Rhun erkannte in den alten Steinen sein verlorenes Zuhause. Er hatte die Hafenstadt nie verlassen, bis es zu der Katastrophe gekommen war.
Und nun würde er Brus das erste Mal mit richtigen Gefühlen durchlaufen können — wenn er denn wüsste, was er fühlen sollte...
Das aufgeregte Kribbeln von positiver Anspannung,
Oder ein Schauer der Furcht vor dem Hintergrund der Monster,
Melancholie, oder Freude, Einsamkeit und Wehleiden.
Es gab eine solche Brandbreite an menschlichen Erfahrungen, dass er fürchtete, nicht alles kennenlernen zu dürfen.Vor allem, da er stattdessen nichts fühlte — als sei die bedrückende Ausstrahlung von Brus in der Lage, alles aus ihm herauszuspülen und nur den leeren Cruoren zu lassen, der er im Kern war.
Rhun fühlte die Leere in seiner Brust — und alle Erinnerungen, die er nie gemacht hatte, kamen auf. Wenn er früher entdeckt hätte, was er war... Er hätte einige Entscheidungen anders treffen können. Und möglicherweise hätte er damals auch verstehen können, wieso Declan ihn gequält hatte.
Immerhin wollte der verhindern, dass Rhun jemals mit den Monstern verhandeln würde.Genau das würde Rhun immerhin gleich tun.
Er packte hinter sich, um einen Stab von seinem Rücken zu ziehen — im selben Augenblick leuchtete das Gerät in hellem, weißen Licht.
Brus wurde erschüttert von den schrillen Schreien der Monster. Die Wesen wirrten im Hintergrund herum, schauten direkt zu ihm, in den Schleier seiner Lampen.
Zorns Sohn gesellte sich zu ihm. »Veu Rhun«, sagte er — in einer Stimme, als sei ihm die Situation gänzlich egal.
Rhun setzte sich mit großen Schritten in Bewegung. Einer der Leibwächter aus dem Dorf, der sich mit dem Namen Verde vorgestellt hatte, flankierte ihn.
Etwas zu seiner linken verdeckte einen Teil des Sternhimmels. Ein grauenhaftes Geräusch begleitete den Schatten dabei, in Rhuns Lichtkegel einzudringen. Er holte mit dem Stab aus, um das Wesen irgendwo zu treffen — am Hals, wie sich herausstellte, sobald die schwarze Kreatur auf dem Boden lag.
Verde sprang sofort auf das Monster und blendete es mit der Lampe, die er mit sich trug.
Etwas pfiff über seinen Kopf hinweg und landete direkt vor Harding, der laut schimpfte. Er taumelte zurück und ließ sein Schwert nach vorn gleiten.
Rhun tätigte einen großen Schritt nach hinten und huschte dann so schnell durch die Nacht, dass er fast rannte. Er kannte die Wege auswendig — musste er sich einreden — es war die gleiche Strecke, die er damals immer gegangen war.
Er erkannte die alten Laternen, Statuen und Gebäude. Nicht weit entfernt hatte er gewohnt — das edle Haus mit den Balkonen befand sich zur Grenze des Regierungsviertels. Es hatte nie mit dem Handwerkerviertel mithalten können, wo er mit Zorn gelebt hatte.
Es blieb keine Zeit, um über vergangene Tage nachzudenken.
Die Wucht eines Körpers riss ihn nach hinten. Rhun taumelte zur Seite, als er bemerkte, dass das, was er für eine der Statuen gehalten hatte, ein Mosnter gewesen war. Er wirbelte mit dem Leuchtstab; wollte es damit umreißen, doch die flinke Kreatur sprang nach oben und landete mit seinem verheerenden Arm fast in Rhuns Ellenbogen.
Er trat gegen das verdrehte Knie der Kreatur, schnappte das Schwert, was man ihm gegeben hatte, und verteidigte sich blind.
Er wünschte, er dürfte einen Revolver führen, doch aufgrund der Dunkelheit hatte der Aart-Priester ihnen davon abgeraten. Man wolle keinen Gleichgesinnten verletzen. Rhun würde jedoch alle der Anwesenden opfern, wenn es hieß, dafür seine Mission zu beenden.
Er musste dem Arm des Monsters ausweichen, und krachte dafür ungerschickt auf dem Boden.
Jemand baute sich über ihm auf — Kenga, der das weiße Geschöpf mit einem Schnitt zum liegen brachte.
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Seele eines Cruors
Fantasia»Für die, die leben, ist der Tod nicht greifbar!« Der Untergang von Brus hat Existenzen zerstört. Flüchtlinge verteilen sich in den umliegenden Dörfern, kriminelle Gruppen bilden sich und die Hafenmetropole wird zum Brennpunkt des Schreckens. Chase...