Kapitel 31

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Milan


Angespannt blickte ich in den Flur in Richtung des Gäste-WCs. Was machte sie so lange da drin?
Ich ließ meine Finger knacken. Das Ganze stresste mich. Mochte sein, dass ich für Ayla kalt und distanziert gewirkt hatte, aber die letzte halbe Stunde dürfte die wohl emotionalste der letzten Jahre, wenn nicht sogar meines ganzen Lebens gewesen sein.
Ich hatte Sachen geteilt, von denen ich mir geschworen hatte, sie niemals jemandem anzuvertrauen. Sie sollten, wie die Leichen hinter mir, in der Versenkung verschwinden. Mein Blick glitt über das schwarze Buch. Ich konnte immer noch nicht begreifen, wieso ich es ihr gegeben hatte.
Wie alles in ihr zusammengebrochen war und Tränen ihre Wangen geflutet hatten. Es brach mir das Herz. Wieso tat es das? Ich hatte schon Menschen weinen sehen. In sehr viel schlimmeren Situationen als ihrer.
Herzzerreißendes Wimmern und Flehen.
Ich hatte es von mir abgeschottet. Zu sehr war ich in mein Werk vertieft. Aber ihres war mir unter die Haut gegangen. Sie hielt mich für ein Monster. Ich war eins. Aber dennoch schmerzte es, dass sie mich nun auch so sah.
Ich starrte die Tonfigur an. So sah sie mich also. Meinen Charakter. Ein dahinsiechender Haufen, der mit einem Menschen nur noch wenig gemein hatte.
Warum hatte sie gefragt. Ich konnte es ihr nicht erklären. Ich konnte es wirklich nicht.
Wie erklärte man jemanden, der noch nie Drogen genommen hatte, die Wirkung von Crack. Wie sollte ich ihr diesen Rausch, die Euphorie erklären, sodass sie es verstand. Wobei verstehen würde sie es nie, weil das implizieren würde, dass das Gefühl ein valider Grund für die Tat war. Und das mochte es in meiner Welt auch sein, aber nicht in der Welt, in der sie und der große Rest der Gesellschaft lebte. Und das war auch gut so.
Erneut schaute ich in Richtung der Toilette. War sie aus dem Fenster geflohen? Direkt zur Polizei? Verdenken konnte ich es ihr nicht.
Warum hatte ich es nicht bei dem damaligen Gespräch im Keller belassen? Meine Drohungen hatten anscheinend gewirkt. Zumindest hatte sie mich nicht angezeigt und auch jetzt trug sie kein Gerät zum Aufzeichnen bei sich.
Gerade überlegte ich, ob ich ihren Beutel packen und nachschauen sollte, als ich das Klacken des Türschlosses vernahm. Es folgten Schritte.
Wie zu Beginn stand sie, ihre Hände knetend, vor mir. Und wie eben konnte ich es nicht lassen, sie zu beobachten, als könnte sie jeden Moment austicken.
Unschlüssig rieb sie ihre Lippen aufeinander. Diese wunderschönen, perfekten Lippen.
"Ich ...", begann sie. "Ich habe nachgedacht."
Das hatte ich mir bei der Länge ihres Toilettenaufenthalts schon fast gedacht. Es schien ihr Lieblingsort zum Nachdenken zu sein.
Meine Frage wiederholte ich nicht. Sollte sie reden und ich würde entscheiden, wie ich darauf reagierte. Wahrscheinlich würde es ohnehin damit enden, dass ich sie – sofern sie nicht selbst rausstürmte – in den nächsten Minuten vor die Tür setzte.
"Also." Ayla trat einen Schritt näher an mich heran, ohne sich jedoch auf die Couch zu setzen. Sie konnte es offensichtlich kaum erwarten, dieses Haus so schnell wie möglich zu verlassen.
"Es tut mir sehr leid für dich. Also, was du durchgemacht hast", sprach sie zögerlich, während sie unruhig ihre Finger ineinander verschlang.
O Mann, das Thema.
"Braucht es nicht", raunte ich, noch immer auf dem Esszimmerstuhl sitzend.
"Doch, es hörte sich wirklich furchtbar an." Ein weiterer Schritt auf mich zu. "Natürlich ist es keine Entschuldigung für das, was du getan hast. Und am besten wäre es, wenn du nie, nie wieder jemanden in diesen Keller verschleppen würdest."
Ich verengte meine Augen zu Schlitzen. Wollte sie mich hier ernsthaft zu einer Kehrtwende bewegen? Süß. Und naiv. Aber das würde niemals passieren.
Ein weiterer Schritt auf mich zu. Beinahe meinte ich den lieblichen Duft nach Jasmin zu riechen. Auch wenn er mir sonst die Sinne benebelte, wäre es in diesem Fall eine Verschwendung. Ich ließ mich nicht von meiner Meinung abbringen.
"Aber ich weiß, dass das nicht passieren wird."
Überrascht blickte ich sie an.
Ehe ich mich versah, stand sie neben mir und ... ließ sich auf meinem Schoß nieder. Zumindest auf einem Bein. So leicht, wie sie war, spürte ich ihr Gewicht kaum auf meinem trainierten Schenkel.
Jetzt roch ich ihn ganz deutlich. Jasmin. Und noch viel schlimmer, den weichen Duft ihrer Haut. Auch wenn diese gut verdeckt unter ihrem Pullover lag.
"Was soll das, Ayla?", fuhr ich sie unruhig an.
Ihre Hand wanderte zu meiner Schläfe, aber ich fing sie ab. Wenn sie dachte, dass sie mich so um den Finger wickeln und bekehren konnte, dann irrte sie sich. Gewaltig.
Hauchzart legte sie ihren Kopf gegen meine Hand, die ihr Gelenk gefangen hielt. Ganz kurz, wie eine federleichte Brise strichen ihre rosigen Lippen meine Haut.
Meine Atmung wurde schwerer. Zorn wallte in mir auf. Vor allem, als ich merkte, wie ich kurz davorstand, einen Ständer zu bekommen. Dabei hatten ihre zierlichen Beine noch nicht einmal mein bestes Stück berührt. Angewinkelt lehnten sie an mir. Auf Zehenspitzen, da ihre Füße sonst den Boden nicht erreichten, hielt sie die Balance.
"Netter Versuch, aber das wird nicht funktionieren", knurrte ich ungehalten.
"Was wird nicht funktionieren?"
Sie spielte.
Ich riss ihre Hand runter. Der plötzliche Ruck ließ sie beinahe das Gleichgewicht verlieren.
Rasch langte ich um ihre Hüfte. Auch wenn mir dadurch die Chance entging, dass sie auf den Boden plumpste und sich eventuell das Genick brach. Wem wollte ich hier eigentlich etwas vormachen? So oft hatte ich über ihren Tod sinniert, doch ich wollte nichts weniger, als dass sie starb.
Ihre Hände krallten sich in meine Schulter und noch immer konfus sah sie mich an. Diese jadefarbenen Seen, die wie im Süden so klar waren, dass man bis auf den Grund schauen konnte.
"So verlockend du auch bist", zischte ich. "Dadurch wird sich nichts ändern."
Sie legte den Arm um mich und ihr Körper schmiegte sich noch näher an mich heran.
Verdammt, warum trug sie so viel Stoff.
"Ich weiß", sagte sie mit klarer Stimme.
Ich ließ die Finger meiner freien Hand knacken. "Was wird das dann hier?"
Und da war es wieder, der dunkle Schleier, der den See trübte und das grüne Wasser aufwirbelte.
"Ich will, dass du es mit mir teilst." Ihre Worte waren ein Flüstern.
Beinahe dachte ich mich verhört zu haben.
"Was?", rutschte es mir raus.
Ihre Augen fixierten mich. "Ich will das nächste Mal mit dir da unten sein, wenn du tust, was du tust."
Am liebsten hätte ich laut losgelacht. Vielleicht war es gut, wie leise sie die Worte ausgesprochen hatte. Sie gehörten verboten.
"Das habe ich jetzt nicht gehört." Um meine Finger nicht erneut knacken zu lassen oder gar auszurenken, krallte ich sie in ihren Oberschenkel, der nur von einer dünnen Hose bedeckt war.
"Ich meine das ernst", insistierte sie.
Faszinierend, was dieses hübsche, kleine Köpfchen sich immer wieder ausdachte.
"Red keinen Scheiß", erwiderte ich.
Doch ihr Blick war wie ein Schwur. Sie meinte das ernst. Fucking ernst.
"Auf gar keinen Fall", gab ich zurück. Bereits ihre Fingerabdrücke an meinem schwarzen, ledernen Buch waren zu viel. Dass sie von alldem wusste, war zu viel.
"Ich möchte das. Wirklich." Ihre Stimme streichelte über meine Haut.
Ich ließ ihr Bein los und drückte ihr meine Hand auf den Mund, damit der Schwachsinn endete. Und damit der unwiderstehliche Klang ihrer Stimme mich nicht weiter reizen konnte.
Eventuell drückte ich ein wenig fester zu, fixierte ihr Gesicht, damit sie mich ansah und die nächsten Worte verstand, die meinen Mund verließen.
"Hör auf mit dem Scheiß, okay." Ein drohender Unterton schwang mit. "Das wird niemals, niemals passieren. Hast du das verstanden?"
Etwas Neckisches blitzte in ihren Augen auf und sie lehnte ihr Gesicht meiner Hand entgegen.
"Ich meine das ernst, Ayla."
Ganz sachte spürte ich, wie sie unter meinen Fingern die Lippen spitzte und einen Kuss auf die Innenseite platzierte. Dabei ließ sie auch ihre Zungenspitze sanft gegen meine Haut tippen.
Fuck, wieso war es nur so schwer, ihr zu widerstehen. Wieso fiel es mir so schwer? Selbst unter dem dicken Stoff des Pullovers, konnte ich ihren warmen, verheißungsvollen Körper an mir spüren. Sie brannte sich förmlich durch meine Kleidung und unter meine Haut. Wie ein Fegefeuer löschte sie alles in meinem Kopf aus, dass dieser wie leergefegt war und ich nur daran denken konnte, sie auszuziehen, rittlings auf meinen Schoß zu setzen und durchzuvögeln.
Aber dieses Mal musste ich mich unter Kontrolle halten. Meine Hand von ihrem verführerischen Mund lösend, wollte ich sie von meinem Schoß schieben.
Doch ihre Hand streichelte durch mein Haar. Und diese Augen ... diese verdammten Augen. Ich merkte, wie aller Widerstand in mir zusammenbröckelte.
"Fuck", wiederholte ich meinen Fluch erneut. Dieses Mal allerdings als resignierendes Stöhnen. Ihre Hüfte umkrallend zog ich sie näher zu mir.
Sie schmiegte sich so perfekt an mich.
Ich konnte nicht anders und leckte mit der Zunge über ihren Hals entlang, schmeckte ihre Haut. Es war schon viel zu lange her gewesen.
Während Ayla seufzend die Lider schloss, glitt meine Hand in ihre Hose unter ihren Slip. Sie streckte mir leicht ihr Becken entgegen. Braves Mädchen.
Heiß und feucht empfing sie meine Hand. Mühelos ließ ich meinen Mittel- und Ringfinger in sie gleiten. Sachte fickte ich sie, während meine Lippen an ihrem Hals lagen. Ich konnte nicht anders als an ihr zu saugen. Ihre Haut war so weich und empfindlich.
Nach einer Weile merkte ich, wie ihr zarter Körper zu beben begann, sich mir entgegenbäumte, spürte ihre stoßweise gehenden Atemzüge an meiner Schläfe.
Ein Schauer fuhr über ihre Haut und ich spürte, wie mein Schwanz in der Hose hart wurde und seinen Tribut forderte. Aber nicht jetzt.
Es dauerte nicht lange und Ayla kam. Zitternd krallte sie sich in mein Haar und meine Schulter. Feine Schweißperlen zeichneten sich auf ihrer makellosen Stirn ab.
Ich musste aufpassen, dass sie nicht runterfiel.
Nachdem die pulsierenden Wellen ihrer Muschi abnahmen, zog ich meine Hand aus ihrer Hose. Meine Finger waren nass. Klare glitzernde Fäden überzogen diese.
Wie automatisch langte Ayla nach meiner Hand. Ihr orgasmusgetränkter Blick ließ meinen nicht los, als sie begann diesen mit ihrer rosa Zungenspitze abzulecken.
Ich konnte nicht anders und steckte ihr meine Finger in den Mund, wie ich es gerne mit meinem prallen Ständer getan hätte.
Scheiße, das lief nicht nach Plan. Jemand musste diesen Wahnsinn stoppen. Aber ich war in diesem Moment außerstande dazu.
Ich zog meine Finger aus ihrem Mund, legte sie um ihren Hals, ihren Nacken und zog sie zu mir. Nach einer quälend langen Ewigkeit – okay, eigentlich waren es noch nicht mal vier Wochen gewesen – legte ich meine Lippen wieder auf ihre. Sie erwiderte den innigen Kuss. Und ich musste gestehen, dass ihr Saft von ihren Lippen so viel süßer schmeckte.
Während wir ineinander versunken waren, spürte ich wie ihre Hand zu meinem Ständer glitt. Ich packte sie. Auch wenn es so verlockend war, sie hier auf der Stelle durchzuficken, war es eine miese Idee. Nicht nur mies, sondern auch gefährlich. Sobald ich in ihr steckte, ihr enges Inneres meinen Schwanz umschloss, war es vorbei und ich würde ihr nichts mehr abschlagen können.
Es war ohnehin schon wieder viel zu weit gegangen. Vor allem weil ihre Bitte noch immer im Raum hang. Eine Bitte, die unmöglich einzulösen war.
Kurzum packte ich die überraschte Ayla an ihren Hüften und schob sie von meinem Schoß.
Ich folgte ihr und erhob mich ebenfalls, sodass wir gegenüberstanden.
Die Distanz brachte etwas Klarheit in meine sengenden Gedanken. Auch wenn ich die Hände nicht von ihren Hüften lassen konnte.
"Was nun, Milan?" Fragend sah sie mich an. Im Gegensatz zu mir hatte sie sich wohl bereits wieder etwas besser gefangen.
"Raus", entfuhr es mir.
Ihre Augen wurden groß vor Kummer.
Das war noch quälender als ihr heißer Körper auf mir sitzend.
"So meinte ich das nicht", ruderte ich zurück wie ein Depp. "Wir sollten zusammen eine Runde spazieren gehen oder so."
Ihre Mundwinkel hoben sich. "Den Kopf freibekommen."
Ein höhnisches Lachen entwich mir. "O ja, du solltest definitiv den Kopf freibekommen."
Sie legte ihn schräg. "Bist du eigentlich froh, dass ich dir noch einmal geschrieben habe?"
Froh ... es war die Hölle gewesen, sie nicht bei mir zu haben. Allerdings waren ihre Nachrichten nicht die Erlösung gewesen, nach der ich mich gesehnt hatte. Ich hatte keine Ahnung, was sie besprechen wollte. Und ob sie nicht doch mit einer Hundertschaft vor der Tür stehen würde. Die letzten Tage waren ein Spießrutenlauf. Bis auf eine Nachricht.
Meine Hände noch immer um ihre Hüften liegend, murmelte ich. "Du hast mir auch gefehlt."
Ayla strich mit ihren Fingern über meine Unterarme. "Sieht so aus, als ginge es nicht ohneeinander."
Und genau das befürchtete ich. Wir zogen einander an, auf eine ziemlich ungute Art und Weise. Es gab Menschen, die sich besser nicht begegnen sollten. Menschen, die eine toxische Symbiose miteinander eingingen. Sich in all ihren Fehlern und Schwächen bestärkten. Es war ein Weg hinab in eine Spirale. Eine dunkle Spirale aus Schmerz und Tod, der im schlimmsten Fall nicht nur sie zwei, sondern auch Andere, Unschuldige mit hinabriss.
Wir mussten beide den Kopf freibekommen.

Statt um den Block zu gehen, waren Ayla und ich in die Stadt gefahren. Die Fahrt war weitestgehend schweigsam gewesen, da keiner einen Schritt zurückweichen wollte. Doch zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich im Recht. Es war eine furchtbare Idee. Und Ayla musste das verstehen.
Während sie sich an der kurzen Schlange eines Kaffeestands in der Nähe unseres Parks anstellte, wartete ich ein Stück abseits. Mit den Fingern scrollte ich durch meine Mails. Zwischen all dem Spam in meinem Postfach erblickte ich tatsächlich eine wichtige Nachricht. Es handelte sich um einen letzten Aufruf zu einer der Fortbildungen, die ich in diesem Halbjahr noch machen wollte. Durch das Chaos der letzten Zeit hatte ich diese beinahe vergessen. Ich musste dringend wieder klarkommen. Normalerweise konnte ich alle Termine aus dem Effeff.
Glücklicherweise endete die Frist erst heute. Halbherzig begann ich die Datenmaske auszufüllen, als ein Lachen ertönte. Ein verunsichertes Lachen.
Ich blickte auf. Ayla stand mit zwei Bechern in der Hand ein Stück abwärts vom Stand.
Neben ihr befand sich ein Mann. Ungefähr mein Alter, aber weniger Glück in der Haargenlotterie. Auch wenn der dunkelbraune Schopf noch voll wirkte, erkannte ich bereits den lichte werdenden Wirbel auf seinem Kopf. Er schenkte Ayla ein Grinsen und schlug ihr auf den Oberarm, ungeachtet der beiden Becher, die sie balancierte. Beinahe wären Ayla diese aus der Hand gefallen und hätten ihren Mantel sowie das Bayern-München-Trikot des Mannes besudelt.
Ich wollte mich wieder meiner Anmeldung zuwenden, als mir ein kleines, aber feines Detail auf Aylas Gesicht auffiel. Trug sie sonst jedes Gefühl auf der Nasenspitze zur Schau, versuchte sie es dieses Mal, zu verbergen. Was ihr jedoch mehr schlecht als recht gelang.
Unwohlsein. Sie schien sich nicht besonders behaglich in der Gegenwart des Mannes zu fühlen. Ihre Lippen waren zu einem verkrampft freundlichen Lächeln geformt. Ihr Blick glitt fast schon hilfesuchend immer an ihm vorbei.
Ein betrunkener Fußballfan, der sie belästigte? Wobei mich das Gefühl nicht losließ, dass sie sich kannten.
Als ihr Blick meinen kreuzte, formte sich ihr gesamter Ausdruck zu einer grotesken Maske. Es war so offensichtlich, dass sie aus der Situation wollte. Wie konnte der Spack vor ihr das nicht sehen?
Seufzend lief ich auf die beiden zu.
"Alles okay?", fragte ich, als ich bei den beiden angelangt war.
Ayla nickte. Es war ein falsches Nicken.
"O hey." Der Mann drehte sich überrascht zur Seite. Betrunken wirkte er nicht. Auch die obligatorische Bierdose fehlte. Stattdessen blitzte mir ein goldener Ehering an seinem Finger entgegen. Langsam fiel der Groschen.
"Das ist mein Ex-Ex-Freund ... Partner ... Bekannter", bestätigte Aylas Gestammel meine Vermutung. Der verheiratete Vollidiot, der sich geholt hatte, was er brauchte, und sie dann vor die Tür gesetzt hatte. Meine Antipathie hätte nicht größer sein können.
"Ja, das war schon ne wilde Zeit damals." Er lachte und kratzte seine windige Stelle am Hinterkopf. "Wie lange ist das her? Also, dass wir uns kennengelernt haben?"
Aylas Lippen waren wieder ein dünner Strich geworden, bevor sie antwortete: "Vor zwei Jahren glaube ich."
Ein noch nie zuvor gefühltes Brennen von Wut machte sich in meinem Magen breit. Sie war damals 18. Und er ein verheirateter Arsch.
"Boah krass. Das ist schon was." Er schüttelte den Kopf. "Aber du hast jetzt wen neues gefunden?" Er blinzelte auf meine rechte Hand. Am liebsten hätte ich meine eheringlosen Finger zusammengeballt und ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
"Ähm", kam es von Ayla und sie blickte mich verunsichert an.
Auch wenn zwischen uns rein gar nichts geklärt war, legte ich meine Hand auf ihre Schulter. Sanft, um sie und den Kaffee nicht aus der Balance zu bringen.
Ein Lächeln, dieses Mal ehrlich, erhellte ihr Gesicht. "Ja, es ist noch relativ frisch, aber ja."
"Cool, cool", kam es zurück und ich wurde abschätzig in den Blick genommen.
"Und wie geht es deiner Frau?" Das Unwohlsein war aus Aylas Gesicht gewichen und sie spie die Worte fast schon provokant aus.
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.
Vor allem als ihr Verflossener sich unwohl umherwandte. "Also, ja, wir haben uns ganz gut eingegroovt wieder."
"Schön." Aylas Stimme klang wie purer Frost. "Und jobtechnisch auch?"
Wie sich das Blatt wendete.
"Öhm ja, der Markt ist halt schwierig, ne", kam es ausweichend zurück.
Ich wusste zwar nicht, was der Typ arbeitete oder auch nicht arbeitete, aber mich beschlich das Gefühl, dass es weniger der Markt, sondern er selbst war, der die schwierige Komponente in dem Spiel darstellte.
"Hm ja", stimmte Ayla zu. "Aber dann gut, dass deine Frau so einen klasse Job hat und euch da alle gut versorgen kann. Es ist bestimmt auch nicht leicht für sie."
Damit war es offensichtlich. Ihr Ex war ein Pascha. Kein Hausmann, sondern ein fauler Sack, der sich auf Kosten seiner Ehefrau durchfüttern ließ und hinter ihrem Rücken andere bumste. Dass Ayla sich auf ihn eingelassen hatte, machte mich rasend. Wobei sie sich auch auf mich eingelassen hatte und Ehebruch hin oder her, ich war in dieser Runde zwar der mit dem besseren Haar, aber charakterlich definitiv die schlimmere Option.
"Ja, genau." Ein unwohles Umherschauen, ließ mich darauf schließen, dass seine Familie wahrscheinlich ganz in der Nähe sein dürfte.
"Na denn", setzte er an. "Schön, dass du jetzt wen neues hast im Bett." Er sah Ayla missbilligend an. Dann wandte er sich mit einem falschen Lächeln an mich. "Viel Spaß. Sie is ne Gute." Mit einem ekelhaften Zwinkern wollte er an mir vorbeigehen. Doch ich packte ihn an der Schulter und zwang ihn zum Stehen.
"Ne Gute?", zischte ich.
"Milan." Ayla legte warnend ihre Hand auf meine Brust.
Doch es war zu spät. Sonst war ich ein großer Fan von Contenance. Aber dieser Typ war weder mein Patient noch die Polizei. Also, Scheiß drauf.
"Ja, ne Gute", wiederholte er provozierend, als sei Ayla eine Mikrowelle oder sein alter, noch gut funktionierender Flachbild-TV, den er mir überließ.
"Sollen wir uns vielleicht noch abklatschen zur Übergabe?" Meine Finger krallten sich ein Stück tiefer in seine Schulter. Nicht nur als Mediziner wusste ich, dass es jetzt schmerzhaft sein dürfte.
"Was is dein Problem?", mokierte er sich. "Is doch nett gemeint." Er wusste, dass es absolut respektlos war, hatte es aber nicht lassen können.
In Aylas Richtung gewandt stichelte er: "Ist doch nichts Wildes dran, dass du dir wieder nen älteren genommen hast? Welches junge Ding steht nicht aufn bisschen Erfahrung."
Angewidert ließ ich die Hand sinken. "Was für ein abgefuckter Schwachsinn. Ich glaube, du verpisst dich jetzt besser."
"Jaja, spiel dich mal nicht auf, als ob du hier, was Besseres wärst." Ein Hauch von Zorn mischte sich in seine Stimme. "Wir sind im gleichen Team, Mann."
"Das bezweifle ich stark, Mann. Sofern ich weiß, habe ich keine Frau und Kinder, die ich den lieben langen Tag bescheiße." Nur, einen Keller voller Leichen.
"Und er ist übrigens Arzt", mischte sich Ayla ein.
Ich warf ihr einen fragenden Seitenblick zu.
Sie zuckte mit den Schultern. "Das ist auf jeden Fall etwas, worauf man stolz sein kann. Zu arbeiten, sich selbst versorgen zu können." Ihre Augen musterten ihren Ex.
Doch dieser schien wenig getroffen zu sein, sondern vielmehr erfreut. "Ah, daher weht der Wind. Er hält nicht nur unten bei dir alles in Schuss, sondern auch hier oben." Sein Wurstfinger tippte an seine Stirn.
Ayla schluckte.
Okay, jetzt war Schluss mit dieser peinlichen Show, die der erbärmlichste Bayern-München-Fan, den ich je erlebt hatte, hier abzog. Es pisste mich an, dass er Ayla so respektlos behandelte und dass er hier meine wertvolle Zeit stahl. Unsere wertvolle Zeit stahl.
Ich baute mich vor dem Vollpfosten von einem Menschen auf. "Mal davon abgesehen, dass ich kein Therapeut bin und nein, ich werde dir den Unterschied jetzt nicht erklären, sehe ich hier aktuell nur einen mit Problemen hier oben. Und zwar den Typen, der es im Leben weder job- noch ehetechnisch geschissen bekommt. Und sich zudem, wie der letzte Pedo, an eine achtzehnjährige Erstsemesterstudentin rangeschmissen hat und jetzt – anstatt ein letztes bisschen Würde zusammenzukratzen – diese auch noch mit dummen Sprüchen runtermachen muss."
Er wollte etwas erwidern, aber ich war noch nicht fertig.
"Im Übrigen kannst du dir die Scheiße, die aus deinem Mund quillt, auch sparen. Ich schätze mal, deine kleine glückliche Familie springt hier irgendwo herum und wenn du magst, können wir deiner lieben Gattin ja mal gerne erklären, wieso du bei ihr keinen mehr hochbekommst."
"Als ob die euch glaubt", kam es hochmütig zurück.
"Ach, ich glaube schon, dass sie sich denken kann, dass jemand wie du ab und an mal einen woanders versenkt. Und ist ja nicht so, dass Ayla nicht noch Nachrichten samt Schwanzbilder von dir archiviert hätte." Letzteres war geraten. Doch so wie ich ihn einschätzte, war er genau der Typ, der ungefragt Dick Pics verschickte.
Einen Moment wirkte er verunsichert.
Dann schüttelte er gespielt lässig den Kopf. "Ja, als ob. Ihr spinnt doch. Fick dich, Mann."
Wow, was ein Konter.
Erneut packte ich seine Schulter und lächelte ihn eiskalt an. "Dafür habe ich ja jetzt Ayla und oh herzlichen Glückwunsch übrigens dazu, dass du es geschafft hast, deine Mutter zu heiraten." Freundlich wie ich war, ließ ich ihn los.
Mit einem Schnauben und wütenden Beleidigungen stampfte er von dannen. Natürlich war er auch der Typ, der das letzte Wort behalten musste. Aber es war egal, weil er auf allen anderen Ebenen so hart reingeschissen hatte, dass jedes seiner Worte so wertlos war wie er selbst.
Genervt rieb ich mir die Stirn. Was für ein Arsch und was für eine Zeitverschwendung.
"Meinst du, ich bin zu jung?" Aylas leise Worte wehten zu mir rüber, als sie ihrem Verflossenen beim Davontapsen zusah.
Überrascht sah ich sie an. Von allem, was in den letzten Minuten gefallen war, war das die Sache, an der sie sich aufhing?
"Für wen?", fragte ich.
Ihre trüben, jadegrünen Augen sahen mich traurig an. Es zerriss mir fast das Herz.
"Für dich. Und generell. Bin ich zu naiv und einfältig?"
Ich nahm einen tiefen Atemzug. Die Bitte, die sie mir noch vor weniger als zwei Stunden unterbreitet hatte, klang in meinen Ohren mehr als naiv. Sie klang falsch, unüberlegt und absurd. Doch so verloren, wie sie jetzt vor mir stand, fiel es mir schwer, ihr etwas abzuschlagen. Der Anblick war so schwer zu ertragen, dass ich ihr Gesicht in meine Hände nahm und einen Kuss auf ihre Stirn platzierte.
"Du bist nicht einfältig." Ich sah sie ernst an.
"Aber?"
"Warum willst du das tun?" Meine Frage zielte auf ihre Bitte, ihren Wunsch ab, der so abwegig war, dass ich ihn nicht noch einmal wiederholen wollte.
Eine Weile versank sie in ihre Gedanken und lehnte sich meiner Berührung entgegen.
"Ich will das, weil ich selbst wissen möchte, was genau dieses Dunkle in mir ist. Ob ich vielleicht auch so bin wie du."
Meine Nasenflügel bebten und mein Kiefer malmte. Ich begab meinen Kopf ein Stück näher an sie heran, sodass ich ihre Wärme spüren konnte.
"Du bist nicht wie ich." Meine Worte waren gedämpft, aber bestimmend. Ich war fest davon überzeugt, dass sie nicht wie ich war.
"Aber vieles, was du magst, mag ich auch. Und vielleicht auch den Schmerz. Ich meinte das ernst, dass ich auch Leid brauche, um ... um zu kommen."
Ich wusste, worauf sie anspielte. "Das ist nicht das Gleiche, Ayla." Es war nicht einmal ansatzweise das Gleiche. Mochte sein, dass auch sie ihre Vorlieben hatte, die sie sexuell antrieben. Aber diese rührten woanders her, waren anders, als dass was ich empfand.
Ich war auf diese Welt gekommen, mit den Anlagen zum Erfreuen am Schmerz und Leid anderer. Sie waren von Anfang an fest in mir verwurzelt. Ich hatte sie mit auf diese Welt gebracht.
Meine dunklen Vorlieben waren Abgründe in mir. Aber ich war auch diese Abgründe. Aylas vermeintlich dunklen Seiten hingegen waren Schatten aus ihrer Vergangenheit. Mechanismen, um mit Dingen umzugehen, die sie verletzt hatten und noch immer verletzten. Durch ihren Exfreund sah ich es so deutlich wie nie zuvor.
"Warum willst du das wirklich?" Meine Frage klang zutraulich, aber wie die Klingen meiner Skalpelle, war sie dazu gedacht, tief zu schneiden.
Verwirrung spiegelte sich in Aylas Augen aus zerbrechlichem, grünem Glas wider. Einen Moment folgte sie der Berührung meiner Fingerspitze, die über ihre wunderschöne Unterlippe strich. Sie hing dieser nach. Natürlich tat sie das. Sie folgte mir. Bereitwillig.
In diesem Augenblick brach sich die Erkenntnis offensichtlich auch in ihr bahn.
Ihre Augen wurden groß. Aber nicht aus Hilflosigkeit oder Überforderung. Es war Einsicht.
Doch statt erschrocken davon zu weichen, durchzog ein wildes, fast schon besessenes Verlangen wie dunkle Schlieren das jadefarbene Glas.
"Weil ich dich will." Ihre helle, sonst so sanfte Stimme klang so fest und überzeugt. Sie war wie eine Einladung.
"Das ist falsch", gab ich in sachtem Ton zu Bedenken. Natürlich war es falsch. Ihre Grenzen durften sich nicht nach meinen richten. Sie durfte das nicht für mich tun, durfte mir nicht folgen. Es war mein Pfad, den ich allein gehen musste.
"Das ist egal. Ich will das, auch wenn es falsch ist." Und da war es wieder das sanfte Hauchen, das sie sonst nur gebrauchte, wenn sie mich um etwas bat, von dem ich nicht vollends überzeugt war. Und wer hätte gedacht, dass es auch ohne das magische Wörtchen funktionierte.
"Du weißt nicht, was du willst." Ein schwacher Versuch meinerseits. Doch ich merkte, wie meine Mauern erneut zusammenbröckelten.
Ein verwegenes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, die meine so sehr einluden, sie zu berühren. Sie wusste, dass mein Widerstand in sich zusammenbrach. Ich war ein offenes Buch für sie geworden, wie sie es für mich war.
"Bitte, Milan."
Und ich konnte nicht anders, schloss meine Augen und lehnte meine Stirn gegen ihre. Sie wusste genau, was sie wollte, aber es war falsch. Wie all das hier. Alles, was ich tat, war falsch.
Aber warum jetzt damit aufhören ...

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