Prolog

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Ein Knarzen ertönte von der hölzernen Pritsche, verstummte jedoch augenblicklich.
Einen kurzen Moment blieb es still, bis das Holz erneut ein Ächzen von sich gab.
Wieder und wieder knarzte und quietschte es. Ein dumpfes Rumpeln mischte sich hinzu.
Wieder wurde es still, bevor die Geräuschkulisse erneut einsetzte. Dieses Mal lauter und länger.
Dann wieder Stille.
Eine Weile wiederholte sich dieses Spiel, wobei das Rumpeln in den geräuschvollen Episoden das Knarzen des Holzes längst übertönte.
Es war wie die wohlvertrauten Takte eines Musikstücks. Doch dieses bestand lediglich aus zwei sich ständig wiederholenden Komponenten.
Stille und Lärm.
Ruhe und Panik.
Sie wechselten sich ab, bauten aufeinander auf bis ...
"EY! Was soll der Scheiß?"
Überrascht drehte ich mich zu der Pritsche um. Normalerweise bestand der Höhepunkt – der Moment der Erkenntnis – aus einem gewimmerten "Hilfe" oder flehendem "Bitte".  Diese Worte hingegen klangen fast schon pampig. Aber es sollte mich nicht stören. Im Gegenteil, eine willkommene Abwechslung.
"Alter! Was soll das?" Die Silben, die seiner Kehle entwichen, waren zu heiseren Schreien verkommen, aber es war sinnlos. Sie verloren sich in den gut gedämmten Betonwänden des Kellers.
„Lass mich gehen, du Irrer!"
Leider konnte ich ihm den Wunsch nicht erfüllen. Im Gegenteil.
Die ledernen Fesseln, die seine Fuß- und Handgelenke an der Pritsche fixiert hielten, hatten sich ein Stück gelockert. Er hatte Kraft. Wesentlich mehr als seine Vorgängerin, was jedoch wenig verwunderlich war.
Die weiteren Flüche und Beleidigungen ignorierend schritt ich zu ihm herüber. Mit geübten Griffen zurrte ich die Fessel um eines seiner Handgelenke fester, als eine Hand nach vorne schnellte.
Sie langte nach meinem Gesicht. Doch ich fing sie knapp vor meiner Wange ab.
Es entlockte mir ein Lachen. "Das haben die anderen auch versucht, ..." Meine Stimme wurde ernst. "... sind aber ebenso gescheitert."
"Du krankes Arschloch! Lass mich gehen!"
"Und wohin?" Ich biss mir auf die Zunge. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nicht mehr mit ihnen zu reden. Aber es war so unendlich schwer, alte Angewohnheiten abzulegen.
"Nach Hause. Bitte!"
Da war es, das flehende "Bitte". Der Widerstand hatte nicht lange gehalten.
Nachdem alle Fesseln wieder festgezogen waren, lehnte ich mich gegen die alte Holzkommode, auf der mein Werkzeug feinsäuberlich und steril auf einem Tablett aufgereiht lag.
Was jetzt folgte, war eigentlich der schönste Part. Nicht für ihn, der auf der Pritsche lag, aber für mich.
Aufmerksam betrachtete ich mein Opfer, das sich wieder in einer Ruhephase befand. Doch es waren nicht die Äußerlichkeiten, die meinen Blick gefangen hielten. Nicht die Kleidung, Statur, Haarfarbe. Nicht einmal das Geschlecht ... da war ich nicht wählerisch.
Es waren, wie man so kitschig sagte, die Kleinigkeiten, die mich in diesen kurzen Momenten zuvor faszinierten.
Das Heben und Senken des Brustkorbs – in diesem Fall im staccato, was in Anbetracht seiner Situation nicht überraschend war. Die glänzenden Schweißperlen, die sich auf der gerunzelten Stirn gebildet hatten und über die Schläfen hinabperlten. Die feinen Härchen, die sich auf den entblößten Unterarmen aufgestellt hatten. Einmal, so erinnerte ich mich, hatte sich einer eingenässt.
Die Ausnahme. Sonst waren die Reaktionen immer ähnlich und doch so individuell. Vor allem, wenn ich zum Werk schritt.
Wenn die scharfe Klinge des Skalpells sich in das weiche Fleisch senkte. Das helle Blut das Messer benetzte. Doch das waren nur die mechanischen Vorgänge. Selbst die Schreie waren nur eine Kulisse, die dem eigentlichen Schauspiel eine Bühne boten.
Es war der Schmerz. Der nackte Schmerz, den sie alle bei jedem Schnitt verspürt hatten. Dieser unverkommene Schmerz, der so laut echote, dass ich ihn in jeder Zelle meines Körpers spüren konnte.
Es war dieses überwältigende Gefühl, das mein Inneres flutete und in einer Welle purer Ekstase sowie Glücks brandete. Wer brauchte schon Drogen, wenn der Körper allein ein solch natürliches High erzeugen konnte.
Ohne Grausamkeit kein Fest, hatte schon Nietzsche geschrieben.
Bei dem Gedanken setzte ein Kribbeln in meinen Fingern ein und ein aufgeregtes Flattern durchzog meinen Magen. Es war das berauschende Gefühl der Vorfreude. Wie an Heiligabend, wenn man zum Tannenbaum schritt in Erwartung eines Bergs an großartigen Geschenken. Gut, meist war es unter unserem leer geblieben. Beispielsweise weil man drei Wochen zuvor seine Suppe nicht aufgegessen hatte. Kleine Vergehen zogen drastische Strafen nach sich, während das wahrhaft Schlimme unbescholten blieb. So war die Welt.
Doch heute Abend nicht. Heute Abend würde es ein Fest geben und was sich so willig darbot, durfte nicht verschmäht werden.

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Huhu, das ist meine erste Geschichte hier auf Wattpad. Über Feedback und Kommentare würde ich mich mega freuen <3 Ansonsten hoffe ich, dass euch die Geschichte gefällt und ihr viel Spaß (an den düsteren Stellen vllt auch anderes:D) beim Lesen habt:))

Down our Darkest PathsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt