Kapitel 43

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Jeder Tag wurde für mich zu einem Kampf

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Jeder Tag wurde für mich zu einem Kampf. Ich konnte es nicht mehr aushalten und gab schließlich auf, um wie verrückt zu puzzeln. Die Neugier überwältigte mich einfach, ich musste unbedingt wissen, was am Ende herauskommen würde.

Ich konnte nicht genau einschätzen, wie lange ich damit beschäftigt war. Ich war beinahe mit dem Puzzle fertig, als Dr. Paisley sich wie immer zu mir setzte, um mit mir über meine Probleme zu sprechen. Bisher hatten wir über meine Schwierigkeiten gesprochen, die sich auf meine aggressiven Tendenzen bezogen. Dabei wurde nicht der aktuelle Vorfall mit den Vasen ausgelassen oder auch nicht die Tatsache, dass ich bei der Abschiedsfeier der Gastschüler jemanden verprügelt hatte.

»Sitzt du immer noch daran?«, fragte meine Ärztin überrascht, als wäre es für meine Verhältnisse die größte Konzentrationsleistung seit langem. »Ist es nicht offensichtlich.« Für mich war es glasklar, immer saß ich am Tisch mit einer Handvoll der letzten Puzzleteile.

»Die Frau mit den grauen Strähnen musste kurz lachen. Es klang eher wie ein Husten. »Ja, tatsächlich ist es das. Du bist ja auch schon fast fertig.« Ich zuckte mit den Achseln, als wäre es die leichteste Sache, dabei hatte ich den ein oder anderen Moment, in dem ich alles kaputt gemacht hätte. »Was soll ich sonst machen, dank Ihnen habe ich kein Internet und keinen Zugriff auf Technik. Meine Hobbys wurden eingeschränkt und die Bücher, die ich besitze, kenne ich auch schon. Danke dafür«, prustete ich gelangweilt.

Ja, meine Wurfmesser wurden mir mit der Begründung weggenommen, dass sie gefährlich seien. Die komplette Kindersicherung war aktiviert.

Dr. Paisley lächelte mich an. Ihre Augen runzelten sich schmal zusammen. Ich fand ihre Grimasse ziemlich böse. Unbeeindruckt von ihrer Anwesenheit, setzte ich mein Puzzle fort.

»Was machst du eigentlich, wenn dir unter normalen Bedingungen langweilig ist?«, fragte mich meine Ärztin von der Seite und reichte mir ein Puzzleteil. Nichts davon wurde vom Esstisch weggeräumt, bis ich damit fertig war. Meine Eltern störte es nicht, auch nicht, wenn wir gemeinsam aßen. Sie bemühten sich, ihr Verhältnis zu mir zu verbessern. Es war dennoch seltsam.

Ich wurde in Bezug auf meine Psychiaterin redseliger, auch wenn sie mir echt auf die Nerven ging, bis ich anfing zu erzählen. Ihre bloße Anwesenheit reichte aus, um mich zur Weißglut zu treiben. Aber mit einer Sache... und es nervt mich, es zuzugeben... tat es mir gut. Total ätzend.

»Laufen, Messerwerfen, Yoga, Produkte entwerfen, arbeiten und mich mit Pflanzen beschäftigen«, antwortete ich, ohne ihr auch nur einen Blick zu würdigen. Dennoch bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass Dr. Paisley mich beobachtete.

»Warum Pflanzen?« Die Frage fühlte sich für mich wie ein Déjà-Vu an und traf mich wie ein Stich mitten ins Herz.

Hayden hat mich etwas Ähnliches gefragt. Ich versuchte, den Gedanken zu vertreiben und biss mir auf die Lippen.

»Mein Nachbar hat mir gezeigt, wie man Pflanzen anbaut. Warum finden Sie das so seltsam, aber nicht das Werfen von Messern?«, wollte ich im Gegenzug wissen. Ihre Interessen schienen mir seltsam zu sein. Sie hinterfragte ausgerechnet die Pflanzen, aber nicht das Spielen mit Spitzen und scharfen Gegenständen.

Wird das für mich normalisiert, weil ich damit aufgewachsen bin? Brutalität muss scheinbar zu mir gehören, wie eine Sequenz in der DNA... eine Tendenz zum Grauen.

Ich musste über meine eigenen Gedanken schmunzeln, als Dr. Paisley mir ein weiteres Puzzleteil reichte, das ich sofort ansetzte.

»Ich weiß nicht, mir ist nur aufgefallen, dass hier kaum Pflanzen sind. Vielleicht erschien es mir deshalb so sonderbar. Der erste Eindruck kann aber immer täuschen, möglicherweise sollte ich nicht so schnell urteilen«, bemerkte meine Ärztin und schweifte noch einmal mit den Augen die Gegend ab. Es schien, als wollte sie keinen Fleck des Anwesens übersehen.

Sie hatte schon recht, abgesehen von meinem Zimmer, gab es nicht wirklich etwas Grünes auf dem Anwesen. Nur ein paar größere Pflanzen für die Ästhetik.

Da ich nichts dazu zu sagen hatte, entschied ich, keinen Kommentar dazu abzugeben. Stattdessen ließ ich meinen Blick weiter über das Puzzle wandern. Es waren nur noch wenige Teile übrig und dennoch konnte ich nicht erkennen, was sich dahinter verbarg. Kein Wunder, die Teile waren in Weißtönen gestaltet.

»Pflanzen haben etwas schon etwas Schönes an sich. Sie sind beständig, kommen und gehen. Im Grunde sind sie wie Sterne, die am Morgen verschwinden und in der Nacht hell funkeln«, schob sie ohne Vorwarnung ein. Ich erstarrte bei den Worten und wurde durch meine Erinnerungen geschleudert. Sofort erschien der Abend in meinem Internatszimmer in meinem Gedächtnis. Hayden lag neben mir auf dem Bett und erzählte mir etwas Ähnliches.

...Aber du hast dich von mir abgewandt.

Mein Hals schnürte sich zusammen, meine Hand zitterte, und ich ließ aufgebracht mein Puzzleteil fallen. Mir war so, als würde mir die Luft entzogen werden.

»Haben Sie nichts Besseres zu tun?!«, fuhr ich sie gereizt an. Eigentlich wusste ich nicht, wieso ich so war. Andere zu verletzen und wegzustoßen war leichter, als sich darum zu bemühen, jemanden in seiner Nähe zu behalten.

Dr. Paisley lächelte mich trotz meiner Reaktion an.

»Nein, eigentlich nicht. Wie läuft der Unterricht? Kannst du dich besser konzentrieren?«, fragte sie ganz sachlich nach. Ich blickte kurz auf und schnaubte genervt. Mein T-Shirtkragen fühlte sich plötzlich enger an. Ich räusperte mich und lockerte den Stoff.

»NormaI... so la la«, sagte ich und zupfte an meinem Oberteil herum. Dr. Paisley setzte nun selbst ein Puzzleteil ein, als würde sie kurzzeitig die Führung übernehmen. Die Luft wurde knapp für mich. »Bist du in allen Fächern gut?« Der Schweiß begann sich in meinem Nacken zu sammeln. Mir war kalt. »Kann nicht wirklich klagen. Bin nicht in allem die Beste«, antwortete ich knapp und gehetzt.

Wann habe ich zuletzt etwas getrunken?

»Ich war in Mathe und Physik unglaublich schlecht. Ich mochte diese Fächer nie und bin froh, dass ich nur allgemeine Kenntnisse benötige. Ich muss zugeben, dass ich in meiner Jugend das ein oder andere Mal nicht am Unterricht teilgenommen habe«, gluckste sie stolz über sich selbst.

Physik...

Meine Atmung wurde unregelmäßig und meine Brust schwellte sich erdrückend an. Mein Hals fühlte sich verstopft an. Meine Finger zuckten und ich schob sie inter den Tisch, damit meine Psychiaterin sie nicht sah. Ich knetete meine Hände und schüttelte meinen Kopf leicht, als würde ich damit meine Gedanken frei bekommen. Doch das half nicht, also stand ich ruckartig auf und schwankte deswegen.

Meine Ruhe verschwand und der Sturm der Worte in mir wurde lauter. Ich konnte diese Wände nicht mehr ertragen... diese stickige Luft.

»Wieso gehen wir heute nicht ausnahmsweise an die frische Luft...«

Von all den verrückten Ideen, die meine Ärztin hatte, war dies die Beste.


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More Than Me - Cardell Academy II (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt