Kapitel 19;2 - Menschlich im Kern

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Die nächsten Tage waren zäh wie Schinken und ließen einen ebenso unangenehmen Nachgeschmack.

Es war nie ruhig geworden in der Stadt. Nachts kamen immer mehr Monster, die unter die Fenster huschten, während mehr Menschen die Regierung anzweifelten... und es gab keine vernünftige Lösung, außer die Leute einzusperren.

Caden hasste, dass sich alles wiederholte. Er hasste Weyfris; er hasste den wirren Verstand, der ihr Schicksal zu verantworten hatte... Und er war unzufrieden mit jedem Atemzug, der einer Verschwendung glich.

Einen Tag hatte er damit verbracht, nach seinem Vater zu suchen. Schnell war er auf eine Adresse gestoßen. Den Mut, hinzugehen, konnte er jedoch nicht aufbringen. Seine Beine erschlafften unter der Vorstellung, sich den kalten Augen zu stellen; die väterlichen Hände auf den Schultern zu spüren und... Er wusste nicht, was dann geschehen würde. Sollte er von Nya erzählen?

Er müsste erklären, wieso er nicht mit ihr da war.

Die Leere in seinem Leben füllte er durch Gespräche mit Kenga und Nicht-Scarlett. Die Frau verbrachte ihre Zeit in der Bibliothek, wo sie oft von einer Cruorin begleitet wurde.

Kenga hatte etwas interessanteres herausgefunden — wobei auch dieser Fakt belanglos war.

Chase Harding schlief nachts zwischen den großen Regalen in der Bibliothek. Man hatte ihm dort eine Decke und ein Kissen in einen Korb gelegt. Die Fenster waren dünn; zudem hörte man das rhytmische Summen eines Kristalls, der in der Ecke stand.
Es war nicht still. Es war nicht dunkel. Ein Mörder wie er hatte seine eigene Definition von Ruhe. Und vielleicht, überlegte Caden, versuchte Harding dort vor seiner Vergangenheit zu fliehen.

Die drei Männer waren jeden Morgen zusammen. Und Caden war — selbst für seine Verhältnisse — ungewöhnlich früh wach. Sie saßen, wenn es noch dunkel war, in einem Esszimmer, das Turem gehörte, und unterhielten sich über die Dinge, die sie noch nicht voneinander kannten.

Wobei das Gespräch immer wieder zu Brus, zu Eos und zu Asche zurückfand. Wann immer man über ihre Siedlung, oder auch nur über Dolunay sprach, wurde man abgeschnitten. Chase hatte seine Dominanz nicht verloren.

Offensichtlich scheiterten sie alle daran, das Geschehene zu verarbeiten.

Selbst das Essen für Harding, das man ihnen hier auf den Tisch stellte, rührte er kaum an. Vielleicht war er mit der Auswahl überfordert. Anders als Kenga und Caden war er in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Das vergaß man schnell, wenn man das feine Hemd sah, in das man ihn gekleidet hatte, die selbstbewusste Haltung, Hardings gepflegte Haut.

Caden wusste nicht wie, aber Chase hatte es geschafft, seinen Ehering aus Brus zu retten — und dieses kleine Stück hatte nicht nur eine Flucht, Kämpfe und Gewalt überlebt, sondern auch das Verhör überstanden. Eigentlich hatte man ihnen alles abgelegt, bevor sie in Brus verhört worden waren. Eigentlich. Ein Dieb hatte immer seine Mittel, etwas zu verstecken. Und Chase war ein außerordentlich guter.

»Was ist das?«, fragte Harding nun, mit dem Blick auf eine kleine orange-gelbe, fasrige Scheibe, die Kenga auf sein Brot legte.

Kenga sah ihn nicht einmal an, als er antwortete: »Das ist Edelkäse von den Kühen aus DaChau.«

»Das sieht außerordentlich zäh aus.«

»Zäher als du kanns nicht sein«, gab Kenga zurück.

Hardings Blick war hart, wenig amüsiert, aber er startte den Nachtschwärmer so lange an, dass es deutlich wurde, dass er die Situation nicht ernst nahm. »Ich hoffe«, sagte er leise. »Dass du diesen Käse genießt. Mit euren Hörnern seid ihr Nachtschwärmer ja auch nicht weit von Kühen entfernt.«

Seele eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt