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Ich stehe vor ihm, packe nach seinem Kinn und richte es nach oben, sodass er mir in die Augen sehen muss.

"Hast du den Verstand verloren?", frage ich mit scharfer Stimme, bleibe jedoch so ruhig, wie es mir in dieser Situation möglich ist.

"Ich habe die Kontrolle verloren", sagt er schuldbewusst.

"Rosa war anwesend", sage ich und wischen ihm das Blut aus dem Gesicht, doch keine Wunden sind mehr zu sehen.

"Ich bringe ihn um", murmelt Derrick hinter uns, der ständig von Danny zurückgehalten werden muss, doch ich ignoriere ihn absichtlich.

Was tue ich jetzt mit den beantworteten Fragen?

Wie gehe ich mit den ganzen Situationen um?

Ich muss wissen, worum es in diesem Streit ging.

Irgendetwas muss Blaze so wütend gemacht haben, dass er, auch ohne das Gen in sich zu tragen, vollkommen die Kontrolle über seine Wut verloren hat.

"Ich wollte dich nicht schlagen", sagt er und hebt die Hand, ehe er mir mit dem Daumen das Blut von der Unterlippe wischt.

Das weiß ich bereits und ich bin dir nicht böse.

Keineswegs.

Uns alle nimmt diese ganze Sache unglaublich mit, doch du hast jedes Recht der Welt, einfach mal loszulassen.

"Nichts davon ist deine Schuld. Du musst auf Rosa achten, Jason. Sie hat jetzt oberste Priorität. Sie, Isaac, das ungeborene Kind", murmel ich leise und wischen den Rest von seinem Blut von seiner Haut.

Er lässt die Hand wieder fallen und sieht an mir vorbei, wahrscheinlich zu den Kindern.

Du weißt es und trotzdem ist es schwer für dich, weil sie dich so sehr an deine wundervolle Mutter erinnert.

Ich will das alles nicht.

Nicht für mich, doch noch weniger für euch alle.

Ihr habt das Glück der Welt verdient.

Tränen bilden sich in meinen Augen und Schmerz breitet sich in meiner Brust aus, den ich vor allen verstecke, genauso wie meine Emotionen.

"Geh nach Hause, aber nicht in unseres", flüstere ich und schon sieht er mir überrascht in die glasigen Augen.

"In das Haus von Micah und Felicia. Nimm Rosa und Isaac mit. Verschließe dich vor uns. Keine Emotionen, keine Gedanken, nichts", flüstere ich weiter und achte darauf, dass Silas außer Reichweite ist.

Es schmerzt.

So, so, so sehr.

"Was machst du?", fragt Derrick hinter mir, doch ich ignoriere ihn weiterhin.

Er hätte sich einmischen sollen.

Scheiß auf die ganzen Regeln der verschiedenen Rudel.

Er hätte sich einfach einmischen sollen.

"Geh", sage ich noch und nehme Abstand von ihm, ehe ich mich zu Fawn drehe und sie ansehe.

"Kannst du mit ihm gehen?", frage ich sie und schon sieht sie mich genauso überfordert an, wie Jason es eben noch getan hat.

Meine Stimme wird brüchig und mein Herz schmerzt so unglaublich doll.

"Ich gehe mit ihnen", sagt Danny sofort, ohne mich auch nur eine Sekunde lang zu hinterfragen.

Mein Nicken ist so schwach, dass ich es selber kaum wahrnehme.

Ich habe einfach das Gefühl, als würde in Kürze alles zusammenbrechen.

"Egal was passiert", beginne ich und sehe nur noch Danny an.

Eine einzige Träne rollt an meiner Wange hinab und schon spüre ich noch mehr Schmerzen.

Es sind nicht meine, sondern Derricks.

Die Schmerzen, die er verspürt, verspürt er bloß, weil er mich weinen sieht.

"Lass Silas nicht ihn ihre Nähe. Nicht auch nur für eine verdammte Sekunde. Das musst du mir versprechen", sage ich mit zittriger Stimme und schon wird seine Miene weicher.

Er kommt näher, nimmt mein Gesicht in seine Hände und wischt mir mit beiden Daumen die neuen Tränen von den Wangen.

"Nicht auch nur für eine verdammte Sekunde", versichert er mir, ehe er mich in eine flüchtige Umarmung zieht und sich dann abwendet.

Zusammen sammeln sie Isaac und Rosa ein, ehe sie sich alle in einen der Wagen setzen und das Reservat verlassen.

"Was weißt du, Makenzie?", fragt Derrick und legt mir von hinten behutsam die Hände an die Hüften.

Sofort wische ich mir die Tränen von den Wangen und versuche mich wieder zu sammeln.

"Noch viel zu wenig", antworte ich wahrheitsgemäß und beginne zu laufen, wobei ich spüre, wie langsam sich seine Hände von meinem Körper lösen.

Ich laufe auf Aeryns Haus zu, in dem die drei verschwunden sind und betrete es, ohne die Leute zu beachten, die ganz entspannt im Wohnzimmer sitzen und wahrscheinlich nichts von dem ganzen mitbekommen haben.

"Lilo, die Kleine tritt gerade. Willst du mal?", fragt Felicia überglücklich und schon erwische ich mich dabei, wie ich zu Micah sehe, der gerade seine Hand auf den Bauch seiner Seelenverwandten liegen hat.

Als Dash und Blaze dann plötzlich zu uns stoßen, wandert mein Blick sofort zu ihnen.

Blaze ist vollkommen verarztet und sieht nicht mehr so grimmig aus, eher schuldbewusst und bedrückt.

"Wo ist er?", frage ich, was dazu führt, dass Blaze sich erst etwas verwirrt umdreht.

"Ah. Silas? Der war nur kurz da und wollte dir dann mit Jason helfen", erklärt er ziemlich leise und umgeht den Augenkontakt mit mir.

Du machst es mir immer schwerer, Silas.

"Worum ging es?"
Meine Fragen sind kurz und bedacht.

"Ist nicht wirklich wichtig. Nur eine kleine Sache zwischen Jason und mir. Ich werde mich aber nicht bei ihm ent..."

"Ich frage kein zweites Mal, Blaze", warne ich ihn mit einem bissigen Unterton.

"Hey, komm mal wieder runter. Was ist los mit dir, Makenzie?", fragt Derrick hinter mir und legt mir erneut behutsam die Hände an die Hüften.

Micah steht auf und kommt näher, doch er wendet sich nicht an mich.

"Sie hat sich vor allen verschlossen und ist total schräg drauf. Eben hat sie geweint", erklärt er hinter mir, während ich Blaze so mit meinem Blick fokussiere, dass Dash sogar bei Seite tritt.

"Es ist wirklich nicht wichtig", sagt er.

"Blaze..."

"Es geht dich nichts an, Makenzie", unterbricht er mich, während wir alle anderen im Raum ignorieren.

"Du kannst mich zu nichts mehr zwingen. Ich bin nicht einmal mehr ein verfluchter Wolf", zischt er mir wütend entgegen.

An Enigmatic GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt