Scarlett hatte einen Stapel warmer Handtücher in den Händen. Die Arbeit hatte sofort begonnen — gnadenlos, wie Jade sagte — und nun standen die zwei Formwandler in dem unterirdischen Teil einer angesehenen Klinik.
Die Luft war feucht und stickig. Kräuter, Laternen und Schwerter baumelten an den Wänden. Die Waffen waren nicht abgeschirmt; jeder hätte darauf Zugriff.
Nur zwei Ärzte arbeiteten in den finsteren Gängen. Wenn eine wildgewordene Monster-Gestalt aggressiv werden würde, würden selbst die Waffen nur notdürftig helfen.Die Heilpraktikerin, die sich mit dem skurrilen Namen Saffile vorgestellt hatte, winkte Scarlett zu sich heran. Sie deutete mit einem Nicken auf einen versperrten Durchgang. Hinter zerbrechlichen Perlen, die bei jedem Windstoß lautstark klimperten, befand sich eine dicke Holztür. In den großen Planken hatte man Gebete eingraviert, die an das Schicksal vergangener Herrscher erinnerten.
»Dahinter sind die stark Infizierten?«, fragte Scarlett stumpf und verlagerte die Tücher so, dass der Duft von Seife in ihrer Nase stach.
»Exakt. Das ist... Das könnte erstmal ein unschöner Anblick werden.« Saffile zeigte nun auf die Waffen, die neben einem Treppenaufgang hingen. »Sie können kämpfen, richtig?«
»Ja.«
Kämpfen. Scarlett musste aufpassen, sich nicht nach Jade umzusehen. Die Verantwortung, Monster durch einen Fehler freizulassen, war zu viel. Für mögliche Tote wollte sie nicht alleine verantwortlich sein.Doch sie ließ ihre Tücher auf einen Hocker fallen, um stattdessen ein Schwert zu nehmen. »Was haben wir vor?«
»Eine Untersuchung. Wir müssen ihn dafür in den Nebenraum schaffen.« Die Frau gestikulierte unpräzise zu einem weiteren Durchgang, der sich entfernt in eine Wand grub. Ein notdürftiges Tor war darin eingelassen worden.
»Sollen wir ihn locken... Oder?« Scarlett war zu abgelenkt, um ihren Satz zu beenden. Ein helles Klingeln durchflutete die Gänge als Saffile sich in den Perlenvorhang stellte.
Dafür war der also gedacht. Wenn jemand die Kammer verließ, oder betrat, würde man es hören können.
»Ich gebe ihm ein Beruhigungsmittel. Dann sollten wir ihn führen können, ohne dass er uns angreift.«
Scarlett nickte abwesend. »Noch weitere Sicherheitsvorkehrungen?«
»Ja.« Mit dem Wort warf sie der Formwandlerin eine Kupfermaske zu, die ein halbes Gesicht verdeckte. Der Gegenstand war warm; Saffile musste ihn eng am Körper getragen haben. »Setz die auf. Sonst wirst du auch schläfrig.« Aus den tiefen Taschen ihrer Strickjacke zog die Ärztin ein kugelförmiges Objekt heraus. Die Erfindung schien schwer in ihrer Hand zu liegen. »Aus Brus«, erklärte sie stolz, während sie das goldene Metall drehte. Ein Deckel öffnete sich und sofort setzte sie die Maske auf ihr Gesicht.
Scarlett tat es ihr gleich.
Mit einem hohlen Knall wurde die Tür aufgerissen, die Perlen klingelten erneut und die Kugel wurde in den Raum geworfen. Mit einigen raschen Bewegungen verschloss sie den Durchgang wieder.
Nur einige gedämpfe Geräusche traten zu ihnen. Husten, wie Scarlett erschreckt heraushörte. Es waren klägliche Laute; voller Schmerz und kaum menschlich — als stecken die Menschen im Körper eines wilden Tiers.
Saffile deutete ihr an, einige Sekunden zu warten. Währenddessen wippte die Frau mit dem Kopf, starrte an die Decke.
Unruhig schaute sie den Gang entlang, in der Hoffnung, Jade zu erspähen. Doch die andere Formwandlerin war in der kleinen Kammer verschwunden, in der sie schliefen, und seither nicht mehr aufgetaucht. Es waren erst einige Stunden seit ihrer Ankunft vergangen und schon drückte sie sich vor der Arbeit.
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Seele eines Cruors
Fantasy»Für die, die leben, ist der Tod nicht greifbar!« Der Untergang von Brus hat Existenzen zerstört. Flüchtlinge verteilen sich in den umliegenden Dörfern, kriminelle Gruppen bilden sich und die Hafenmetropole wird zum Brennpunkt des Schreckens. Chase...