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"Soll ich mitkommen?", fragt Nael neben mir, während wir beide aus der Frontscheibe blicken und eine perfekte Sicht auf Silas haben, der seelenruhig mit dem Rücken zu uns steht und auf den Grabstein meiner Mutter blickt.

Die gesamte Fahrt über, haben wir uns unterhalten, bis ich all meine Fragen beantwortet hatte und er mir nur noch mehr Details gegeben hat.

Ich weiß jetzt alles.

Viel zu viel, könnte man sagen.

Doch einige Dinge weiß ich noch nicht.

Warum Silas das alles getan hat, zum Beispiel.

"Ich mache das schon", sage ich und öffne die Tür des Wagens.

Wir befinden uns hier oben auf einem hohen Hügel, auf dem eine alte Ruine steht.

Diese Ruine war mal ein Schloss oder sowas Ähnliches, doch mittlerweile sind es nur noch alte Ruinen, die wundervoll im grellen Licht des Mondes wirken.

Da der Hügel so hoch oben ist, ist es umso heller.

Silas hat mir unzählige Male erzählt, wie das Rudel die Verstorbenen hier aufgesucht hat.

Sie haben sie verbrannt und trotzdem einen Grabstein für jeden einzelnen angeschafft.

Ich war nie zuvor hier und hätte nicht gewusst, wie ich herkommen müsste, doch Nael kommt ebenfalls von hier.

Deshalb kannte er meine Eltern und deshalb kennt er Silas.

Außerdem war er tatsächlich mal ein Teil des Rudels.

Jedenfalls, bevor meine Mutter starb.

Als ich die Tür des Wagens zufallen lasse, rührt Silas sich nicht von der Stelle.

Er steht mit dem Rücken zu mir gedreht und hat die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben, während er auf den Grabstein meiner Mutter hinab sieht.

Wäre sie wirklich darunter begraben, würde ich ihn dafür verfluchen, sie so zu betrachten.

Es wirkt herablassend und respektlos.

"Ich hatte nicht geplant, dass es so passiert, Mazie, ich schwöre es", murmelt er, ohne sich zu bewegen.

"Musstest du das tun?", frage ich leise und gehe langsam den Hügel hinauf.

Er ist so weit weg, doch er hört mich auch so ohne Probleme.

So wie ich ihn ohne Probleme hören kann.

"Ich dachte, man könnte dir vertrauen", sage ich und gehe noch langsamer weiter.

"Musstest du das zerstören, was beinahe perfekt war?", frage ich, doch er beginnt zu lachen.

Ein tiefes und ekelerregendes Lachen.

"Es war niemals perfekt und wird es niemals sein. Nicht mit einem unreifen Kind als wahre Alpha", lacht er spöttisch weiter.

"Jetzt ist es alles weg", sage ich leise.

"Musstest du sie töten?", frage ich und werde ihm das niemals im Leben verzeihen.

Er stand dabei, hat sich all das angesehen und dabei zugesehen, wie ein Kind die Kontrolle verloren und die Mutter seiner Tochter zerfetzt hat, sodass ein Außenstehender sie erlösen musste.

"Sie war das Herz von dem Haufen Müll, den du ein Rudel genannt hast", spotte ich nun auch voller Hass und voller Abscheu auf ihn.

Nur noch ihn.

An Enigmatic GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt