan hatte. Kriminelle aus dem Gericht zu befreien und mit ihnen aus der Stadt zu fliehen? Wenn jemand davon erfuhr, würde man ihn foltern und anschließend köpfen.
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Seele eines Cruors
Fantasy»Für die, die leben, ist der Tod nicht greifbar!« Der Untergang von Brus hat Existenzen zerstört. Flüchtlinge verteilen sich in den umliegenden Dörfern, kriminelle Gruppen bilden sich und die Hafenmetropole wird zum Brennpunkt des Schreckens. Chase...