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Seit dem Tag, an dem ich wegen des Blutes total in Panik geraten bin, sind schon wieder zwei Tage vergangen, doch die beiden Nächte waren mehr als nur unerträglich für mich.

"Willst du darüber reden?", fragt Felicia plötzlich und schon zucke ich erschrocken zusammen, da ich sie überhaupt nicht bemerkt habe.

Seit zwanzig Minuten sitze ich nun schon mit meiner Bettdecke auf den Stühlen der Terrasse und starre nachdenklich in den Wald.

"Nicht wirklich", lächle ich zaghaft und lege mein Kinn auf meinen angewinkelten Knien ab.

"Soll ich Micah vielleicht Bescheid sagen? Er würde sich bestimmt einen Moment nehmen, um sich mit dir zu unterhalten, wenn du nicht mit mir reden magst", sagt sie ruhig und ziemlich sorgsam, während sie etwas näher kommt.

"Mit Micah will ich am wenigsten darüber reden", sage ich etwas ernster, sehe dennoch weiter zwischen die vielen Bäume.

Zögerlich läuft sie an mir vorbei und setzt sich auf den Stuhl, der links von mir steht, doch sie sagt kein Wort und sitzt einige Minuten einfach nur stumm neben mir.

"Als ich klein war, hatte ich es mit meinem Vater ziemlich schwer", beginne ich jetzt doch und sehe auf die Holzbalken der Terrasse, auf der wir uns befinden.

"Er war ständig betrunken und manchmal sogar total mit Drogen zugedröhnt. Außerdem ist ihm schnell mal die Hand ausgerutscht", sage ich und spüre jetzt schon, wie unwohl ich mich dabei fühle davon zu erzählen, da ich meine Vergangenheit noch nie auch nur irgendwem offen gelegt habe.

"Einmal hat er mir so eine heftige Ohrfeige gegeben, dass mir schwarz vor Augen wurde, ich gefallen bin und mir den Kopf an unserem alten Wohnzimmertisch angeschlagen habe", erzähle ich und beginne sofort unwohl damit, mir irgendwelche Strähnen zu nehmen und sie vor meine Schläfe zu schieben, an der sich die kleine Narbe befindet.

"Als ich wieder klar denken konnte, saß er schon wieder mit seinem Bier in der Hand auf dem Sofa und hat in die alte Glotze gestarrt, die er schon hatte, seit ich denken konnte, da er sich keine neue leisten konnte. Ich habe das Blut an meinen Händen gehabt und total panisch darauf gesehen, als er mich angebrüllt hat, dass ich alles wegwischen soll und nur mehr Probleme bekomme, wenn ich es irgendwem erzählen würde, also hat sich die Panik nur angehäuft."
Sie sagt nichts und lässt mir alle Zeit der Welt.

"Ich hab natürlich sofort alles weggewischt und als ich mit dem Wohnzimmerboden fertig war, habe ich das Blut aus meinem Gesicht gewaschen, doch sobald ich wieder auf meine Hände gesehen habe, hatte ich plötzlich eine totale Panikattacke. Ich wurde hysterisch, habe das Blut versucht so schnell loszuwerden, wie es ging, doch im Endeffekt habe ich zehn Minuten damit verbracht mir die Hände mit der Bürste wund zu schrubben", erkläre ich und zeige ihr meine Hände, die auch jetzt wieder überall kleine verkrustete Wunden haben.

"Vor ein paar Tagen ist dann etwas Blut auf meinen Händen gelandet und irgendwie bin ich sofort wieder panisch geworden", lächle ich schwach und sehe das erste Mal zu ihr, wobei ich ihren mitleidigen Blick entdecke, den sie stumm auf mich gerichtet hat.

"Geht es dir wieder besser?"

"Abgesehen von ein paar schlechten Träumen", antworte ich nun mit einem ehrlichen Lächeln, das mehr Wert hat, als das, welches ich ihr gerade gezeigt hatte.

"Ich weiß ja, dass es niemals wieder vorkommen kann, also ist es einfacher, als es damals war", versichere ich ihr.

"Felicia, meine Hübsche!", unterbricht plötzlich eine bekannte Stimme diese bedrückte Stimmung, weshalb ich meinen Kopf sofort zur Tür drehe und Danny ziemlich dankbar darüber ansehe.

"Derrick hat Probleme gemacht und du wirst zu Hause verlangt, um Streit zu schlichten", erklärt er lächelnd und zwinkert mir zu.

"Das ist dann wohl mein Stichwort", sage ich und stehe auf, ehe ich die Decke fest um meine Schultern ziehe und zur Tür gehe, an der Danny mit verschränkten Armen steht.

"Danke, dass du dir das angehört hast", sage ich noch zu Felicia, die mir mit einem warmen Lächeln zunickt.

Dann drehe ich mich zur Tür, gehe einige Schritte und schiebe sie auf, ehe ich mich zur Seite lehne und mit meinem Gesicht nah an Danny’s Ohr gehe.

"Ergibt immer noch absolut keinen Sinn", lächle ich und schlüpfe dann schnell durch die Tür.

"Machst du dich immer noch über meinen Spitznamen lustig?! Ist das zu glauben, Feli?!", fragt er laut, was mich wieder zum Lächeln bringt.

Höchstwahrscheinlich hat er einiges mit angehört, weshalb ich ihm umso dankbarer dafür bin, dass er sich genauso verhält, wie er es immer tut, doch die Sache mit seinem Spitznamen ist absolut unverständlich für mich.

Dass mich alle Lilo nennen liegt alleine daran, dass Micah damit begonnen hat, doch bei mir ist es so, dass Micah mich mit dem Charakter aus dem Disney Film identifiziert.

Bei Danny ergibt es für mich keinen Sinn.

Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, laufe ich durch den Flur, wieder in mein Zimmer hinein, schließe die Tür hinter mir und steuere sofort auf mein Bett zu.

Sobald ich wieder gesund bin, werde ich damit anfangen, in der Stadt die Bilder auszudrucken.

So ein atemberaubendes Wesen muss einfach meine Wand schmücken.

Dieses reine weiße Fell und diese unbeschreiblich schönen bernsteinfarbenen Augen.

In meinem gesamten Leben, war dieser Wolf der erste, den ich jemals zu Gesicht bekommen habe.

In meiner Kindheit gab es immerhin keine kleinen Familienausflüge in den Zoo, oder sowas Ähnliches.

Ich kannte solche wunderschönen Tiere nur aus Filmen, Serien, Dokumentationen oder von Bildern.

Ich hoffe, dass ich dem Wolf bald wieder begegne.

An Enigmatic GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt