Part 130

716 67 65
                                    

Immer noch Tom's Sicht

Ernüchternd muss ich feststellen, dass sich kein Amokläufer auf das Revier "West" verirren will und ich diese scheiß Situation tatsächlich durchstehen muss.

"Herr Mayer, darf ich bitten?" Phil lächelt mir schwach entgegen und reicht mir seine Hand, um mir beim Aufstehen behilflich zu sein.
"Dein Zeh?" Herrn Funke fällt sofort auf, dass ich nur einen Fuß belaste.
"Nein, bin bei der Verhaftung umgeknickt und es wurde ein paar Mal dagegen getreten!"
"Hast du deswegen keine Schuhe an?", fragt Szymon etwas irritiert und mustert meine dünnen Socken, die mehr schwarz als grau sind.
"Wurde ohne Schuhe abgeführt!", erkläre ich schulterzuckend und widme mich wieder meinem Kumpel der gerade feststellt, wie kalt ich bin:
"Verdammt... Warum bist du ein halber Eisklotz?"
Marc nimmt mir sofort die Erklärung ab:
"Weil Tom auf einem kalten, feuchten Steinboden schlafen musste. Cedric und ich hatten ja wenigstens Pritschen, auf denen wir nächtigen konnten!"

Ich höre, wie abermals Szymons Kugelschreiber über das Papier kratzt und er fast ununterbrochen weitere Notizen macht.

"Rückenschmerzen?" Linus beäugt meine äußerst krumme Haltung und winkt mir direkt nach der Frage schon wieder ab, da er es sich dann doch selbst denken kann.
Unter Ächzen und Gemurre entferne ich mir mein Oberteil, wobei ich von Phil an meinem Becken festgehalten werde, da ich aufgrund des Zitterns und der Instabilität meines Fußes kein so ein gutes Bild abgebe.
Als ich selbst an mir herab schaue wird mir kotzschlecht, da mein kompletter Oberkörper mit bunten Farben übersät ist.
"Weiter geht's mit der Hose, Tom!" Phil erinnert mich daran, dass ich den Rest meiner Kleidung ebenfalls ablegen sollte.
Nachdem ich den Knopf und auch den Reißverschluss geöffnet habe, ziehe ich die Jeans über meinen Hintern und setze mich dann auf meinen Stuhl.
Durch die Schmerzen im Rücken kann ich mich nicht richtig bücken und schnaube verärgert auf.
"Lass dir helfen, du alter Sturkopf!", nörgelt Linus gleich los und macht sich an meinem Hosenbein zu schaffen:
"Boah, die Hose ist total feucht. Kein Wunder, dass du frierst!"
Bevor der Notarzt dazu ansetzt, mein anderes Hosenbein über meinen Knöchel zu ziehen, kommt Phil mit einer Kleiderschere angerannt:
"Warte! Lass uns das lieber auf diese Art und Weise erledigen! Oh, oh, oh. Das sieht ganz nach Bänderriss aus!"
Meine Augen visieren meinen schmerzenden Knöchel.
Nach der Dicke und der komplett neuen blauen Farbgestaltung zu urteilen, könnte der medizinisch angehauchte gar nicht so verkehrt liegen.

Nach Zerstörung des Jeansgebilde ziehen die beiden Männer mich wieder auf die Füße und schieben mich Richtung Wand.
Linus wendet sich schwer schluckend ab, um den digitalen Bildersteller wieder an sich zu reißen.
Phils Blick macht mir ordentlich zu schaffen und darum wende ich meinen Kopf ab und schaue zu den restlichen Personen.
Marc hat eine Hand vor seinen Augen platziert und Klaus mustert entsetzt jeden Zentimeter meiner freigelegten Haut.
Die Hoffnung, in dem sonst so kühlen Blick meines Vaters etwas Besänftigung zu finden, zerschlägt sich im Sekundenbruchteil, als ich ihm in die Augen sehe.
Der mitfühlende Ausdruck lässt meine Nase wieder unangenehm kribbeln.
Da ich nicht mehr weiß wo ich noch hinschauen soll, schließe ich die Augen und versuche mich gedanklich wegzubeamen, was leider nur semi gut funktioniert.

Als die Aufnahmen gefertigt sind, werden auch meine Verletzungen genauer unter die Lupe genommen.
Meine Zahnreihen treffen schmerzhaft aufeinander, als Linus seine Finger an dem Bluterguss über meinem Beckenknochen ablegt.
Für einen Moment vergesse ich meinen total zerstörten Fuß und lade mein volles Gewicht darauf ab, was zur Folge hat, dass ich mit meinem Rücken gegen die Wand knalle und einen direkten Freiflug auf meinen Hintern geschenkt bekomme.
Die beiden Notärzte greifen gleich wieder nach meinen Armen, was ich aber sofort unterbinde, indem ich ihre Hände zur Seite schlage:
"Hört auf!"
"Tom! Wir geben dir gleich...", auch wenn Phil es nur gut meint, will ich nichts mehr hören.
Die Müdigkeit, die Schmerzen, alle Ängste und die Bilder meiner verletzten Kollegen wirbeln meine Gefühlswelt durcheinander und ich will nur noch meine Ruhe.
Meine Nerven halten jetzt einfach nichts mehr aus.
Die neu hinzu gewonnenen Schürfwunden an meinem Rücken, durch das herunter schlittern an der Wand, pulsieren schmerzhaft und bescheren mir Stoßwellen der Übelkeit.
Die Panik, dass dieses Martyrium niemals ein Ende finden wird, überfällt mich und eliminiert meinen Verstand.
Mir wird gleichzeitig heiß und kalt, während sich meine Atemwege verengen und die Luft nicht mehr ungehindert durch meine Lungen strömen kann.
Ich spüre, wie sich feine Tropfen auf meiner Stirn bilden und mein Körper bei jedem versuchten Atemzug an zitternder Intensität zunimmt.

Leben verbocken; Jetzt geht es als "Mayer" weiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt