Kapitel 3

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"Ms Almond, ich hoffe Sie können mir eine plausible Erklärung für ihre Verspätung liefern", sagt Mr. Lancaster, ohne von den Zetteln, die er vor sich ausgebreitet hat, aufzusehen.
"Äh ja. Es tut mir leid, ich habe den Raum nicht gefunden." Es ist das erste Mal, dass meine Stimme mitten in einem Satz droht, zu brechen. Er sieht mich nach wie vor nicht an und zeigt auf den freien Platz in der zweiten Reihe. Auch das noch. Es reicht nicht, dass ich meinen Mathelehrer beleidigt habe, der übrigens wirklich noch besser aussieht, als alle berichten, sondern jetzt muss ich auch noch direkt vor seiner Nase sitzen und das noch das restliche Schuljahr über.

Gedankenverloren hole ich meinen Block heraus und lege ihn vor mich.
In der ersten Stunde wage ich keinen einzigen Blick in die Richtung von Mr. Lancaster, aber das scheint ihn, auch nicht weiter zu stören.
Ich sollte mich noch einmal bei ihm entschuldigen, sonst hat das vielleicht noch Auswirkungen auf meine Mathezensur und das kann ich mir auf jeden Fall nicht erlauben, da mich meine Eltern sonst umbringen.
Zwischen den zwei Stunden haben wir eine fünfminütige Pause, die ich nutze, um den Zettel aus meiner Tasche zu kramen. Den Zettel, den ich vorhin von Tyler bekommen habe.

Triff dich mit mir nach der Schule am Sportplatz. T.

Ich rolle mit den Augen.
Ich kenne Jungs wie Tyler, aber irgendwie reizt es mich. Also richte ich mir schnell eine Erinnerung in meinem Handy ein, dass ich mich mit Tyler nach der Schule treffe.
Genau in dem Moment als ich mein Handy wieder in meiner Tasche verstauen will, sehe ich lange Beine vor meinem Tisch. Das auch noch. Langsam blicke ich in Mr. Lancasters' genervtes Gesicht. Er hält die Hand vor mich hin und deutet mir an, mein Handy dort hineinzulegen. Also tue ich es mit einem Augenrollen. Mr. Lancaster dreht sich um und geht nach vorne. "Also Ms Almond, ich weiß ja nicht, wie es in Afrika ist, aber hier in London gehören die Handys nicht in den Unterricht", sagt er durch zusammengebissene Zähne hindurch und schaut mich dann eindringlich ein. Ich kann seine Wut in mir spüren.
Woher weiß er, dass ich vor Kurzem noch in Afrika war? Ich hasse ihn jetzt schon.
Mein Blick spricht tausend Bände und ich erhasche ihn dabei, wie er versucht ein Schmunzeln zu verbergen. Wer denkt er, wer er ist? So geht er nicht mir um.
Die nächste halbe Stunde kritzle ich etwas in mein Notizbuch, was auf jeden Fall nichts mit Mathematik zu tun hat. Ich ertrage es nicht, ihn anzuschauen, und ich muss das sofort klären.
Ich kann ihm schließlich nicht aus dem Weg gehen, denn er ist mein Lehrer.

Nach dem Klingeln packe ich schnell meine Sachen zusammen und trete an das Pult von Mr. Lancaster.
Er sieht mich nach wie vor nicht an. Jetzt reicht es. "Es tut mir Leid, dass ich Sie beleidigt habe, Mr. Lancaster. Ich wusste nicht, dass Sie..." Mr. Lancaster hebt seine Hand und unterbricht mich. "Florence, es ist mir egal, wie Sie mit Ihren Mitschülern umgehen, aber ich bin Ihr Lehrer und falls so etwas nochmal vorkommen sollte, muss ich es leider der Direktorin melden", gibt er streng von sich, während er aufsteht und seine Sachen in seiner Tasche verstaut.
Er trägt ein Hemd und seine Ärmel sind etwas nach oben gekrempelt, sodass ich die Tattoos, die seine Arme schmücken, begutachten kann.
Er geht definitiv ins Fitnessstudio oder er hat verdammt gute Gene, denn diese Arme könnten Bäume ausreißen. Ich glaube nicht, dass ich jemals so einen attraktiven Lehrer gesehen habe. Mr. Lancaster räuspert sich und lässt mich aus meinen Gedanken hochschrecken.
Ich sage nichts, sondern werfe ihm einen Todesblick zu und verlasse anschließend so schnell es geht den Raum.
Vor der Tür lehne ich mich kurz an die Schließfächer und da fällt es mir ein. Mein Handy. Er hat es noch.
Doch als ich mich umdrehe und in den Klassenraum gehen will, ist er schon weg. Wie hat er das gemacht? Er ist gut.
Das, was Sie können, kann ich schon lange.

Schweigsames VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt