Kapitel 10;2 - Schnitte für die Liebe

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Es gab so viel Hass unter den Menschen; nur noch die Liebe war tödlicher.

Dolunays Herz sackte herunter, im selben Moment, als Asche auf dem Boden aufschlug.

Vielleicht atmete sie noch. Wahrscheinlich tat sie das. Sterben durfte sie nicht — nicht jetzt. Nicht deswegen.

Blut sammelte sich unter ihren Füßen an. Dolunay sank auf die Knie, tastete über die braunen Haare der Frau.

Alles, was außerhalb geschah, verschwand. Irgendwo kämpfe Harding; dann war da noch Caden; in weiterer Ferne trafen Klingen aufeinander. Doch es war ihr egal.

»Was«, hauchte sie nur, während sie Asche herumdrehte. Die Wunde in ihrer Seite war nicht tödlich — nicht, wenn sie sich nicht entzündete und schnell behandelt wurde. »Oh nein« Sie schaute in die glasigen Augen der Frau — versuchte etwas darin zu finden, das nicht kompletter Schock und Hass war.

Dolunay riss den Kopf zu Harding herum. »Was hast du getan!?«

Der Mann atmete heftig durch, schaute ausdruckslos auf den Boden, wo sie saßen. Seine Schultern waren angespannt — nicht aus Gefühl, sondern reiner Disziplin; als habe er aus einem Befehl heraus gehandelt... Als würde er diesen Befehl als Ausrede nehmen.
Schließlich wandte er sich ab, um in eine Gasse zwischen die Häuser zu blicken. »Ihr könnt alle nicht mehr kämpfen. Ihr seid nicht bei vollem Verstand!« Mit großen Schritten taumelte er zu Asche, nahm sie auf seine Arme und deutete Dolunay an, ihm zu folgen.

Nach der willkürlichen Opferung von Asche sollte er Wörter wie "Verstand" nicht in den Mund nehmen. Doch die Anfuhr blieben in ihrer Kehle stecken. Ihre Bewegungen waren mechanisch — als sei ihr Bewusstsein in Harz gefangen, während ihr Körper handelte.

Sie musste sich seitlich an einer Laterne festhalten, als sie in die Gasse einschwenkten. Neben einem verlassenen Geschäft stand Kenga, dessen Miene verrutschte, als er sie sah. »Soll ich mit dir tauschen und kämpfen?«, fragte er, bevor er Asche entgegennahm.

Chase gestikulierte mit einer schneidenden Bewegung — ungewöhnlich für ihn und daher nur beunruhigender. »Ihr kämpft nicht. Ihr habt es zu lange nicht. Dieses Wetter ist unberechenbar!«, er schrie durch den schneetreibenden Wind; Dolunay bildete sich ein, dass er verweint klang. Er fuhr sich über das Gesicht. Das dreckige Schwert hing schlaff an seinem Bein. »Ihr bleibt. Caden kann auch nicht mehr. Ich sehe es nicht ein, euch jetzt alle hier aufspießen zu lassen!«

»Wir können kämpfen. Deswegen sind wir doch überhaupt bei dir«, protestierte Dolunay.

»Das ist nichts wert, wenn ihr umkommt!« Harding nickte ihr zu — und etwas Stummes schlich sich dazwischen, das sie nicht benennen konnte. »Ich hab schon genug Leute sterben sehen. Jetzt kümmert euch um Sichel!«

Kenga schien zu gehorchen, ohne nachzudenken. Als trage er nicht genug Last, legte er eine große Hand auf Dolunays Schulter und führte sie weg vom Geschehen — wo Tod, Rufe und Gewalt die Menschlichkeit zerfetzten.

Das Geschäft war ein damaliges Atelier, vermutete sie. Farbe war längst getrocknet auf dem Boden; einige Skizzen hingen noch immer an den Wänden, eine Staffelei lag in der Ecke. Der Raum erschien, als sei er in Eile verlassen worden.

Kenga legte Asche auf eine Bank, die auf einer Erhöhung stand.

Dolunay horchte in die Ferne — und hasste ihr Wissen, dass dort Menschen starben. Sie wusste, dass Oryn auf dem Dach saß und nichts tat. Nachwievor war er ein Aart und hasste Gewalt — auf die eigentümliche, verschrobene Weise, wie auch sie es tat.

Vielleicht veränderte sich die Mentalität der Aart bald; weil sie es müsste. Vielleicht würden sich die Aart den Menschen anpassen auch bald in Kriege ziehen.

Seele eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt