Kapitel 6

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Er ist das Gegenteil von liebevoll, denn ohne weiteres Vorspiel spüre ich ihn in mir. Es tut etwas weh. Doch ich sage nichts, denn ich brauche das gerade. Zumindest versuche ich, es mir einzureden. Seine Bewegungen sind schnell und seine Küsse hart. Es ist nicht das erste Mal, dass ich als Sexobjekt benutzt werde und ich weiß nicht, wie ich immer an genau diese Typen gerate.
Ich hatte noch nie Sex, weil ich es wirklich wollte, geschweige denn mit Jemandem, der es ernst gemeint hat und mich mit Respekt behandelt hat. Ich war nur ein Objekt der Begierde und kenne es daher nicht anders.
Das Ganze zieht sich etwa zwanzig Minuten und als er fertig ist, zieht er sich zurück und zieht seine Hose nach oben. Ich liege nach wie vor da und bin nicht gekommen. Nichts, was ich nicht gewohnt bin, denn das Wort Orgasmus gehört nicht zu meinem Vokabular, was in der Tat etwas traurig ist, wenn man mein aktives Sexleben betrachtet.
"Ich fahre dich nach Hause", sagt Tyler emotionslos und steigt nach vorne auf den Fahrersitz.
Ich schlüpfe in meine Panties und ziehe mir mein T-shirt wieder über den Kopf, bevor ich aussteige und meinen Rock glatt streife. Wahrscheinlich werde ich niemals richtigen Sex mit Liebe erleben. Dieser Idealfall wird einfach nur von Autoren in ihre Bücher eingebaut, dass sie verzweifelte Leute, wie ich, kaufen, weil bei ihnen Alles schief läuft.

Die Fahrt verläuft schweigend, als wir in unsere Straße einbiegen und der Wagen zum Stehen kommt. "Also dann", sage ich und wende mich zum Gehen. Vielleicht erwarte ich gerade, dass er etwas Nettes zum Abschied sagt. Doch das Einzige, was aus seinem Mund kommt ist: "Wir sehen uns in der Schule. Bye."
Ich laufe die Treppe zu unserem Haus nach oben und setze mich eine Minute auf die Stufen.
Etwas traurig ist es ja schon. Klar, ich kann mir alles leisten, was ich will, aber wahre Liebe und Freundschaft kann man sich leider nicht kaufen. Ich will nur noch ins Bett.

Mein Wecker klingelt um 7 Uhr und ich taumle langsam aus meinem Bett in Richtung Badezimmer. Dort stelle ich mich erst einmal unter die kalte Dusche. Genau das, was ich jetzt brauche.
Ich lasse das Wasser auf meine angespannten Schultern prasseln und bereite mich innerlich darauf vor, mir von Cleo sagen zu lassen 'Ich hab's dir ja gleich gesagt'. Genau dieses Szenario würde ich gerne umgehen. Also meine Devise 'pretend, pretend'.

Vor unserer Treppe versuche ich, meine Laune etwas anzupassen. Ich möchte auf gar keinen Fall meine Eltern alarmieren, dass irgendetwas nicht stimmt. "Hey, Prinzessin", kommt mir mein Vater entgegen und gibt mir einen kleinen Kuss auf meine Wange. "Guten Morgen, Dad."
Ich laufe auf die Küchenzeile zu, wo meine Mutter mit einer Tasse Kaffee steht und mich kritisch beäugt. "Na, Spatz. Hattest du einen schönen Abend gestern?" Sie rührt währenddessen in ihrem Kaffee herum. "Klar, der Abend war wunderschön. Ich muss jetzt aber los zur Schule." Schnell greife ich mir einen Apfel aus unserem Obstkorb und beiße hinein, um weiteren Fragen meiner Mutter über den gestrigen Abend auszuweichen. Ich winke meiner Mom und meinem Dad noch kurz zum Abschied und verschwinde nach draußen.
Es wird schon etwas wärmer und die Bäume beginnen langsam, zu blühen. Dennoch ist es frühs und abends noch ziemlich kalt. Das bedeutet aber auch, dass meine jährliche Winterdepression bald wieder aussetzen wird. Ich steige schnell ins Auto und bin froh, dass unser Fahrer keine Lust hat große Kommunikation zu betreiben.
Ab morgen werde ich selber zur Schule fahren. Für was brauche ich überhaupt einen Fahrer? Ich bin doch keine verzogene Göre. 

Vor dem Schulgebäude schnaube ich genervt und verabschiede mich von unserem Fahrer. Ich habe so keine Lust.
Cleo kommt mir noch vor der Eingangstür entgegengelaufen und durchlöchert mich mit Fragen. "Wie war's? Ist etwas gelaufen? Wie sieht es bei ihm zuhause aus?" Ich rolle mit den Augen. "Okay. Ja. Wir waren nicht dort", beantworte ich all ihre Fragen in einem Atemzug. "Das klingt überhaupt nicht gut. Willst du mit mir darüber reden?" Ich zucke nur mit den Schultern. "Eigentlich gibt es nicht viel, zu erzählen. Aber wir sehen uns ja bestimmt nach dem Unterricht. Ich hab jetzt Mathe bei Lancaster und sollte vielleicht nicht zu spät kommen. Er mag mich eh schon nicht besonders gerne."
"Okay, melde dich, wenn was ist. Wir sehen uns später. Und Flo", ruft sie mir hinterher und ich drehe mich langsam um. "Mach dir keinen Kopf. Es wird alles gut." Ich würde ihr so gerne glauben, aber leider fällt es mir sehr schwer.

Schweigsames VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt