Kapitel 60:

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~ Noahs Sicht ~

Mein Schlaf war unruhig gewesen und ich hatte mich unzählige Male hin und her gewälzt. Dementsprechend war ich nun ein wenig müde und nicht zu hundert Prozent fit, doch mit den Gedanken an meine Entlassung, setzte ich mich auf. Bei jeder Bewegung merkte ich noch immer die Verletzung, doch gestern war es noch schlimmer gewesen und in dem Fall konnte ich nur zustimmen, dass Zeit alle Wunden heile.

Mit zusammengebissenen Zähnen schlurfte ich in das kleine angrenzende Badezimmer, wo ich mich erstmal duschte, was mich sogleich wach machte und ich neue Kraft in meinem Körper pulsieren spüren konnte. Duschen war, als würde alles Schlechte weggewaschen werden und einem nur noch Gutes blieb. Es war, als wäre ich ein neuer Mensch geworden, in den zehn Minuten unter dem Wasser.

Ich trocknete mich grob ab und zog mir umständlich ein schwarzes Shirt und eine gleichfarbige Cargo-Hose an. Meine blonden Haare wirkten nun dunkler und Wassertropfen perlten von einer losen Strähne, die in meine Stirn hing, ab.

Die Deo-Wolke hing noch immer in der Luft, als ich auch meine Zähne gründlich geputzt hatte und den Raum verließ. In dem Krankenzimmer schnappte ich mir die kleine Reisetasche und warf alle Dinge, die mir gehörten hinein. Ich wollte gerade das Zimmer verlassen, als der Arzt hereinkam und mich zurück zum Bett schob.

„Wir werden noch kurz Ihren Verband erneuern, danach können Sie gehen, auch wenn ich es nicht befürworte..." , sagte der Halbgott in Weiß zu mir.

Grummelnd setzte ich mich wieder auf das Bett und schob mein schlichtes Shirt nach oben, damit er an den Verband kam. Flink wickelte er ihn ab und desinfizierte die Wunde noch einmal und verband meinen Oberkörper danach wieder ordentlich. Als er wieder von mir abließ, verließ ich nahezu fluchtartig den Raum, sodass ich nicht einmal Adam und Abigails Mutter entdeckte, die neben der Tür standen und sich angeregt unterhielten.

„Noah, warte mal!" , rief mir mein Vater nach, sodass ich mich zu ihm umdrehte.

„Was ist? Ich muss nun Abigail finden, ich habe schon mehr als genug wertvolle Zeit verloren!" , schnauzte ich ihn unabsichtlich an.

Abwehrend hob er die Hände und deutete mir an, ihm zu folgen, was ich dann auch tat. Wir liefen geradewegs in sein Büro und setzten und auf die sich gegenüberstehenden Sofas. Nervös flackerten meine Augen und ich merkte den Schweißfilm, welcher sich auf meinem Rücken bildete.

„Also, was ist los?" , fragte ich ungeduldig.

„Wir haben eine Idee, wo sie sein könnte, zumindest haben wir die Koordinaten ihres Motorrads. So wie es aussieht, geht es ihr gut und sie wollte sich nicht das Leben nehmen." , antwortete er ruhig.

„Wo ist sie? Ich muss zu ihr?" , bohrte ich nach.

„Sie ist beim Strandhaus." , gab er mir die Information, die ich gebraucht hatte.

Ich stutze. Wieso denn beim Strandhaus? Dort war doch bestimmt alles zerstört worden, bei dem Einfall der Mafiamitglieder.

„Ich werde dorthin fahren!" , sagte ich und erhob mich.

„Wir kommen mit!" , hielt mich Lucia auf.

Ich nickte und warte darauf, dass sie sich beide erhoben. Gemeinsam verließen wir den Raum und steckten und sicherheitshalber noch eine Waffe in den Hosenbund, dann gingen wir auf einen der Geländewagen zu.

~ / ~

Der Chauffeur hatte uns auf direktem Weg zu unserem Ziel gebracht, doch als wir die lange Einfahrt entlangfuhren, schwante mir Böses. Eine riesige Rauchwolke schwebte über dem Haus und ein beißender Gestank lag in der Luft. Alarmiert rutschte ich auf meinem Sitz hin und her, doch da die Scheiben verdunkelt waren, konnte ich nur Silhouetten erkennen. Sobald das Auto zum Stehen kam, sprang ich so gut es eben mit Schmerzen geht aus dem Wagen.

Fassungslos starrte ich auf das ehemals wunderschöne Haus. Es stand komplett in Flammen, die Hitze schlug mir unbarmherzig entgegen und das, obwohl ich knapp 50 Meter entfernt stand. Die Fenster waren schwarz angelaufen und ein Teil des Dachstuhls krachte in sich zusammen. Noch hatte sich das Feuer noch nicht auf die Umgebung ausgebreitet, doch es leckte bereits an dem schwarzen Motorrad, welches vor dem Haus stand und die Farben der Flammen in seinem Lack widerspiegelte.

Als ich realisierte, was das hieß, ließ ich einen markerschütternden Schrei los und sank auf meine Knie. Der Schrei ging allerdings in einem lauten Geräusch unter, denn das Motorrad hatte nun ganz Feuer gefangen und der Tank war explodiert. Tränen bahnten sich ihren Weg zu meinem Kinn und tropften von dort auf mein T-Shirt. Eine große Hand legte sich auf meine bebende Schulter und versuchte mich zu trösten. Doch Adam schaffte es nicht und Lucia auch nicht. Ihnen war beiden der Schock ins Gesicht geschrieben und der Chauffeur stand etwas abseits und telefonierte mit unserem besten Arzt.

Sirenen ertönten und blaues Licht vermischte sich mit dem Rot der Flammen. Ich wurde weggezogen und in einen Krankenwagen verfrachtet. Ohne Reaktion ließ ich es über mich ergehen und wurde erst wieder aktiv, als sie mich an das Bett gekettet hatten, damit ich nicht wegkonnte. Ich versuchte um mich zu schlagen, doch die Gurte hinderten mich daran, jemanden zu verletzen. Meine Wangen klebten und meine Schläfe pochte unaufhörlich. Bevor ich noch irgendetwas zerstören konnte, gab mir die Notärztin ein Beruhigungsmittel. Ich beruhigte mich und die Wut wich einer kalten Leere, mit glasigen Augen starrte ich auf die Flammen und das immer mehr einstürzende Haus.

Die Feuerwehrmänner und Frauen versuchten zwar noch etwas zu retten, doch sie merkten schnell, dass es nichts mehr bringen würde, deswegen sicherten sie den Wald und den Rest, welcher das Strandhaus umrahmte.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich das Lachen von Abigail vor mir sah und das Lächeln auf ihrem Gesicht. Ihre strahlenden blauen Augen. Ich stellte mir vor, wie sie meine Hand mit ihrer kleinen umfasste und dachte daran, was sie gesagt hatte, als ich noch im Wachkoma lag.

... Du hast mein Leben verändert und mittlerweile bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass alles darauf hinauslief, dich zu treffen. Wenn ich mir also nun die Frage stellen würde, ob ich die Hölle, dich ich durchlebt habe, noch einmal durchgehen will, dich aber danach haben kann, oder lieber auf dich verzichte und dafür ein normales und friedliches Leben führen kann, dann wäre die Entscheidung ganz leicht. Ich würde für dich diese Qualen freiwillig auf mich nehmen, nur um am Ende in deinen Armen liegen zu können. Ich liebe dich, Noah! ...

Ein trauriges Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich konnte förmlich ihren Geruch riechen, der mir ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt hatte.

~ / ~

Die Ruine des Hauses lag qualmend vor uns und schweigend trugen zwei Feuerwehrmänner eine komplett verkohlte Brandleiche auf den sandigen Vorplatz.

Nach einer kurzen Untersuchung stellte sich heraus, dass man keine DNA mehr nachweisen konnte, doch da man nur Abigail hier vermutet hatte, galt sie als tot.

Seit diesem Tag hatte mich keiner mehr lächeln sehen und die eiskalte Leere in meinem Herzen fraß mich Stück für Stück von innen auf. Die Nachricht hatte mir ein Stück meines Herzens rausgerissen und ihr Tod ließ es nicht mehr los. Ich war gebrochen und konnte und wollte nicht mehr ohne sie leben. Sie war mein Leben gewesen, auch wenn ich das viel zu spät bemerkt hatte. Doch es war zu spät.

Nach ihrer Beerdigung würde ich Amerika verlassen und versuchen meinen Gedanken zu entkommen.


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Das ist nun das offiziel letzte Kapitel, nun folgt nur noch der Epilog.

Ich persönlich musste ein wenig heulen, während ich dieses Kapitel geschrieben. Doch das Leben ist leider nicht immer so wie wir es uns vorstellen. Es fällt uns in den Rücken und nimmt uns Menschen, die unser Leben bedeuten.

"Der Körper ermahnt uns, auf seine Zeichen zu hören, wenn wir sie nicht beachten, bekommen wir es später zu spüren." - Diesen Spruch fand ich sehr passend...

Nun bedanke ich mich schonmal, wer bis hier her gelesen hat und Abigail und Noah genauso ins Herz geschlossen hat, wie ich. Ich frage mich tatsächlich, wie es wird, wenn die beiden nicht mehr Teil meines Lebens sind, denn sie sind wie meine echten Freunde geworden.

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