Kapitel 37

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Ensel


Würde sie wieder rauskommen? Oder hatte er sie schon samt seinem anderen Gefangenen getötet?
Nervös trommelte ich auf das Lenkrad des neuen Mietwagens. Wie auch die letzte Zeit wechselte ich regelmäßig das Auto. Nicht, dass Ficker Milan noch Verdacht schöpfte. Allerdings zog es mir so langsam die scheiß Hosen aus. Eds Lohn, wenn man es denn so nennen konnte, war ein stinkender Fliegenschiss. Wer zur verschissenen Hölle konnte davon leben? Wenn er nicht schon lebenslänglich wegen der Beseitigung von Leichen in den Bau wanderte, hätte ich ihn direkt noch einmal wegen Ausbeutung und der Verletzung von Arbeits-, wenn nicht sogar Menschenrechten vor Gericht geschleift. Meine Konsole hatte ich bereits für diesen Beschattungsscheiß verkaufen müssen. Als nächstes wäre der Flachbild-TV dran. Aber es war nicht wild. Ich stand kurz vorm Ziel. Hoffte ich zumindest.
Vor einer gefühlten Ewigkeit hatte ich Ayla dabei beobachtet, wie sie in dieses Horrorhaus spaziert war. Nervös und verängstigt. Natürlich hatte ich ihr vorher in unseren Nachrichten, die wir uns seit geraumer Zeit schickten, davon abgeraten. Auch wenn sie mir zwischenzeitlich echt auf den Sack gegangen war, weil sie diesen Killerarzt nicht verpfeifen wollte, war sie mir mittlerweile ein stückweit ans Herz gewachsen. Sie tat mir leid. Er hatte sie in seinen Fängen. Wer weiß, wozu er sie zwang. Mitgefühl erfüllte mein sonst so steinhartes Herz. Das erste Mal seit Finn. Hatte ich für Menschen schon immer wenig übriggehabt, und Mitleid schon gar nicht, war mein kleiner Bruder immer eine Ausnahme gewesen.
Ich erinnerte mich, wie er damals mal wieder ein Blech voller Muffins hatte anbrennen lassen. Nicht verwunderlich für einen achtjährigen Jungen. Die Bude hatte voller Rauch gestanden und trotz Fensteröffnen, hatte es gestunken, als ob eine Tankstelle in die Luft gegangen war. Ich konnte mich gut an die Tränen erinnern, die aus seinen großen Augen gekullert waren. Unser Vater würde bald von der Arbeit kommen und dann würde er alles kurz und klein hauen. Auch wenn das den verdammten Rauch ebenfalls nicht verschwinden lassen würde. Dieser hohle Ficker.
Ich hatte mich zu Finn gebeugt, ihm versucht die Tränen wegzustreichen. Er brauchte keine Angst zu haben. Ich würde die Schuld auf mich nehmen. Der Arsch würde ihm kein Haar krümmen.
Alles okay. Es ist alles okay. Versprochen.
Mit aller Wucht schlug ich aufs Lenkrad, als ob ich damit die Erinnerung in kleine Einzelteile zerschlagen könnte. Ich hatte damals eine Mordswut auf unseren Erzeuger und er hatte Finn noch nicht einmal ins Krankenhaus befördert.
Milan-Mörderarzt hingegen hatte ihn getötet.
Und Ed seine sterblichen Überreste von der Erde getilgt, als hätte er nie existiert.
Sie würden dafür zahlen. Beide.
Andächtig streichelte ich über die Digitalkamera in meinem Schoss. Auf dem Beifahrersitz lag mein Laptop. Auf beiden waren genügend Fotos, die den mordenden Arzt in den Knast befördern würden. Lediglich bei Ed war die Beweisführung noch etwas löchrig. Schmierige komische Kunden mit Säcken vor dem Lagerhaus, in dem ich bis heute nicht drin war. Das reichte nicht. Ich musste sie erwischen, sobald Scheißmilan die Leiche beseitigte.
Vorausgesetzt es würde bei einer Leiche bleiben. Erneut trommelte ich auf das Lenkrad. Auf der einen Seite wollte ich der armen Ayla helfen. Auf der anderen Seite würde ich nicht alles für sie hinschmeißen.
Ich griff nach meinem Handy.
Ensel: Hey, mach mir langsam Sorgen. Biste immer noch bei ihm? Meld dich mal.
Es war die dritte Nachricht an Ayla. Anrufen wollte ... konnte ich nicht. So viel Effort hatte ich seit meiner Polizeiprüfung nicht mehr aufgebracht. Es war fast schon eine Nachrichtenflut im Vergleich zu dem, was ich meiner Exfreundin bei unserer Trennung geschickt hatte.
Mit beiden Fingern massierte ich meine Nasenwurzel. Mein Blut geriet langsam in Wallung. Das war doch eine einzige Drecksscheiße. Wie ich diese Warterei verabscheute. War es sonst kein Problem gewesen, merkte ich jetzt, wie der verkackte Choleriker-Part, den mein Pisser von Erzeuger mir vererbt hatte, emporstieg. Ich konnte hier nicht weiter dumm rumsitzen und Däumchen drehen.
Kurzerhand startete ich den Motor und parkte aus. Ich hatte bereits einen Plan. Keinen legalen, aber diesen Pfad hatte ich ohnehin schon lange verlassen.

