Rhun nahm die Umgebung gar nicht wahr; sein erster Impuls war nur, nach Luft zu ringen.
Er lag auf der Seite; die Haut brannte und ein Fetzen davon hing von seiner Handfläche herunter.
Der Arzt stand auf Abstand. Er hatte eine Strickjacke an — eindeutig die Mode eines Menschen — die formlos an seinem mageren Körper herunterfiel.
»Veu Rhun. Guten Morgen. Wir sind mit Ihrer Untersuchung für heute Nacht durch.«
Allmählich sickerte zu Rhun durch, wo er sich befand. Sein Kopf schmerzte, die Glieder pulsierten, als wären sie entzündet... und er hatte keine Ahnung, was Realität und was Traum war. »Ich war eine ganze Nacht hier?«
»Ich befürchte, die nächsten Tage werden Sie nur noch auf meinem Tisch liegen.«
»Mit Verlaub. Ohne aufzuwachen?«
»Exakt, Veu. Sie haben bis heute Abend noch etwas Freizeit. Dann sind Sie erstmal nicht ansprechbar, bis auf weiteres.«
Er richtete sich schräg auf. Seinen eigenen Worten schenkte er kaum Bedeutung. »Habe ich das... gefährlichste überstanden?«
»Nein.« Turem fasste um Rhuns Arm, um ihm aufzuhelfen.
Es war zu früh, um aufzustehen, doch Rhun wagte nicht, zu widersprechen. Er ließ die Eindrücke langsam auf sich wirken. Der karge Raum, die Bleiglasfenster, die die Straße überblickten, prunkvolle Bücher auf gebogenen Brettern... Er trug noch immer sein rotes Hemd, auch, wenn es faltig war.
»Ist es in Ordnung? Können Sie stehen?«
Rhun hatte solche Schmerzen, dass er sich selbst auf seinem Gehstock nicht halten konnte. »Ja.«
Turem rieb sich mit der Hand über seine weißen Augen. »Gut, Veu. Ich empfehle, dass Sie sich noch einmal Schlafen legen, bevor wir heute Abend fortfahren.«
Auch Seel stand im Raum. Die Cruorin tat sich kaum mehr, als eine blasse Silhouette hervor, die ebenso gut aus Rhuns verwirrtem Verstand hätte stammen können.
Seel. Sie musste sich wenigstens nicht darüber sorgen, ob sie eine Seele hatte.
»Veu Turem«, begann sie langsam, aber streng. »Ich empfehle, dass auch Sie zu Bett gehen.«
»Gibt es Post für mich?«
»Keine von Relevanz.«
»Alles ist von Relevanz, Seel-«
»Und so ist es Ihr Schlaf, Veu.« Sie blinzelte nicht, als wolle sie den Moment in ihr Gedächtnis einbrennen. Von der Ferne war sie eine Statue; regungslos und anmutig. Schließlich trat sie vor. Die Hand mit einem Handschuh aus Spitze verziert, half sie Rhun, sich zu stützen. Sie war wesentlich kleiner als er, doch ihr Griff war von herausragender Kraft. »Ich begleite Sie auf Ihr Zimmer, Veu Rhun. Ich kann Ihnen auch das Gemach von Ihren- Ihren Freunden zeigen.«
»Das sind nicht meine Freunde.« Gleich, wie geschwächt Rhun war, er hätte immer genügend Energie, das klarzustellen. »Ich habe keine Freunde.«
Turem räumte gerade einige Gläser auf ein leeres Regalbrett, während er sagte: »Es wird vielleicht Zeit, dass Sie sich daran gewöhnen.«
Seels Kopf schoss zu ihm herum. Dann drückte sie Rhun vorwärts — die Berührung ging mit Qual einher, wie nach einer Auspeitschung. »Veu Turem ist müde. Er weiß nicht, was er sagt.«
Rhun murmelte Turem dennoch einige Worte des Danks zu, woraufhin der Cruor nur nickte. Die Gläser klapperten; der Arzt schien sie mehr zu werfen, anstatt sie ordentlich darauf zu stellen.
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Seele eines Cruors
Fantasía»Für die, die leben, ist der Tod nicht greifbar!« Der Untergang von Brus hat Existenzen zerstört. Flüchtlinge verteilen sich in den umliegenden Dörfern, kriminelle Gruppen bilden sich und die Hafenmetropole wird zum Brennpunkt des Schreckens. Chase...