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Während Derrick mit seinem Rücken am Kopf seines Bettes lehnt, lehne ich an ihm und irgendwie fühle ich mich so geborgen, dass ich mich nicht rühren will.

Als ich ihm vorhin sagte, dass ich nicht schlafen könnte, sagte er mir, dass es völlig in Ordnung sei, solange ich mir etwas Ruhe gönne, also sitzen wir nun hier.

In der ruhigen Stille, die mich wieder so müde macht, mir jedoch auch jegliche Möglichkeit freischaufelt, über all das nachzudenken.

"Hast du vorhin alles mitbekommen und es genauso zusammengesetzt, wie ich es getan habe?", frage ich und nehme seine Hand, die eben noch auf meinem Bauch gelegen hat.

Ich nehme jeden seiner Finger einzeln in meine Hand und realisiere, dass seine Hände viel größer sind, als meine, doch wen sollte das auch wundern?

"Wenn du damit meinst, dass Silas inzwischen ziemlich suspekt wirkt, dann schätze ich schon."
Bei diesem Gedanken atme ich sofort frustriert aus.

Ich kann zwar die ganzen Details nicht einfach ignorieren, doch glauben, dass Silas etwas Falsches getan hat, kann ich dennoch nicht.

"Ich habe immer bei meinem Vater gelebt, doch Silas war trotzdem immer da. Mein Vater hat mir verboten, ihn in irgendeiner Hinsicht als ein Mitglied meiner Familie zu betrachten", beginne ich und lehne mich näher an ihn, obwohl ich ihm eigentlich nicht noch näher kommen kann, da ich bereits an ihm lehne.

"Silas hat sich davon trotzdem nie abschrecken lassen. Er ist regelmäßig zu Besuch gekommen, hat mir kleine Geschenke mitgebracht und war nie alleine da. Er hatte immer irgendwen im Schlepptau. Meistens waren es entweder Blaze oder Fawn."
Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen, als ich realisiere, dass Micah und Silas mehr wie Väter für mich waren, als Cody es jemals hätte sein können.

Mit der Linken streicht er mein Haar glatt, ehe er sein Kinn auf meinem Kopf platziert.

"Cody, so hieß mein Vater, hatte immer Angst vor Silas und konnte ihm nie ins Gesicht sagen, wie sehr er ihn eigentlich gehasst hat, aber darüber haben Silas und ich uns immer hinter seinem Rücken lustig gemacht. Als Kind wusste ich immerhin noch nicht, dass es daran lag, dass Silas ein Wolf war."
Mir fällt nichts schwerer, als über meine Vergangenheit zu sprechen, vor allem, wenn ich mal über gute Erinnerungen spreche, da diese meistens am schmerzhaftesten sind.

Immerhin haben die schönen Momente nie lang genug angehalten.

"Jedenfalls war Silas immer da. An dem Tag, an dem ich mich das erste Mal verwandelt habe, war ich so verzweifelt. Ich saß weinend im Blut meines Vaters und blickte voller Panik auf seine Leiche. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, da mir niemand irgendetwas erzählt hatte. Dann kam er plötzlich in die Tür hinein. Blaze, Fawn und Jason hinter ihm. Silas ist sofort losgerannt und hat eine Decke geholt, die er über mich gelegt hat, ehe er mich aus dem Raum gebracht hat."
Ich mache eine Pause und versuche mich nicht zu genau an die Bilder von damals zu erinnern, doch mein Herz rast trotzdem.

"Nach diesem Tag hat er die ganzen drei Tage, die ich bei ihm geblieben bin, damit verbracht, mir alles zu erzählen, was ich wissen musste. Wie das mit dem Wolf sein ist, was ich tun muss, um die Kontrolle zu behalten, wovon ich mich fernhalten muss, einfach alles."
Instinktiv verschränke ich meine Finger mit denen von Derrick, weil mich dieses plötzliche Gefühl von Einsamkeit überwältigt.

"Wir hatten nur diese drei Tage, weil ich danach das erste Mal hergebracht wurde", lächle ich und spüre, wie er sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken streicht.

"Mein Vater war ein Monster, aber ich bin das größere Monster, welches ihn in Stücke gerissen hat", sage ich und lasse meinen Hinterkopf nach hinten auf seine Brust fallen.

"Ich habe das Gen so gut es ging bekämpft und mich bis vor einigen Wochen nicht verwandelt, aber als ich zurück nach Hause kam, wurde mir alles zu viel. Ich wurde sechs Jahre alleine gelassen, hatte keine Freunde und bin Menschen aus dem Weg gegangen, um nichts zu riskieren. Zuhause war es dann einfach zu viel und ich habe wieder die Kontrolle verloren. Blaze hat mich beruhigen können und als er damit fertig war, hat er mich mit Fawn auf mein Zimmer geschickt, wo ich mich zurückverwandelt habe. Fawn war für mich da, hat mit mir geredet und mich weiterhin ruhig gehalten."
Ich fühle mich bei ihm geborgen und die Tatsache, dass ich so gut wie nichts über ihn weiß, stört mich plötzlich gar nicht mehr so sehr, wie vorher.

"An dem Tag wusste ich, dass ich versagt hatte und dass ich das Gen für den Rest meines Lebens in mir tragen würde", erkläre ich ihm.

Als er seinen linken Arm dann um mich legt und mich noch näher an sich zieht, muss ich einfach lächeln.

Jedoch habe ich noch eine Sache loszuwerden.

"Weißt du", beginne ich und lasse von seiner rechten Hand ab, ehe ich seinen Arm so platziere, dass beide seiner Arme um mich gelegt sind.

"Wenn du mit dem Wissen aufwächst, dass du alleine und gehasst bist, gewöhnst du dich daran. Dann eine Person um dich zu haben, die dich anders fühlen lässt, ist zwar schön, wirkt aber trotzdem, wie ein Fiebertraum. Kurz und unfassbar schmerzhaft, weil du genau weißt, dass es nicht lange anhält und es bald wieder schlimmer wird."
Ich lege beide meiner Hände an seine Arme und nehme seine Wärme auf, auch wenn ich mittlerweile eine ähnliche Körpertemperatur habe.

"Silas ist ein Mensch, der rein ist, Derrick", sage ich noch, doch es klingt so, als wolle ich mich selbst davon überzeugen.

"Dann lass uns hoffen, dass er auch ein reiner Wolf ist", raunt er leise, ehe er mir einen flüchtigen Kuss auf den Ansatz drückt.

An Enigmatic GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt