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"Ein blaues Förmchen hat gefehlt, also bekommst du jetzt das mit dem roten, weil es einfach nicht dazu passt", sagt er wieder total neutral, was die nette Geste sofort ruiniert.

Ich starre noch einen Moment auf die Flamme, doch als ich im Augenwinkel seinen Oberkörper sehe, entdecke ich sofort seinen rechten Hüftknochen.

Total verwirrt hebe ich meine rechte Hand an, fahre mit den Fingern über seine glühende Haut und werde sofort von ihm aufgehalten, als er nach meiner Hand greift.

"Was soll das?", fragt er streng.

Mit ernster Miene sehe ich wieder zu ihm auf und blicke direkt in seine Augen, während er meine Hand immer noch fest in seiner hält.

"Was das soll? Wo zum Teufel ist die Wunde hin? Da ist ja nichtmal ein Kratzer über, geschweige denn eine Narbe", sage ich nun etwas ernster, doch er zieht die Brauen zusammen.

Langsam wird seine Miene etwas weicher und schon lässt er von meiner Hand ab.

"Keine Ahnung, wovon du sprichst", sagt er trotz seiner sanfteren Miene mürrisch und pustet die Kerze aus, ehe er den Teller hinter mich auf die Arbeitsfläche stellt.

Dann dreht er sich um und räumt die Backformen weg.

"Iss ihn oder lass es sein. Meine Aufgabe ist erfüllt, also gehe ich wieder schlafen", murrt er, schiebt dabei seine Hände in die Taschen seiner Jogginghose und geht auf die Tür zu, doch sofort lege ich das Gemüse hinter mich und laufe ihm hinterher, ehe ich nach seinem Unterarm greife und ihn in meine Richtung ziehe.

So einfach lasse ich mich nicht als dumm abstempeln.

"Versuch mich nicht für dumm zu verkaufen! Du hattest diese riesige Wunde und plötzlich ist nichts mehr von ihr zu sehen!", sage ich fast schon wütend, doch er blickt mich mahnend an, da ich ihn wiedermal ohne Erlaubnis berührt habe und mittlerweile ist mir klar, dass er es überhaupt nicht leiden kann.

"Hast du dir wahrscheinlich nur eingebildet und jetzt lass mich los", mahnt er streng.

"Ich habe es mir ganz sicher nicht eingebildet! Danach habe ich Panik bekommen und konnte nächtelang nicht schlafen!", sage ich nun noch lauter, da er wirklich denkt, er könne mich auf den Arm nehmen.

Wie kann so eine schlimme Wunde innerhalb von ein paar Wochen, einfach so verschwinden und nichtmal eine Narbe hinterlassen?

Das ist unmöglich.

"Moment", sage ich und sehe inzwischen noch genervter in sein Gesicht.

"Warst du überhaupt verletzt, oder hast du mich von Anfang an nur auf den Arm genommen? War das sowas wie eine Art Streich?"
Wieder hebt er eine Braue und sieht mich für einen Moment fragend an, so als wolle er versuchen mich zu verstehen.

"Für wie kindisch hältst du mich?", fragt er dann und zieht sich grob aus meinem Griff, doch sobald meine Hand seine Haut nicht mehr berührt, läuft mir sofort ein kühler Schauer über den Rücken und anschließend wird mir wieder kalt.

"Du hast es dir ganz einfach nur eingebildet. Jetzt geh mir nicht weiter auf die Nerven", murrt er und lässt mich einfach so im Flur stehen.

"Was soll ich denn auch von dir denken, wenn du dich ständig benimmst, wie ein bockiges Kleinkind!?", rufe ich ihm noch schnippisch hinterher und drehe mich dann genervt zurück zu Isaac, der gerade fleißig dabei ist, den roten Muffin zu verdrücken.

Sofort muss ich einfach wieder lächeln.

**

"Komm doch wenigstens mit und setz dich zu uns", sagt Micah nun schon zum dritten Mal.

"Als Felicia gesagt hat, dass sie eine riesige Party für Isaac schmeißt, hat sie vergessen zu erwähnen, dass die Party im Reservat gefeiert wird", sage ich und umfasse das Buch in meinen Händen fester, während ich meine Beine ebenfalls näher an meinen Körper ziehe.

"Du hast gesagt, dass Derricks Worte dich nicht interessieren. Du kannst doch jetzt nicht den ganzen Tag hier auf der Ladefläche von Felicia’s Wagen sitzen und lesen. Geburtstage werden hier total hoch angesehen", erklärt er und verschränkt die Arme vor der Brust.

"Das habe ich nur gesagt, weil ich dir keine Sorgen bereiten will. Außerdem habe ich das Gefühl, dass sich alle das Maul über mich zerreißen und das ist mir unangenehm", sage ich und sehe zu den vielen Leuten, die sich alle versammelt haben und immer mal wieder zu mir herüber schlinzen.

"Früher oder später wirst du dich auch öffnen müssen", sagt er und atmet laut aus, ehe er sich umdreht und dann wieder zur Menge geht.

Ich beobachte ihn noch dabei, wie er zu Felicia geht, ihr einen Kuss auf die Schläfe drückt und ihr dann etwas erzählt, ehe sie zu mir blickt und mich mitleidig ansieht.

Manchmal frage ich mich, wie es gewesen wäre, wenn ich von Anfang an hier aufgewachsen wäre und mich nie mit meinem Vater hätte herumschlagen müssen.

Wäre ich dann ein anderer Mensch?

Würde ich mich dann besser mit anderen Menschen verstehen?

Hätte ich dann vielleicht sogar Freunde?

Diesmal bin ich diejenige, die laut ausatmet, ehe ich meine Kopfhörer wieder auf den Kopf setze und mich dann wieder ganz auf mein Buch konzentriere.

An Enigmatic GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt