Kapitel 18 - Wandler in Form und Fremde

18 6 5
                                    

Eos sah Bronie von der Seite an — und war sich nicht ganz sicher, was sie sagen sollte.

Der Morgen war angebrochen, sie saßen noch immer im Glockenturm einer alten Kathedrale. Die Glocke war gesprungen, ihr Klöppel fehlte; die Krone schien nur noch von Spinnweben zusammengehalten zu werden. Im Inneren hatten sich Fledermäuse niedergelassen, die herausgeflogen waren, sobald die Nacht begonnen hatte.

Eos hatte irgendwie Schlaf finden können. Sogar so viel, dass sie sich dafür schämte. Trotzdem Schreie, Laute von Monstern und das Beben von Bomben die Natur zerschmettert hatten, war sie ruhig geblieben. Vereinzelt war sie aufgewacht — mitunter auch nur, weil Bronie im Kries lief, oder sich die Bisswunde streichelte.

»Sie ist größer geworden«, sagte er nüchtern und deutete auf die Kniescheibe, deren Zeichnung wie Schimmel unter seiner Haut lauerte.

»So schnell geht das nicht.«

Seine eisblauen Augen schnitten scharf hinter dem Haarschopf hervor. »Eos. Ich werde zum Monster werden.«

»Ich weiß«, hauchte sie nur. »Wir gehen gleich los und finden Rinder. Vielleicht kann er sich leisten, dich behandeln zu lassen-«

»Es gibt keine Behandlung. Man bekommt nur Medizin, damit es sich nicht noch weiter ausbreitet.«

»Und das reicht schon.« Mit einer verfärbten Kniescheibe konnte man leben — damit, dass sich der Verstand allmählich in den eines angriffslustigen Geschöpfs verwandelte nicht.

»Dafür muss ich für immer in einer Arztpraxis sitzen.«

»Wir werden finanziell gut entlohnt, wenn wir selbst gebissen werden.« Zumindest sagte man sich das. Ob es nur eine leere Aussage war, konnte Eos nicht wissen. Sie kannte lediglich eine Person, die aus ihrer Gruppe infiziert worden war — und diese hatte sich das Leben genommen. »Außerdem, in dieser Praxis sind nur Leute, aus reichen Familien... Oder die für den Arzt Bedeutung haben. Normale Bürger, die das Geld aufbringen können, sind in Hallen. Und da kannst du Rinder mitnehmen und-«

»Ich soll Rinder in eine Halle schleppen, mit hunderten Monstern? Er müsste diese Menschen eigentlich umbringen. Das müsste ich auch. Und jetzt bin ich selber einer von ihnen.«

»Lass ihn uns suchen und dann sehen wir weiter.« Eos wusste, dass ihre Worte ohne Inhalt waren. Wenn sie an Bronies Stelle wäre, wüsste sie auch nicht, wie sie damit umgehen sollte.

»Ich habe die Monster jetzt seit Stunden nicht mehr gesehen. Sie sind Richtung Fabrik gelaufen und dann verschwunden. Einige waren entfernt vom Rest und sind hier und da im Licht der Lampen aufgetaucht. Ich weiß allerdings nicht, ob sie wirklich weg sind.«

»Ich meine... mehr als infiziert zu werden, kann uns auch nicht geschehen.«

Eos hatte zu starken Hunger, um sich mit weiteren Fragen zu befassen.

Beide stürmten das Dach herunter, um auf den Straßen abzutauchen. Ein Feld aus Stielschlägeln — der einzigen Nutzpflanze, die im Winter in voller Blüte stand — erstreckte sich neben ihnen. Eos streichelte die Blätter, während sie sich daran erinnerte, was ihre Tante stets damit gebacken hatte.

»Meinst du, Rinder konnte fliehen?«

Eos antwortete lieber nicht, anstatt zu lügen. Sie fühlte sich von der Stadt verschlungen, erwartete hinter jeden Mauer die Augen bösartiger Wesen. Dabei ging eins direkt neben ihr.

Bronie sprach danach nicht mehr. Er war ungewöhlich ruhig — weniger die Ruhe, wie er sie hatte, wenn er mit sozialen Reizen überflutet worden war... Es war diese Art der Stille, die nur dazu diente, Tränen zurückzuhalten.

Seele eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt