Kapitel 43:

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~ Abigails Sicht ~

Am nächsten Morgen dachte ich sofort wieder an den Traum in der letzten Nacht und meine Wut auf meinen Entführer, sowie meinen Vater stieg noch mehr, wenn das überhaupt möglich war. Meine Hand verkrampfte sich und ich hielt meine Luft an, bis sie knapp wurde und ich gezwungen war ein und aus zu atmen, meine Hand schüttelte ich aus und stand dann von meinem Bett auf, um mich fertig zu machen. Da ich nicht sehr viele Klamotten dabeihatte, musste ich mich mit einer zerrissenen Jeans, einem grauen Oversize Pulli und den Sneakern zufriedengeben. ( ca. Outfit wie oben )

Meine Haare band ich in einem einfachen Flechtzopf zusammen und verließ dann mit der richtigen Ausrüstung das Hotelzimmer. Geschmeidig stieg ich auf das Motorrad, setzte meinen Helm auf, drehte den Schlüssel im Schloss und fuhr schnell von dem kleinen etwas heruntergekommenen Parkplatz. Schon bald erreichte ich das Café von gestern, ich trat ein und bestellte mir das Frühstücks Menü, welches ich dann auch schnell verspeist hatte. Unauffällig beobachtete ich das Haus auf der anderen Straßenseite, als dann mein „ Vater " , vom Hof brauste, erhob ich mich zufrieden und stolzierte auf die Haustür zu, vor der ich gestern schon einmal gestanden hatte. Ich klingelte und als sich die Tür öffnete, zuckte ich merklich zusammen. Im Türrahmen stand eine Frau, die müde und verbittert, aber dennoch wunderschön aussah, geschätzte Mitte Vierzig war. Das erschreckende war aber, dass sie mir verdammt ähnlich sah, was sie nun auch zu bemerken schien.

„Hallo, mein Name ist ..." , sagte ich, als ich mein Selbstbewusstsein wieder hatte und den kleinen Schock überstanden hatte, doch weiter kam ich auch nicht.

„Abigail..." , flüsterte meine Mutter beinahe lautlos und Tränen standen in ihren Augen.

Bevor ich antworten konnte, umarmte mich die mittelalte Frau stürmisch, drückte mich eng an sich und klammerte sich an mir fest, als würde sie gleich ertrinken.

„Du bist hier. Ich habe dich so vermisst!" , wisperte sie mir ins Ohr und streichelte meinen Rücken.

Ein wenig geschockt verharrte ich in dieser Position und klopfte meiner Mum unbeholfen auf den Rücken. Doch schon bald wurde es mir zu viel und ich löste mich ruckartig von ihr, was sie enttäuscht aufblicken ließ, dann nahm sie allerdings meine Hand und zog mich in das geräumige Wohnzimmer auf die schwarze Ledercouch. Langsam sank ich neben ihr in die Polster und da begann sie auch schon zu erzählen, was damals wirklich passiert war, ohne sie aufzufordern tat sie es, so als hätte es sie schon ihr halbes Leben belastet und endlich konnte sie darüber reden. Endlich konnte sie ihre Trauer, ihren Schmerz und alles was sie belastete erzählen, ich hörte ihr zu, so wie ich es mir immer gewünscht hatte, dass es bei mir jemand tat, doch anscheinend war ich nicht die Einzige, der etwas Schlimmes widerfahren war.

„... ich habe nie aufgehört nach dir zu suchen, doch da es Luke nicht mitbekommen durfte, fand ich so gut wie nichts heraus... Ich wollte nichts lieber, als dich in meine Arme schließen zu können. Du hast mir meinen größten Traum erfüllt!" , beendete sie ihre Erzählung.

Ich war geschockt, wie wenig sie eigentlich über mein Leben, beziehungsweise, was aus ihm geworden war, gewusst hatte. Sie hatte in einer Ungewissheit gelebt, die einen verrückt machen musste, doch irgendwie hatte sie es überstanden. Ich war hin und her gerissen, ob ich ihr die Geschichte erzählen sollte, da es alles noch einmal hochholen würde, doch so hatte sie wenigstens die Chance endlich mit dieser Geschichte abzuschließen, so wie ich es mir auch mit dieser Aktion erhoffte.

„Bitte erzähle mir alles! Auch das grausame, ich möchte wissen, wie es dir ergangen ist, nachdem ich dich im Stich gelassen hatte." , stotterte sie und schaute mir nicht in die Augen, sondern fixierte ihre Fußspitzen auf dem Boden.

„Natürlich!" , sagte ich und begann dann zu erzählen, woran in mich erinnern konnte.

„Als ich das erste Mal realisierte, dass ich weg war, weit weg von meiner gewohnten Umgebung, habe ich tagelang geweint und geschrien, ich fühlte mich unglaublich alleine und war komplett verängstigt. Natürlich konnte ich mir nicht erklären, was passiert war, doch eines wusste ich, dass es nie wieder so werden würde. Mein Entführer hat mich dann ruhiggestellt und die ersten Jahre war es noch erträglich, doch als ich älter wurde, wurde es schlimmer, ich wurde für alles bestraft, was ich anscheinend falsch gemacht hatte, doch das war nicht das Einzige... Mit etwa 12 Jahren wurde ich das erste Mal vergewaltigt, das zog sich über die Jahre und wurde immer häufiger... Ich war in einer Situation, aus der ich nicht mehr rauskommen würde, ohne irgendwelche Narben davon zu tragen, die schlimmsten waren nicht mal die körperlichen, sondern die seelischen, sie waren so tief, dass ich das Gefühl hatte, in tausend Teile zersprungen zu sein, ohne wieder geklebt werden zu können. Ich war fertig mit dem Leben und fügte mich auch teilweise selber Wunden hinzu, nur um zu merken, dass ich noch nicht tot war, ich spürte mich selber nicht mehr, ich hatte das Gefühl nur noch körperlich anwesend zu sein, doch mein Geist war sozusagen schon gestorben. Ich bekam Unterricht, irgendwann kam ich dann zu dem Entschluss, dass es mir nichts bringen würde mich selber zu verletzen, da ich eh mindestens eine Tracht Prügel pro Tag bekam, so begann ich mich mit Sport zu fühlen und abzureagieren. Der Sport war meine Rettung, ohne ihn hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft... Mit achtzehn bin ich geflohen und dort hat mich Noah aufgegabelt und gerettet, er war mein Anker, der mich nach oben zog, sobald ich drohte unterzugehen. Naja, als er mir erzählte, dass es sei Auftrag war, mich der Mafia, der er angehörte auszuliefern, da war es schon zu spät, ich hatte mich in ihn verliebt und war schon an einem Punkt angekommen, an dem ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen konnte. Als dann aber seine Mafiafreunde kamen, wurde ich wieder gefangen genommen, genau wie Noah, der sein Leben für das meine gegeben hätte. Doch dann kam ich wieder zu meinem Bräutigam, bevor aber schlimmeres passieren konnte, hat mich Noah zusammen mit seinem Adoptivvater Adam, dem Boss der Mafia, gerettet. Gemeinsam haben wir nach euch gesucht, doch dann wollte er mich benutzen und deswegen bin ich einfach abgehauen. Jetzt will ich es zu Ende bringen, ich werde mich an Luke rächen, ich werde ihn leiden lassen, dafür, dass er mich in so eine Lage gebracht hatte..." , erzählte ich mit fester Stimme, doch ab und zu liefen mir Tränen die Wangen runter.

Meine Mutter drückte mich fest an sich und streichelte mir sanft über mein Haar.

„Ich werde dich bei deinem Plan unterstützen!" , stammelte meine Mutter, fügte dann aber noch schnell hinzu, „ Wenn ich denn darf..."

„Auf jeden Fall, das ist sogar gut, du kennst ihn wahrscheinlich besser als jeder andere, das könnte uns sehr nützlich sein!" , plapperte ich aufgeregt drauf los.

Als wir allerdings den Schlüssel im Schloss hörten, steckte mir meine Mutter noch einen Zettel mit ihrer Nummer zu, dann verließ ich lautlos durch die Terrassentür das Haus. Ich eilte auf mein Motorrad zu und brauste auch sogleich los, mein erster Halt war ein Elektro-Geschäft, wo ich mir ein neues Smartphone kaufte, damit ich auch online gehen konnte, ohne dass man mein Handy orten konnte. Wieder im Hotel speicherte ich die Nummer meiner Mama ein und schrieb sie an, damit sie auch meine hatte.

Hey, ich bin es. -AB

Okay, ich werde dir morgen einen Ort und eine Zeit schreiben... Gute Nacht. -LB

Dann legte ich mich schlafen, nachdem ich das Handy fertig eingerichtete hatte.

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So, das war es für dieses Kapitel, auch wenn es ein wenig später als sonst kam, hoffe ich, dass es euch gefällt.
Jetzt hab ihr ihre Mutter ein wenig kennengelernt, sie heißt übrigens Lucia, wer sich gefragt hat, was das L bedeutet hat. Ich liebe es einfach, wie die beiden sich jetzt gegen Luke (Abigails Vater) verschwören, hehe!

Bis zum nächsten Kapitel.

~ 1335

My first steps in freedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt