Kapitel 3

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Milan


Abgespannt stellte ich meine lederne Tasche unterhalb der Garderobe in meinem Flur ab. Was für ein Tag. Es war zwar erst Nachmittag und ich hatte ein wenig früher Schluss machen können, doch ich fühlte mich, als sei es schon kurz vor Mitternacht. Draußen dämmerte es bereits. Wie passend. Leider würde mein Bett noch etwas auf mich warten müssen. Es galt die Altlasten des Samstags zu entsorgen.
Entschlossen schritt ich den Flur entlang und schloss die Kellertür mit dem einzig existierenden Schlüssel auf. Eine Vorsichtsmaßnahme, die eigentlich nicht von Nöten war. In all den Jahren hatte sich nie jemand um meine Taten und Person geschert. Sämtliche Ermittlungsspuren, sofern denn ermittelt wurde, schienen sich wohl im Sand zu verlaufen. Manchmal fragte ich mich, ob es bereits Polizeistellen gab, die zwischen den Vermisstenfällen, die sich wie ein Flickenteppich über das ganze Land zogen, eine Verbindung feststellen konnten. In Anbetracht der ausbleibenden Hausdurchsuchungen, wahrscheinlich nicht.
Vor der doppelgesicherten Betontür blieb ich stehen. Sollten sie einmal bis hierher vorgedrungen sein, wäre es ohnehin zu spät für mich. Es dürfte wohl jedem klar sein, dass sich hinter dieser Tür keine Waschküche oder Abstellraum verbarg.
Fast lautlos öffnete sich der einzige steinerne Einlass, der Zugang bot, zu dem Schrecken, der sich dahinter verbarg. Ein erregendes Gefühl der Freude wanderte durch meine Glieder, als die Erinnerung an Vergangenes zurückkehrte. Wie lange der Rausch dieses Mal verweilen würde, würde die Zeit zeigen.
Zufrieden betrachtete ich das Reich der Qual. Wobei es aktuell relativ harmlos wirkte. Ich hatte gestern ganze Arbeit geleistet. Das Blut und alle weiteren fleischlichen Spuren meines Opfers waren verschwunden. Auch mit UV-Licht war kein Fleck mehr zu erkennen. Sehr schön.
So blieben lediglich die beiden Müllsäcke in der Ecke des Raums. Ich stöhnte. Danach würde ich noch einmal reinigen müssen. Es half ja nichts. Jede Freude hatte ihren Preis.
Vierzig, fünfzig Kilo.
Mein Opfer war für einen Mann nicht besonders beleibt gewesen. 1,85 Meter und 90 Kilo schätzte ich seine Maße. In seinem jetzigen Zustand teilte sich das Gewicht mehr oder minder gleichmäßig auf die beiden Säcke auf.
Schweiß rann mir die Stirn entlang, als ich die schweren Tüten nacheinander in dem mit Plastik ausgekleideten Kofferraum meines Autos verladen hatte. Im Fitnessstudio stemmte ich deutlich mehr. Allerdings bestand ein Unterschied zwischen dem Heben von Gewichten und dem Schleppen von Körperteilen, in denen die Leichenstarre bereits wieder nachgelassen hatte, eine steile Kellertreppe hinauf.
Kurz blickte ich mich um. Doch die Straßen waren leer. Die Dunkelheit hatte sich wie ein langer Schatten über die beschauliche Nachbarschaft gelegt. In den Jahreszeiten, wo mehr Nacht als Tag herrschte, war die Beseitigung stets leichter.
Ich startete den Wagen und fuhr los. Aus der Siedlung, die Autobahnauffahrt hinauf, nach einer Weile auf eine Landstraße hinunter, einen Schotterweg entlang. Bei einem runtergekommenen Bauernhof hielt ich an. Neben dem Wohnhaus und Stallungen, standen zwei Lagerhallen auf dem verlassen wirkenden Gelände. Die Fenster waren gesprungen. Ob es das Wetter war oder jemand mit Steinen die Scheibe eingeschlagen hatte, vermochte ich nicht zu sagen. Die Beliebtheit seines Besitzers hielt sich in Grenzen.
"Milan" Eine tiefe Raucherstimme ertönte aus Richtung des zweiten Lagerhauses.
"Ed", grüßte ich die rundliche Gestalt, die mit langen Schritten auf mich zueilte. Eine Wolke aus Tabak, Gras und einem Schuss Klarem wehte mir entgegen. Immer noch besser als die Gülle, die ihn sonst umgab.
"Das ging dieses Mal aber schnell." Ed strich sich über das unrasierte Kinn und zündete sich eine Zigarette an.
Ich streifte meine schwarzen Einweghandschuhe über und öffnete den Kofferraum. "Er fiel mir in den Schoss."
Ed trat neben mich und begutachtete die Säcke. "Fässer oder Mahlwerk?" Ein Lächeln schlich sich auf sein gegerbtes Gesicht und entblößte eine Reihe gelber Zähne. "Oder beides?"
Ich verschränkte die Arme. "Fässer."
"Sicher nicht Mahlwerk?"
"Weniger Spuren."
"Spuren bleiben immer."
"Ich dachte, Reinigung gehört bei dir zum Service."
Ein kehliges Lachen erklang. "Ja, meistens schon. Ist meinen anderen Kunden auch schon wichtig. Aber hab auch echt viel zu tun, da komm ich manchmal nicht hinterher."
Das hatte ich mir gedacht. Es fehlte Ed generell an Hygieneempfinden. Allerdings war er zuverlässig und auch wie ich nie in den Fokus von Ermittlungen gerückt.
"Dann Fässer", stimmte er mir zu. "Den Schweinen bekommt's eh nicht so gut, habe ich das Gefühl."
Nur auf halbem Ohr zuhörend zog ich einen Umschlag heraus. "Passt so."
"Auch wenn du wie ein Bruder, Halbbruder für mich bist, muss ich trotzdem mal reinlugen." Gierig zählte er die Scheine. "Und wen hast du mir dieses Mal vorbeigebracht?"
"Keine Ahnung", log ich. "Mittelschwerer Mann in zwei Teilen." Ed hatte es nicht zu interessieren, wem die Körper gehörten, die ich ihm in unregelmäßigen Abständen auf den Hof karrte. Dass er Bescheid wusste, war Risiko genug.
"Die vom letzten Mal war hübsch." Ein unangenehmes Grunzen ertönte, während er sich den Umschlag in die Tasche seiner Weste schob. "Fickst du die vorher eigentlich auch?"
Mein Kiefer knackte. Ich hatte nicht im Geringsten Lust darüber mit ihm zu reden. Es war klar, dass er nur mit seinem Schwanz dachte.
"Es geht dich nichts an", knurrte ich. "Aber nein, in der Hinsicht überliefere ich sie dir alle unberührt."
Ed schnalzte mit der Zunge. "Vielleicht solltest du aber mal wen knallen." Er glubschte in den Kofferraum. "Dann würde das vielleicht auch nicht passieren."
Meine Schläfen zuckten. Als ob Sex auch nur im Ansatz an den Rausch herankäme, den ich bei meinen Taten empfand. Vergangene Bettgeschichten waren stets flüchtig gewesen und ich hatte schnell das Interesse verloren.
"Du bist doch n hübscher und auch noch Arzt. Da findet sich doch bestimmt was."
Ed unterschätzte eindeutig den Altersdurchschnitt einer Arztpraxis. Wobei heute tatsächlich eine Patientin dabei war, bei der es in meinen Lenden gezogen hatte. Ihren Namen hatte ich schon wieder vergessen. Doch die jadegrünen Augen waren mir im Kopf geblieben. Ebenso wie sie auf der Liege meine Hand über ihren Bauch geführt und mich erwartungsvoll angeschaut hatte. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass sie mich provozieren wollte. Auf eine Weise, die mir vorne und hinten nicht passte.
"Aha, gibt's da doch eine?" Ed grinste. "Kannst du sie mir vielleicht auch vorstellen?"
Ich schüttelte den Kopf. "Es gibt keine und wenn würde ich sie dir niemals vorstellen."
Wieder folgte ein kehliges Lachen. So gut gelaunt, wie er bei diesem abartigen Job, war, fragte ich mich langsam, ob er sich nicht noch was anderes neben Grad und Alkohol reinzog und ich mir für die Entsorgung meiner Entgleisungen eine neue Option überlegen sollte. Auch wenn in mir aktuell eine innere Ruhe eingekehrt war, würde der Druck wiederkommen. Davon war ich überzeugt.

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