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Atemlos platzen wir Hand in Hand in das Haus von Aeryn, ehe Derrick mich in die Richtung des Krankenzimmers zieht.

"Wo zur Hölle wart ihr denn?", kommt es sofort von einer bekannten Stimme, die uns zum Stoppen bringt.

Wir drehen uns um und betrachten die bekannten Leute, die alle ziemlich besorgt im Wohnzimmer warten.

Danny und Davina blicken gleichzeitig an uns beiden auf und ab, ehe die beiden sich ansehen und zu prusten beginnen.

Danny hält sich die Hand an den Bauch, kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein, während Davina ihm mahnend, jedoch ebenfalls lachend auf die Schulter haut.

Derrick knurrt neben mir und lässt nicht von meiner Hand ab, während mir die röte nur so ins Gesicht schießt.

"Geh zu deiner Schwester. Ich warte hier", sage ich, als ich mich zu ihm drehe und ihn ziemlich beschämt darüber betrachte, dass die beiden es sofort bemerkt haben.

Unsicher blickt er mich an, doch als wir das schmerzhafte stöhnen von Felicia hören, sieht er sofort besorgt hinter sich.

"Geh ruhig", sage ich wieder und löse eigenständig meine Hand von seiner.

Wieder blickt er zu mir, kommt mir dann jedoch näher und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich umdreht und verschwindet.

Für einen winzigen Moment, in dem die Tür sich öffnet, werden die schmerzhaften Geräusche lauter, doch als die Tür sich dann wieder schließt, werden sie wieder etwas gedämmt.

Unbeholfen fahre ich mir durch die zerzausten Haare und traue mich nicht einmal, mich umzudrehen, da Danny noch immer hinter uns lacht.

"Jaden, jetzt sei doch mal still", kommt es ziemlich kleinlaut von Fawn, also drehe ich mich doch um.

In diesem Raum sitzen Davina, Danny, Fawn, Beatrix und ein etwas älterer Mann, den ich bisher noch nie gesehen habe.

"Habt ihr nichts Besseres zu tun, als euch miteinander zu vergnügen, während Felicia ihr Kind bekommt und weitere Leute aus der Stadt verschwinden?", fragt Beatrix mich unglaublich zischend.

Ich brauche einen Moment, um das Schamgefühl bei Seite zu schieben und zu verstehen, was sie da gerade gesagt hat.

"Es verschwinden noch mehr Leute?", frage ich und bin nun diejenige, die plötzlich so kleinlaut ist.

Ich sehe zu Danny, will damit erreichen, dass er mir antwortet, da er immer die Wahrheit sagt, doch als er sich beruhigt, sich räuspert und dann auch noch nickt, fühle ich mich grottenschlecht.

Wieso?

Woher kommt das alles?

"Wer war es eigentlich?", fragt Davina in die Runde und sieht dabei zu dem alten Mann und Beatrix hinüber.

"Einer aus dem Rudel. Er hat am Stadtrand gewohnt. Seit einigen Tagen hat ihn niemand mehr gesehen, also wollten wir nach ihm sehen. Alles ist unberührt, all seine Sachen noch da, doch von ihm war keine Spur", erklärt Danny, während der alte Mann nachdenklich zu nicken beginnt.

"Das ist doch alles einfach nur grauenhaft. Wie können Menschen einfach so verschwinden?", fragt Fawn mit zittriger Stimme.

Ein schreckliches Gefühl von Angst überkommt sie und auch Danny scheint es zu spüren, weshalb er sorgsam nach ihrer Hand greift.

Das ist es eben.

Es ist nicht möglich.

Menschen können sich nicht einfach so in Luft auflösen und keine Spur auf ihren Aufenthaltsort zurücklassen.

Das ist einfach unmöglich.

Außer...

Nein.

Das ist eine alte Legende, eine Schauergeschichte.

"Was ist?", fragt Fawn, die meine Unruhe zu spüren scheint, also sehe ich von Boden auf und direkt in ihr Gesicht.

Oder?

Alle anwesenden blicken mich an und warten darauf, dass ich etwas sage, doch was soll ich bitte sagen?

Sie würden mich alle für verrückt erklären.

Hinter mir werden die schmerzhaften Stöhner zu leisen und gequälten Schreien, doch mein Verstand ist ruhig.

"Keine Anzeichen auf einen Kampf, keine Spur dafür, dass die Leute wegwollten?", frage ich und bekomme als Antwort einige schüttelnde Köpfe.

"Was ist, wenn es keine logische Erklärung dafür gibt? Wenn es nur eine übernatürliche und legendäre Erklärung dafür gibt?", frage ich und setze mich endlich auf den Sessel.

"Was hast du im Sinn?", fragt der alte Mann, dessen Stimme mich irgendwie beunruhigt und gleichzeitig Weisheit ausstrahlt.

Er hat graues Haar, mit schlichten schwarzen Strähnen darin und braune Augen.

"Haben sie schonmal von der Wilden Jagt gehört?", frage ich unsicher darüber, ob ich mich nicht lieber gleich in eine Irrenanstalt einweisen lassen sollte.

"Wilde Jagt?", fragt Danny total verwirrt, doch ich nicke nur, ohne meinen Blick von dem alten Mann zu nehmen.

"Die Wilde Jagt ist eine Folklore, Mädchen. Sie ist nicht echt", argumentiert er.

"So denken manche auch von Werwölfen und hier sitzen wir und warten darauf, dass ein weiterer von uns das Licht der Welt erblickt", argumentiere ich zurück und sehe ihn ernst an.

"Die Wilde Jagt wird auch das Wilde Heer genannt. Sie bezieht sich auf eine Gruppe von übernatürlichen Jägern, die über den Himmel jagen", erkläre ich und sehe zu Danny, der immer noch so aussieht, als würde er kein Wort verstehen.

Ich setze mich anders hin und lehne mich nach vorne, während ich Danny bedacht betrachte.

"In manchen Regionen verspricht die Beobachtung der Wilden Jagt den Tod desjenigen, der sie gesehen hat. Andere Versionen behaupten, dass die Zeugen Teil der Wilden Jagt wurden, oder dass die Wilde Jagt, die Seelen von Schlafenden einfach mit sich gezogen hat", erkläre ich weiter und nun scheint Danny langsam zu verstehen.

Eine ganze Weile bleibt es still, während wir alle darüber nachdenken und nur die Geräusche der laufenden Geburt wahrnehmen.

Es klingt absurd, aber es würde Sinn ergeben.

"Was ist der Haken?", fragt Beatrix plötzlich und unterbricht die Stille in diesem Raum.

Alle sehen zu ihr, auch der alte Mann.

"Wenn ich eine Sache mit den übernatürlichen Dingen gelernt habe, dann dass sie immer einen verdammten Haken haben. Also..."
Sie lehnt sich nach vorne und sieht mich intensiv an.

"Was ist der verfluchte Haken?", fragt sie wieder und bringt mich damit fest zum Schlucken.

Ich sehe ihr tief in die bernsteinfarbenen Augen, die Dannys so ähnlich und doch so unterschiedlich sind.

"Sie gilt auch als Vorbote für Kriege, Dürren, Krankheiten oder den reinen Tod", beantwortet der alte Mann ihre Frage für mich.

Alle sehen nun ihn an und wirken beunruhigt.

Ich bin es auch.

Wenn es wirklich die Wilde Jagt ist, dann stecken wir in Schwierigkeiten.

Beatrix lacht spöttisch auf, lehnt sich dabei nach hinten und legt sich dann Daumen und Zeigefinger an den Nasenflügel.

"Klasse. Jetzt müssen wir herausfinden, ob es sich wirklich um die Wilde Jagt handelt und dann müssen wir uns auf all diese vier Dinge vorbereiten", lacht sie freudlos auf, was mich ebenfalls unglaublich schlecht fühlen lässt.

Ich rutsche nach hinten, schlage das eine Bein über das andere und bin einfach still, während ich über all das nachdenke.

An Enigmatic GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt