Kapitel 23;1 - Mit den falschen Mitteln

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»Es gibt einige Neuigkeiten.« Der dürre Cruor war nicht wesentlicher kleiner als Rhun, aber weniger bescheiden gekleidet. Der Kragen war spitz und verziert; er hatte einen schweren Mantel; eine große Brosche zeigte, dass er ein Assistent war — was sehr demütigend war und Rhun dankbar sein ließ, dass er seine Position in Brus nicht so öffentlich zur Schau hatte tragen müssen.

Seine Hörner waren zwei gewaltige Pranken, die sich an einer Seite sauber lockten. Er war beachtlich ansehnlich — die aschgraue Haut komplett rein, nur einige Muster zogen sich seinen Hals aufwärts und lagen in den Wangen gebettet, wie Schatten.

Rhun antwortete nicht. Er nahm lediglich eine Feder zur Hand, die mit einem goldenen Griff ausgestattet war, und tunkte die Spitze in ein Tintenfass.

»In Weyfris ist eine unüberschaubare Anzahl von Monstern gesichtet worden, Veu.«

Er schrieb nichts auf, sondern schaute nur auf das Blatt hinab. Das war die selbe Nachricht, wie die ganze letzte Woche. Das einzig interessante, das in all der Zeit geschehen war, kam außerhalb der Arbeit. Turems Arztpraxis hatte sich in einen Dunst aus Trauer gehüllt, als Seel zu ihm gegangen war, um mitzuteilen, dass Caden gestorben war.

Als Rhun sein Beileid ausgesprochen hatte, hatte Harding ihm mit dem Tod gedroht.

Die Gruppe an Mördern schien immer mehr zu zerfallen. Kenga sprach mit niemandem. Er war dafür umso öfter draußen. Gelegentlich fanden er und Chase zu kollektivem Schweigen zusammen, das komplett sinnfrei an verschiedenen Orten stattfand.

Tod war selbstverständlich nicht positiv, doch Rhun war es egal gewesen, als Zorn gestorben war, trotzdem der alte Mann nicht nur sein Vermieter gewesen war. Zorn war ein Mentor — sein Herr. Kein Freund, selbstverständlich. Freunde hatte er nicht. Und seinen einzigen selbsternannten Freund, Declan, hätte er gern eigenhändig umgebracht.

Vielleicht also konnte er die Trauer nicht nachvollziehen. Dennoch, sie schien überspitzt.

»Erwarten Sie eine Antwort?«, fragte Rhun nach langer Stille. Er sah auf, zu dem Cruoren —
dessen Namen er sich nie merken konnte.

»Ich befürchte, Sie müssen sich allmählich dazu äußern, Veu.«

Dieser atmete tief ein. »Das habe ich bereits. Wir haben die Stadt ausleuchten lassen, so gut es geht. Stumpfe Gewalt bringt bei diesen Monstern nichts.«

»Die Lager sind bereits voll, Veu Rhun. Wir haben keine andere Möglichkeit, als sie zu töten, wenn wir dafür sorgen wollen, dass nicht alle Bürger infiziert werden.«

Dafür müsste ein Cruor nach Brus zurückkehren, hatten die Monster gesagt.

Er ließ seine Finger an den Hörnern entlangwandern, die sich aus Rhuns Haaren hervortaten — Haare, die viel zu lang waren. Im Gegensatz zu Harding hatte er keine sauberen, feinen Locken, stattdessen fielen sie willkürlich und struppiger. Damit sein ganzes Leben kämpfen zu müssen erschien ihm wie eine Zumutung.

Er antwortete langsam: »Ich habe bereits in Erwägung gezogen, und mit anderen Cruoren darüber gesprochen, dass alle Bürger Waffen tragen sollen.«

»Diese Idee erscheint mir sinnvoll.«

»Nicht alle Bürger sind jedoch vertraut mit Waffen. Bei einigen ist es eine Gefahr, wenn man Ihnen sowas aushändigt. Außerdem sind Revolver teuer und werden für den Krieg benötigt. Die Herstellung ist zu aufwendig. Dafür hat Weyfris nicht genügend finanzielle Mittel. Und mit Schwertern werde ich niemanden gegen diese Monster kämpfen lassen.«

Der Assistent widersprach: »Wir können niemandem zumuten, den ganzen Abend im Inneren ihrer Wohnung zu sitzen. Die Bürger wollen ausgehen.«

»Die Tage werden wieder länger«, war Rhuns Antwort — die selbst für ihn unbefriedigend war. Er hasste es, rauszugehen. Hinter jedem Kind und Tier vermutete er ein Monster. Wobei Kinder dem recht ähnlich waren, wie er feststellen musste. Er konnte nicht einmal mehr schätzen, wie oft die kleinen Menschen vor ihm weggelaufen waren.

Seele eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt