Alisea schüttelt mit dem Kopf. Ihr gefällt die Idee wohl nicht, aber ich verstehe auch nicht, wen sie jetzt töten will. Die Männer von der Kirche? Die Fragen schiebe ich einen Moment beiseite und sehe wieder zu dem Arzt auf, der eine Entscheidung von mir will. „Wie vertrauenswürdig ist der Schreiber?"
Meine Frage richte ich eher an Ninette, als an den Arzt. Ninette zuckt mit der Schulter. „Gute Frage, aber er will sicher nicht, dass alles an die Kirche geht."
Alisea hält sich an mir fest und ich bemerke, dass sie sich etwas verkrampft.
Ich schaue wieder zu ihr. „Hast du Schmerzen?"
Sie sieht zu mir auf und schüttelt kurz den Kopf. Allerdings presst sie die Lippen zusammen. Den verbissenen Gesichtsausdruck kenne ich. Und sie steht auch völlig verkrampft da. Natürlich hat sie Schmerzen, aber sie will lieber die Zähne zusammenbeißen, anstatt es zuzugeben! „Holt den zweiten Arzt, nachdem ihr das Blut weggewischt habt und bestätigt den Herzinfarkt. Danach sucht ihr den Schreiber auf und kümmert euch um die Legitimierung!"
Ninette und der Arzt schauen mich erschrocken an, da mein Tonfall etwas harsch ist. Das ist mir aber gerade egal. Im nächsten Moment greife ich nach Alisea und hebe sie auf meinen Arm. „Ich bringe sie in ihr Zimmer. Wir sehen uns später."
„Lestat!", keucht Alisea entsetzt auf. „Lass mich runter...!" Sie versucht aber nur halbherzig, sich von mir zu befreien. Im Foyer deutet Alisea stumm die Treppe hoch und ich verschwende keinen Blick an die Umgebung. Dennoch sehe ich, dass sich in den letzten Jahren nichts geändert hat. In den oberen Zimmern zeigt Alisea mir wieder den Weg und ich betrete kurz darauf ein großes Schlafzimmer mit einem riesigen Bett, auf das ich sie kurzerhand absetze.
Dann trete ich einen Schritt zurück und verschränke die Arme. „Also, wo hast du Schmerzen? Und jetzt erzähl mir ja keine Märchen, sonst suche ich deinen Körper selbst ab!"
Alisea beißt sich auf die Unterlippe und senkt den Blick. Dann hebt sie ihren rechten Fuß und zieht den Schuh vorsichtig aus. „Ich habe meine Blutung nicht bekommen und der Graf sagte, er lässt das Kind wegmachen, wenn ich schwanger bin." Langsam wickelt sie einen Verband um ihren Fuß ab.
Sie wusste, dass sie mit meinem Kind schwanger ist und wollte es nicht verlieren. Dafür hat sie sich sogar verletzt. Plötzlich wird mir eiskalt.... Ich wollte, dass sie so etwas Brutales niemals wieder erleben muss und habe mir doch vorgenommen sie zu schützen! Es ärgert mich unendlich, dass ich es nicht geschafft habe.
Ich reiße die Augen weit auf, als ich ihre Fußsohle sehe. „Heilige Scheiße... bist du verrückt geworden?" Ich beiße mir auf die Unterlippe. Wie konnte sie sich die Narbe aufschneiden? Das muss schrecklich weh getan haben! Ich greife nach ihrem Fuß und schaue mir das an. „Wie konntest du damit noch laufen?"
„Ich weiß es nicht. Ich lag die meiste Zeit aber auch im Bett." Sie schluckt schwer und legt beide Hände an mein Kinn, damit ich sie ansehen muss. „Sie sagten, du seist tot! Dann wäre dieses Kind alles, was ich von dir noch hätte. Ich würde alles tun, um es zu retten!" Ihre Augen glänzen und ich sehe die Tränen darin. „Und wir müssen auch die beiden Ärzte und den Schreiber töten! Niemand darf erfahren, was wirklich passiert ist, Lestat!"
Ich starre sie einen Moment perplex an. Das meint sie doch nicht wirklich ernst? Doch... das tut sie! Was stimmt mit ihr nicht? Ist sie so kaltherzig geworden? Würde sie ihnen womöglich sogar noch selbst die Kehle durchschneiden?
Oder ist sie gar nicht so geworden? War sie das nicht immer schon? Ich weiß ja, dass sie keine Probleme hat zu töten. Hier wäre es aber nicht angebracht. Das würde sofort auffallen. „Und Ninette? Sollen wir die gleich mit in das Massengrab versenken?"
„Ich weiß nicht. Du kennst sie besser." Sie sieht mir forschend in die Augen und beugt sich dabei ein Stück vor. „Ich habe Nouel vertraut und wurde so bitterenttäuscht! Ich habe..." Nun stockt sie und lässt mein Gesicht los.
Ich setze mich neben sie auf das Bett und greife nach ihrer Hand, dabei schaue ich ihr tief in die blauen Augen. Sofort fällt mir auf, dass sie nicht mehr strahlen. Sie wirken sogar wie tot. „Ich kann nicht rückgängig machen, was passiert ist und es tut mir wirklich leid, dass du abermals durch die Hölle gehen musstest." Ich atme tief ein und will gar nicht fragen, was alles in der Zeit passiert ist, bis jetzt. Es interessiert mich zwar brennend, aber ich will sie nicht noch trauriger machen. So frage ich sie aber: „Vertraust du mir?"
Jetzt laufen Tränen über ihr Gesicht, die sie eilig wegwischt. „Du bist zu mir zurückgekehrt." Sie schluchzt heftig auf und greift nach meinen Händen, während sie den Blick senkt. „Ich bin so kaputt, Lestat! Willst du mich denn noch heiraten?"
„Ja, was ist das für eine Frage?" Ich halte einen Moment inne und schaue sie nur an. Das hat sie nicht ernsthaft gefragt? Sie trägt mein Baby und ich liebe sie. Wenn, dann müsste ich sie das fragen. So rutsche ich von der Bettkante, ohne ihre Hände loszulassen und gehe vor ihr auf die Knie. „Willst du nach all dem noch meine Ehefrau werden?"
Aliseas Lippen zittern und neue Tränen laufen über ihre Wangen. Aber sie lächelt jetzt und nickt dabei. „Ja,ich will! Ich will!"
Ich greife in meine Tasche und ziehe den Ring von Aliseas Mutter heraus. „Eigentlich wollte ich ihn Ninette geben, falls du mich nicht mehr sehen willst. Aber jetzt wird er einem anderen Zweck dienen." Vorsichtig halte ich den Ring an Aliseas Ringfinger und ziehe ihn ihr an. Sie wehrt sich nicht dagegen. „Er passt wie angegossen."
„Du hast ihn noch..." Die Kleine wischt mit einer Hand ihre Tränen weg, während sie auf ihre
andere Hand starrt, die den Ring trägt. Und dann fällt sie mir unvermittelt um den Hals und weint sich die Seele aus dem Leib. Sie weint und weint, dass ich glaube, es nimmt kein Ende mehr. Es dauert lange, bis sie sich beruhigt hat und ich helfe ihr, sich ins Bett zu legen. Dabei fällt mein Blick wieder auf ihren Fuß. Das sollte sich der Arzt unbedingt ansehen. Aber erst muss sich meine Kleine ausruhen und ich habe mich noch um einige Dinge zu kümmern.
...
Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Ich habe nicht viel Zeit für meine Kleine, da ich mich um so vieles kümmern muss. Der Arzt und Ninette unterstützen mich aber tatsächlich, wo sie können und so schaffen wir es, den alten Sack unter die Erde zu bringen und dass ich als Alleinerbe dastehe.
So einfach hatte ich mir das nicht vorgestellt, aber vielleicht ist es auch nur Schicksal gewesen. Keiner konnte Graf Roux leiden und so brauchte ich mich gar nicht darum bemühen, dass jemand für mich aussagte. Sie taten es mit dem größten Vergnügen.
Die Kirche hat zwar noch versucht es anzuzweifeln, da sie sich das Geld gerne eingesteckt hätten, aber jeden, den sie befragten, war auf meiner Seite. Selbst die Mätressen meines Vaters sagten aus, dass er schon die ganze Zeit davon geredet hat, dass er mich legitimieren wollte. So war das Erbe und die Titelentgegennahme für mich nur noch eine Formsache.
Die Black Curesana ankerte über die ganze Zeit an der Küste und meine Freunde wichen mir nicht von der Seite, auch wenn sie nicht anwesend sein konnten. Das wäre dann doch aufgefallen.
Dafür hatte ich aber die Stimme meiner Verlobten stets an meiner Seite. Sie hat mich unterstützt und war für mich da, wenn ich zweifelte und das geschah oft. Das hier ist einfach nicht mein Leben. Als Adliger muss man sich verstellen und ich hatte so manches Mal Mühe, dem ein oder anderen nichts an den Kopf zu knallen, in der Art: Was bist du denn für ein dämlicher Vollidiot?!
Dennoch freue ich mich auf die Hochzeit. Da habe ich aber auch Ote, Pepin und Hamo eingeladen. Ich bin gespannt, wie sie aussehen. Alisea hat mit ihnen geredet und ihnen angemessene Kleidung besorgt.
Ich sitze im Zimmer, bin für die Hochzeit schon fertig und warte gerade auf sie. Hoffentlich haben sie auf Alisea gehört und wenigstens Ote hat sich fein herausgeputzt. Er ist schließlich mein Trauzeuge.
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Von Sklavenhändlern verschleppt
Ficção HistóricaWir schreiben das Jahr 1771. Alisea de Marchand hat beinahe alles, was sich eine junge, adelige Frau nur wünschen kann. Zumindest glaubt man dies auf dem ersten Blick. Sie ist jung, reich und hübsch. Und einem Grafen versprochen, den sie nicht heir...