Es war ein gutes Stück Arbeit und mit sicher nicht meine beste. Missmutig begutachtete ich die Kratzer am hölzernen Türrahmen an der Stelle, wo ich das Schluss aufgebrochen hatte.
Fick-, nein Kackscheiße. Das war mehr als auffällig.
Kurz grübelte ich.
Sollte ich die Tür einfach offenstehen und ein paar Wertsachen mitgehen lassen? Dann würde es wie ein stinknormaler Einbruch aussehen.
Allerdings war Ayla ohnehin finanziell knapp dran. Kurze Zeit hatte ich gedacht, dass dieser Milan sie schmierte und fürs Ficken bezahlte. Aber so, wie ich sie kennengelernt hatte, war sie dafür nicht der Typ. Im Gegenteil, sie war ziemlich verklemmt. Unscheinbar und ängstlich. Schutzbedürftig.
Und arm. Ja, als Studentin hatte sie nicht viel. Vorsichtig drückte ich die Tür ihrer WG hinter mir zu. Das Schloss klickte und ich ließ meinen Blick durch das Innere der eindeutig in die Jahre gekommenen Wohnung streifen.
Der Plan hatte die letzten Tage bereits öfters meine Gedanken gestreift. Doch heute, wo Ayla bei dem Arzt war und ihre Mitbewohnerin, wie sie die Tage geschrieben hatte, in der Heimat, bot sich endlich eine günstige Gelegenheit. Vielleicht entdeckte ich in ihrer Bude den ein oder anderen Hinweis. Ein Tagebuch, dem Ayla sich vollständig anvertraute und nicht nur Bruchstücke hinwarf. Wie mir, ihrem neuen besten Freund. Vielleicht sogar einen Hinweis, womit Milan ihr drohte und in Schach hielt. Außerdem war ich neugierig. Scheiße neugierig.
Beinahe hätte ich mir die Schläfen gerieben, aber riss rechtzeitig meine Hände runter. Nachher hätte ich noch Hautpartikel an den Handschuhen, die ich kurz vor meinem Einbruch übergestreift hatte, hinterlassen. Auch wenn die frischen Macken an der Tür verdammt verdächtig waren, mussten die kommenden Spuren nicht unbedingt zweifelsfrei auf mich hindeuten.
Eine Dreiviertelstunde später war ich durch. Mit der Wohnung und nervlich. Das Zimmer ihrer Mitbewohnerin hatte ich großzügig ausgespart. So viel Privatsphäre musste sein. Außerdem hatte ich nach dem Badezimmer eh die Schnauze voll.
Alter, wie konnte man so viel haaren. Und dann erst die Bürsten. Ich besaß noch nicht mal einen fucking Kamm. Aber die Mädels hatten gefühlt zusammen hunderte von diesen in verschiedenen Ausführungen. Und alles war voller verdammter Haare.
Viel Haar, wenig Tagebuch. Kein Tagebuch, um genau zu sein. Auf ihrem Rechner mit dem wohl miesesten Passwort aller Zeiten – ihr eigener Geburtstag, ernsthaft? – fand sich auch nur Unimüll.
Mit einem Stöhnen ließ ich meinen Blick durch das Wohnzimmer aka die Küche gleiten. Hier hatte ich lustlos in den ein oder anderen Schrank reingeschaut.
Am liebsten hätte ich gegen den Couchtisch getreten. Dieser ganze Aufriss war einfach nur sinnlos gewesen. Und dafür hatte ich auffällige Einbruchsspuren an der Tür hinterlassen.
Fickscheiße. Genau wie die furchtbare Einrichtung in dieser WG.
Schnaubend griff ich nach dem hässlichen Tonklumpen, der auf dem Couchtisch stand. War das etwa Kunst? Und wenn ja, was zum Fick sollte es darstellen? Das erbärmliche Ergebnis eines One-Night-Stands von Gollum und einem Ork, das on top auch noch Tschernobyl überlebt hatte?
Ich dachte, Ayla studierte Kunstgeschichte. Warum hingen hier keine Kopien von da Vinci oder Michelangelo oder wie die italienischen Pisser alle hießen. Am liebsten hätte ich den hässlichen Tonklumpen gegen die Scheibe gedonnert. Zumal Ayla sich immer noch nicht gemeldet hatte. Wenn dieser Ficker sie ernsthaft ...
Klack.
Erschrocken versteinerte sich mein Körper.
Krrrz.
Nein, das konnte nicht sein ... Meine Finger krallten sich um den Scheißhaufen Ton.
Ein erneutes Knarzen von Holz war zu hören.
"Hallo?", erklang in dem Moment eine Frauenstimme.
Fickscheiße.

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