Als die Kiste verladen wird, wird mir klar, dass es nun kein Zurück mehr gibt und ich frage mich, wie mein Vater reagieren wird, wenn er merkt, dass ich heute früh nicht aus Trotz am Frühstückstisch sitze. Vielleicht wird er denken, ich habe immer noch Kopfschmerzen und nach meiner Zofe rufen. Oder meine Zofe ist schneller und sagt ihm, dass das Bett heute früh leer war.
Wie lange wird es dauern, bis er nach mir suchen lässt? Wird er es überhaupt? Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Schmach zu groß ist, mein Verschwinden bekannt zugeben. Wird mein Vater die Verlobung lösen? Und wie reagiert dieser Graf, wenn er erfährt, dass ich fortgelaufen bin? Gewiss wird er mich dann nicht mehr wollen und denkt, ich sei mit einem anderen Mann intim geworden.
In einer großen Kajüte wird die Kiste abgeladen und ich wage einen flüchtigen Blick durch die Schlitze. Die Kajüte ist sehr schlicht gehalten. Dabei dachte ich, wenn das Schiff von außen schon so luxuriös aussieht, dann sei es im Innern sicher auch so. Aber diese Kajüte ist ziemlich trist.
Meine Gedanken wandern zurück zu dem Grafen und ich frage mich, ob es vielleicht sogar Zufall ist, wenn dieses Schiff mit meinen Sachen ausgerechnet nach Korsika unterwegs ist.
Ich wäre ein Narr, wenn ich nicht zumindest versuchen würde, ihn zu finden und einen Blick auf ihn zu werfen. Vielleicht ist er ja ganz ansehnlich.
Ob ich dann noch eine Ehe in Erwägung ziehen würde, weiß ich nicht. Wenn ich mit Nouel durchbrenne, dann wird auch sein Ruf ruiniert sein und er wird in keiner Reederei mehr Fuß fassen können. Dabei weiß ich doch, wie gern er auf See ist.
Ich mache mir noch einige Gedanken, während ich bemerke, dass das Schiff ablegt. Ein wenig Angst überkommt mich. War das wirklich die richtige Entscheidung? Was habe ich getan? Mein Vater wird durchdrehen und Nouel wird riesigen Ärger bekommen!
Warum habe ich nicht vorher darüber nachgedacht? Jetzt ist es zu spät!
Ich kann nicht mehr zurück, es sei denn, ich mache schnell auf mich aufmerksam. Aber das könnte Nouel die Anstellung kosten. Wenn nicht sogar den Kopf!
Ich versuche meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, als sich plötzlich die Tür öffnet. Nicht, dass man mich noch hört. Vorsichtig drehe ich mich, um durch den Schlitz der Kiste zu sehen.
Es ist Nouel und ich atme erleichtert auf, drücke von unten gegen den Deckel der Kiste, aber sie lässt sich nicht öffnen.
„Nouel! Hilf mir mal raus hier...!"
Er öffnet den Deckel und redet mir beschwichtigend zu: „Ganz ruhig. Du hast es überstanden. Nun bist du ganz offiziell eine Ausreißerin."
Ich lasse mir von Nouel aus der Kiste helfen und laufe zum nächsten Fenster. Besonders viel weiß ich über Schiffe nicht. Nur das, was Nouel mir erzählt hat.
Wie ich durch das Fenster sehe, sind wir schon ein wenig vom Hafen entfernt, aber noch kann ich alles genau erkennen. Und dann segeln wir an dem Fort vorbei und mir klappt erstaunt die Kinnlade herunter. „Es ist so schön!", rufe ich freudig aus.
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Von Sklavenhändlern verschleppt
Historical FictionWir schreiben das Jahr 1771. Alisea de Marchand hat beinahe alles, was sich eine junge, adelige Frau nur wünschen kann. Zumindest glaubt man dies auf dem ersten Blick. Sie ist jung, reich und hübsch. Und einem Grafen versprochen, den sie nicht heir...