Kapitel 36

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Ich halte mich an der Zimmerwand fest, da meine Beine mich nicht mehr tragen. Alles wird schwarz und ich falle zu Boden.
Was sich für mich wie ein paar Minuten angefühlt hat, waren tatsächlich dreißig Minuten, die ich bewusst los war.
Als ich meine Augen öffne, sehe ich in Liams besorgtes Gesicht. "Zum Glück, endlich bist du wach. Noch ein bisschen länger und ich hätte den Notarzt gerufen", rollt er mit den Augen.
Ich richte mich langsam auf. "Was ist passiert? Ich hatte einen schrecklichen Traum von James, der mir droht, mein Leben zu ruinieren", schüttle ich angewidert den Kopf. Liams Blick spricht Bände. "Das war wohl eher kein Traum. Sorry", gibt Liam zurück und hilft mir auf die Füße. James ist nicht einmal hier, obwohl er sicher weiß, dass es mir nicht gut geht. "Er..er ist nicht rausgekommen, um nach mir zu sehen?" Mein Herz sticht und ich könnte auf der Stelle wieder weinen, aber ich habe keine Lust mehr, mich selbst zu bemitleiden.
Liam schüttelt langsam den Kopf.
"Ach fuck. Ich gehe", sage ich patzig und schnappe mir meine Jacke.
Bevor ich die Tür erreiche, drehe ich mich nochmal kurz zu Liam um. "Danke, Liam", stottere ich. "Ich schätze deine Hilfe wirklich sehr." Er nickt nur stumm und ich verlasse das Haus.

Ich habe keine Lust mehr auf Schule und beschließe, einfach nicht mehr hinzugehen, denn der Großteil des Unterrichts ist eh schon vorbei. Cleo hat mir ein paar Nachrichten geschrieben, ob alles gut sei, weil ich heute nicht in der Schule war.
Ich belüge sie und schreibe, dass alles gut ist, aber es mir heute einfach nicht so gut gehen würde. Dabei hocke ich hier wie ein kleiner Ball in meinem Zimmer und überlege mir, was ich jetzt tun soll.
Wenn James das mit Josh und mir wirklich der Direktorin erzählt, dann bin ich geliefert und er wahrscheinlich dazu. Wieso mache ich mir überhaupt Gedanken über ihn? Er ist schließlich der Grund für dieses ganze Schlamassel.
Ich werde wütend und schmeiße nach der Reihe alle meine Kissen wütend auf den Boden.
Ich habe keine Ahnung, was mich morgen in der Schule erwarten wird und ich bin langsam so weit, dass ich ernsthaft einen Schulwechsel in Erwägung ziehe. Ich müsste das nur irgendwie meinen Eltern beibringen, aber die Rechnung würde wahrscheinlich eher nicht aufgehen.

7 Uhr und meine Mom hat mich schon das zweite Mal aufgeweckt.
Als sie das dritte Mal die Treppe nach oben stapft und genervt schnaubt, springe ich aus dem Bett und mache mich in meinem Badezimmer fertig. "Bin gleich soweit, Mom", rufe ich ihr durch die geschlossene Tür zu.
Ihre Schritte entfernen sich langsam wieder und ich atme auf. "Breche heute bloß nicht in Tränen aus in der Schule", sage ich zu mir selbst im Spiegel. Es ist so lächerlich, dass ich sogar mit mir selbst spreche.

Als ich die Schule betrete, tuscheln viele Leute und starren mich an. "Gibt's ein Problem?", frage ich genervt eine der Mädelsgruppen, die am Flur stehen.
Sie schütteln den Kopf, aber schauen mich missbilligend an. Ich habe keine Ahnung, was los ist.
Die erste Stunde vergeht langsam und alle starren mich abwechselnd an und flüstern ihrem Banknachbarn etwas zu. Ich versuche, die Gespräche zu belauschen. Doch es gelingt mir nicht wirklich, denn ich kann nur einzige Brocken verstehen wie 'Wie krass ist das denn bitte' oder 'Wieso sie?'. Jetzt verstehe ich noch weniger.
In der zweiten Stunde ertönt die Stimme der Direktorin aus der Lautsprecheranlage über der Türe. "Ms Florence Almond bitte ins Direktorat. Sofort." Das 'Sofort' kommt nochmal nachdrücklich und ich stehe beschämt auf, während mich alle anderen Schüler unter Anderem auch Mrs. Lauren anstarren.
Mit dem Kopf nach unten laufe ich auf das Direktorat zu und klopfe zweimal an die schwere Holztür. "Kommen Sie herein, Ms Almond", ertönt die Stimme der Direktorin.
Ich trete ein und bleibe sofort stehen, als ich auf dem einen Platz vor ihn Mr. Lancaster sehe. Ich kann mir vorstellen, dass das nichts Gutes bedeutet.

"Nehmen Sie Platz", zeigt Mrs. Johnson auf den anderen freien Platz vor ihrem Schreibtisch.
Ich setze mich und verschränke die Beine übereinander. Nervös zupfe ich an meiner Nagelhaut herum und wage es nicht, Mr. Lancaster anzuschauen.
"Ms Almond, Josh, Sie wissen wahrscheinlich, warum Sie hier sind." Josh und ich schütteln beide langsam mit dem Kopf. "Ehrlich gesagt nein", gibt Josh von sich.
Ich sitze nur stumm da und schaue auf meine Hände. Mrs. Johnson erhebt sich von ihrem Stuhl und läuft zu der großen Fensterfront hinter ihrem Tisch. "In meinen ganzen 8 Jahren als Rektorin dieser Schule ist so etwas noch nie vorgefallen und ich bin maßlos enttäuscht, dass ich so etwas überhaupt miterleben muss beziehungsweise ansprechen muss", schüttelt sie mit dem Kopf, aber schaut uns beide nicht an.
Ich bin verwirrt.

Schweigsames VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt