Kapitel 54:

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~ Abigails Sicht ~

Hatte ich ihn getötet? - Wenn ja, dann wäre das ebenfalls mein Ende...

Ich fühlte mich schlecht, sehr schlecht, die Ungewissheit machte mich fertig und die Angst, dass ich die Schuld an seinem Tod tragen könnte, war wie eine ständige Qual, die nie aufhören wollte.

Es war eine Stunde her, seit sich der Schuss gelöst hatte und meine Nerven lagen blank. Der Arzt war zwar wirklich schnell hier gewesen, doch in dieser Zeit hatte Noah sehr viel Blut verloren, er wurde grade operiert und sein Zustand war ungewiss. Zusammengekauert saß ich auf einem harten Plastikstuhl in dem Krankenflügel des Hauses. Die Tränen waren auf meinen Wangen getrocknet und es spannte, wenn ich das Gesicht verzog. Nervös knabberte ich an meinem Fingernagel und Horrorszenarien spielten sich in meinem Kopf ab. Adam und Lucia waren geschockt gewesen und der Boss hatte mich böse angeschaut, als wäre ich das größte Übel.

Ich bin schuld! Nur wegen mir liegt er da drinnen!

Dieses Mantra sagte ich mir die ganze Zeit und nach einiger Zeit glaubte ich es auch. Wut auf mich selber durchströmte meinen Körper, ich raufte meine Haare und schluchzte erstickt auf.

Was hatte ich nur getan? Wieso hatte ich diese scheiß Waffe nicht gesichert und in meiner Tasche vergessen?

Mit Schwung sprang ich auf, legte meinen Kopf in den Nacken und ließ einen markerschütternden Schrei los. Dicke Tränen liefen meine Wangen herunter, mein Shirt wurde nass, als diese nach unten tropften. Es war Noahs Shirt, sein Geruch hing daran und ich sog ihn in mir auf, seine Anwesenheit war so greifbar und doch so unglaublich weit weg. Meine Füße gaben nach und schluchzend fiel ich auf den harten Fließenboden.

Mit den Händen griff ich nach der dicken Sitzfläche der Plastikbank, als ich sie ergriffen hatte, warf ich den Kopf in den Nacken und zog ihn mit aller Kraft wieder nach vorne. Meine Stirn schlug mit Wucht auf dem Material auf und ein Schmerz zog durchzog meinen Kopf. Ich spürte den Stich und wurde sogleich wieder süchtig nach dem Gefühl, welches mich berauschte und ich brauchte, wenn ich fertig mit meinem Leben war. Die unausgesprochene Tatsache, dass es mein Verschulden war, brachte mich dazu dies zu tun.

Immer wieder schlug ich meinen Kopf auf die harte Fläche, meine Haut riss schon nach dem zweiten Mal und Blut klebte an dem Stuhl. Warme Rinnsale flossen meine Schläfe hinab und der Schmerz vertrieb das schlechte Gewissen ein wenig, sodass ich mich besser fühlte, als davor. Das Blut vermischte sich mit dem Tränenwasser und mein Hass auf mich mit Trauer.

Wieso dauerte es so lange? War er bereits tot?

Als wäre nichts passiert, setzte ich mich wieder auf den Stuhl und wippte unruhig mit meinem Bein.

Endlich öffnete sich die große Tür zum Operationssaal, ich riss meine Augen weit auf und mein Herz kam ins Stolpern. Die Stunde der Wahrheit war gekommen, nun würde ich erfahren, wie es um Noah stand.

Der Arzt kam auf mich zu, seine dunkelgrüne OP-Kluft hing verschwitzt an seinem Körper und nasse Strähnen kräuselten sich unter der Haube, die die Haare zusammenhielten. Ich sprang hastig auf und stoppte nur knapp vor ihm.

„Wie geht es ihm? Wird er es überstehen?" , flüsterte ich den Tränen nahe.

„Mister Smith geht es den Umständen entsprechend gut, sein Zustand ist dennoch kritisch. Die nächsten Tage werden entscheidend sein. Durch den erheblichen Blutverlust und die ungünstige Stelle wurde es noch verschlimmert. Doch er ist ein starker Mann, dennoch wird er, wenn er aufwacht Unterstützung und viel Ruhe gebrauchen. Voraussichtlich werden keine bleibenden Schäden bei Mister Smith zu bemerken sein. Und nun zu Ihnen, ich schicke ihnen eine Krankenschwester, die sich ihre Platzwunde anschauen wird. Viel Glück und Genesung für Ihren Freund und Sie!" , erklärte der Arzt sachlich.

Erleichterung durchströmte mich und Tränen der Freude rannen mein Gesicht hinunter. Noahs Schutzengel hatte ganze Arbeit geleistet, der Arzt natürlich auch, doch nun musste ich auf seine Stärke und seinen Willen hoffen. Er musste einfach gesund werden und wieder aufwachen, darauf musste ich zählen.

Eine hübsche junge Krankenschwester tippte mir auf die Schulter und zeigte mir an, ihr zu folgen. In einem kleinen Behandlungszimmer desinfizierte sie meine Verletzung, wischte das Blut weg und klebte ein großes Pflaster auf die offene Wunde. Hastig verließ ich den Raum wieder und eilte zu dem Zimmer, in dem Noah nun lag, sie hatten ihn ins künstliche Koma versetzt, dass sein Körper heilen konnte, bevor dieser wieder alles selber machen musste und die Kraft verschwendete.

Ruhig lag er dort hinter der Glasscheibe, doch ich traute mich nicht zu ihm. Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, dann entschied ich mich dafür und nachdem ich einen Kittel und eine Haarhaube aufgesetzt hatte, betrat ich das helle Zimmer. Gleichmäßig ertönte ein Piepen und seine Brust hob und senkte sich ruhig. Er hatte kein Shirt an, weshalb nur ein dicker weißer Verband seine Brust zierte, der teilweise von der dünnen Bettdecke verdeckt war. Narben zogen sich über seinen Oberkörper und ein wenig Blut klebte auf seinem Bauch, langsam setzte ich mich auf den Stuhl neben sein Bett. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und wischte die rote Flüssigkeit sanft mit meinem Finger weg. Seine blonden Haare hingen in seine Stirn, seine Gesichtszüge waren entspannt und seine Augen waren geschlossen. Unbewegt lag er so dort und ich betrachtete ihn still, meine Hand legte ich auf seine, die mit einer Infusion verbunden waren. Sanft streichelte ich seine Finger und passte auf, dass ich ihm nicht weh tat, denn das wollte ich nun wirklich nicht nochmal tun. Müde legte ich meinen Kopf neben seinen Körper auf seine Matratze und schloss die Augen, welche schwer von dem ganzen Weinen waren.

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Lautes Rufen riss mich aus meinem Schlaf, ruckartig wurde ich von dem Bett weggezogen und unsanft landete ich auf dem Boden. Ärzte und Krankenschwestern standen um Noah herum und der Arzt von gestern rief den anderen Anweisungen zu.

...Herzstillstand...wiederbeleben...laden...wegtreten...kein Puls...noch einmal...

Diese Worte drangen zu mir durch und Tränen sammelten sich wieder in meinen Augen.

„Kommen Sie, ich bringe Sie raus! Die Ärzte werden es schon schaffen!" , holte mich eine Krankenschwester aus meiner Starre und zog mich vor die Tür in den kalten Gang.

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So, das wars für dieses Kapitel. Ich selber fand es schwierig, diesen Teil zu schreiben, denn teilweise musste ich ein bisschen heulen... Ich hoffe euch gefällt es.
Sorry, dass das Kapitel erst heute kommt, doch gestern hab ich es nicht mehr geschafft...

Wird Noah es schaffen?

~ 1077

My first steps in freedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt