Kapitel 7;1 - Feinde im Vertrauen

23 8 0
                                    

Rhun hatte das Verständnis darüber verloren, wie spät es war. Er stand vor der Scheune — in der auch sein Zimmer lag — und inhalierte die frostige Abendluft. Asches Siedlung war wie eine Illusion in der Nacht. Kompletter Stillstand hing über den Lagerstellen, keine Person war mehr zu sehen. Zwei Nachtwächter liefen in der Ferne ihre Runden...

Doch es war nicht wie in Brus.

Selbst im Handwerkerviertel, in dem er gelebt hatte, war nie Ruhe eingekehrt. Gespräche von Passanten waren das mindeste, das er hatte hören können. Vereinzelt waren Luftschiffe über den Himmel gezogen.

Doch außerhalb der Mauern gab es nicht einmal einen Schwarm Vögel, der Geräusche verursachte.

Dafür war der Himmel mit Sternen überladen. Die zwei Monde hingen ehrfurchtig zwischen ihnen und es war, als sehen auch "Ader" und "Iris" das erste Mal, wie groß das Firmament eigentlich war.

Er wanderte an den Hütten vorbei — die nichts Bekanntes hatten. Hier gab es keine Straßen, oder Laternen mit künstlichem Licht, oder Zeitungsjungen, Händler, Springbrunnen, Statuen und Brücken. Das einzige, was sich ähnelte, war der leichte Regen — doch auch dieser war auf seiner Haut kam spürbar. Brus hatte sich intensiver angefühlt.

Hier waren weder Eindrücke noch Erinnerungen. Die Welt draußen war wie ein leerer Raum. Das einzige, was an seine Vergangenheit erinnerte, war Declan.

Der Cruor sollte noch immer im Zelt liegen, wo er zuvor verarztet worden war. Die Meldung, dass es ihm besser ging, hatte Rhun am vorherigen Abend ignoriert. Nun jedoch, gerade, als er vor dem Zelt stand, überwiegte die Neugierde.

Rhun tauchte in die Dunkelheit und leuchtete mit seiner Kerze den Innenraum aus. »Wie geht es dir?«

Declan hatte offensichtlich geschlafen. Er hielt sich die Augen mit dem Arm zu, während er sich umdrehte. Die blutgetränkten Verbände ließen ihn bemitleidenswert-schmächtig aussehen.
Seine Stimme hingegen war kräftig und voll: »Die Frage ist eher, wie geht es dir? Da warst du einmal ein bedeutender Cruor in Brus und schon geht die Stadt unter. Hat das deine Gefühle nicht verletzt?«

»Nein, ich war bereits zufrieden mit meiner Rolle als Zorns Assistent.«

»Das ist eben auch dein Lebensziel gewesen. Wenn es nach den anderen Cruoren ginge, hättest du nie etwas Höhergestelltes sein sollen.«

Schon endete das Mitleid mit den großen Wunden, die Declan hatte.
Rhun seufzte leise. »Hast du noch vor, mir zu erklären, wieso... oder soll ich gehen?«

»Du bist eine ganz andere Generation, als ich, Rhun. Cruoren werden so lange am Leben gehalten, wie es notwendig ist. Dass Zorn stirbt, war ein dummer Zufall. Für uns stand nie wirklich auf dem Plan, dass du in nächster Nähe sein Nachfolger wirst.«

»In Ordnung. Nun, dann ist das eben so.«

Declan fuhr fort: »Die jüngeren Generationen sind eigentlich nur ins Leben gerufen worden, um uns zu dienen.«

»Das überrascht mich nicht. Wie kommst du darauf, das jetzt zu erzählen? Wünscht du, mich zu provozieren?«

»Keinesfalls.«

»Das dachte ich mir. Das wäre eine sehr menschliche Eigenschaft von dir, wäre es nicht?«

Declan setzte sich auf. Die Schnitte unter seinem Auge sahen aus, wie Rinnsale von Tränen. »Ich habe keine menschlichen Eigenschaften. Die hast du. Und deswegen bist du weniger wert als ich.«

»Das hast du mich damals oft genug spüren lassen. Aber wir sind ja Freunde, nicht wahr? Das lässt du jeden wissen, nicht? Hast du deinen Assistenten auch so leiden lassen, wie mich?«

Seele eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt