Kapitel 32

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Ensel


Endlich.
Endlich zahlte sich diese ermüdende, kräftezehrende Beschattung aus.
Endlich erhielt ich die Belohnung für meine harte Arbeit. Und es war weiß Gott kein einfacher Weg gewesen. Vor allem machte ich mir ein wenig Sorgen um meine neue beste Freundin Ayla. Seit dem Festival hatten wir immer wieder geschrieben und auch wenn mir ihr emotionaler Beziehungstalk regelmäßig auf den Sack ging, tat sie mir leid. Natürlich hatte sie noch immer nicht verraten, welchen Mist Arschgeige Milan verzapft hatte. Aber das war nicht weiter schlimm. Ich wusste es ja bereits. Und sie schien es auch zu wissen, befand sich aber aktuell zu sehr in seinen Fängen, um zu handeln. Doch auch das machte nichts.
Ich handelte.
Es fühlte sich mittlerweile wie eine Ewigkeit an, die ich den mordenden Doktor bereits beschattete. Und trotzdem hatte ich nicht das Gefühl ihm nahe gekommen zu sein. Bei früheren Beschattungen bekam man irgendwann ein Gefühl für die Person. Für ihren Alltag, Hobbies und Freunde. Allerdings schien dieser Ficker nur wenig davon zu besitzen. Die Arbeit in der Praxis, sein dunkles Hobby. Ach ja, und natürlich Ayla.
Entgegen meiner Empfehlung als ihr neuer bester Kumpel, hatte sie sich dazu entschieden, ihn wieder aufzusuchen. Das hatte sie mir getextet.
Und ich hatte es gesehen. Wie sie in sein Haus spaziert war. Verunsichert, ängstlich. Genauso hatte sie auch wenig später gewirkt, als die beiden in die Innenstadt gefahren waren. Mit gebührend Sicherheitsabstand war ich ihnen gefolgt. Ich wollte nicht, dass der Pisser misstrauisch wurde.
Und die Situation, die ich beobachten durfte, sprach Bände. Es war so glasklar. Ayla hatte einen Kaffee geholt und anscheinend einen alten Bekannten getroffen. Auch wenn ich als eingeschworener Schalke-Fan wenig mit dem Typen anfangen konnte, merkte ich direkt, dass die Situation kippte. Unwohl hatte sich Ayla umgesehen. Wahrscheinlich wollte sie dem Freund etwas mitteilen, verraten. Aber Psycho-Milan war dazwischen gegrätscht. Besitzergreifend hatte er den Arm um sie gelegt. Auch wenn ich nicht wusste, was genau er gesagt hatte, war der arme Bayern-Fan irgendwann eingeschüchtert davon gewackelt.
Dieser gaslightende Arsch. Er isolierte und kontrollierte sie.
Aber bald war es vorbei für ihn.
Denn heute war der Tag.
Endlich.
Es war eine nervenaufreibende Verfolgungsjagd. Mit seinem Wagen war er gegen Mittag aufgebrochen. In eine andere Stadt, ein anderes Bundesland. Als wir die Grenze passierten, wusste ich, dass heute mein Glückstag war.
Gott sei Dank spielte mir die fortschreitende Verkehrswende in die Karten. Dieser perfide kleine Sucker veranstaltete ein ziemliches Hin und Her. Zuerst stellte er seinen Wagen auf einem abgelegenen Parkplatz etwas außerhalb des Speckgürtels ab. Mit blauem Mundschutz stieg er an einer Haltestelle ein gutes Stück weiter in einen der Stadtbusse. Mit Mütze und eingewickelt in einen dicken Wollschal folgte ich ihm. Gut, dass es heute einen Temperatursturz zurück in den einstelligen Bereich gegeben hatte. Mehr aufgefallen wäre ich mit meinem Tarnoutfit sonst nur am FKK-Strand.
Nachdem er ausgestiegen war, folgte ein absolut zielloses Herumlaufen durch die Stadt. Am liebsten hätte ich ihm eine geklatscht, er solle jetzt mal voran machen. Kurz bevor mein Geduldsfaden riss und mein Puls auf zweihundert hochschoss, hielt er an einem Autohof. Einem dieser abgeranzten Läden, wo es ausschließlich Gebraucht-, aber keine Neuwagen gab.
Als er die Schlüssel für eines der Autos in Empfang nahm, wurde mir bewusst, dass ich ziemlich gearscht war. Mein Wagen stand ähnlich wie seiner weit entfernt und wenn er erst einmal losbrauste, würde ich ihn verlieren.
Danke Sharing-Dienste. Mit einem fix geliehenen Wagen folgte ich ihm. Neue Stadt, neues Bundesland. Zwischendurch fuhr er von der Autobahn ab, auf eine Landstraße und verschwand auf einem Schotterweg. Leider konnte ich ihm dort unmöglich folgen, ohne dass er mich bemerkt hätte. Allerdings überraschte es mich wenig, als er mit dem gleichen Auto, aber neuem Nummernschildern zurück auf die Straße bog. Wahrscheinlich gefälscht.
Als ich an der Ampel kurz neben ihm stand, erkannte ich, dass er auch seine Kleidung gewechselt hatte. Jaja, mich kannst du nicht verarschen. Und die Kamera auch nicht. Mit einem kleinen Apparat hatte ich alles nahtlos dokumentiert.
Und jetzt stand ich hier. Er hatte nach ewigem, ziellosen Umhergefahre die Stadt verlassen. Mittlerweile befanden wir uns in irgendeinem Dorf auf dem platten Land.
Meinen Wagen hatte ich schon längst abgestellt. Es wäre zu auffällig ihm hierher zu folgen. Stattdessen hatte ich mir eines der Schrotträder geklaut, das an einer Schenke vergessen wurde abzuschließen.
Es war eine Herausforderung. Er durfte mich nicht sehen, aber ich durfte ihn nicht verlieren. Sollte er sich doch für einen anderen Ort entscheiden, wäre es das. Glücklicherweise bot die angebrochene Dunkelheit ein wenig Sichtschutz.
Irgendwann wurde sein Wagen langsamer.
Fuck, hatte er mich entdeckt?
Wir waren auf einer abgeschiedenen Straße unterwegs, an deren Wegesrand ab und an Bushaltestellen auftauchten. Auch wenn zwischen uns bestimmt mehrere zig Meter lagen, wusste ich nicht, wie viel er im Rückspiegel sah. Das Rad war dunkel und auch ich war dunkel gekleidet.
Scheiße, es war zu heikel. Ich sprang vom Fahrrad ab und schmiss es in die Böschung.
Geduckt lief ich über die wilde Wiese, die neben der asphaltierten Straße, wucherte.
Argwöhnisch verengte ich die Augen zu Schlitzen und könnte schwören, dass sein Wagen noch etwas langsamer geworden war. Schneller als Schritttempo fuhr er auf keinen Fall ...
Geschockt hielt ich inne.
Er war stehen geblieben.
Shit, was hatte er vor? Nervös biss ich mir auf die Innenseite meiner Wange. In geduckter Haltung schlich ich voran, ohne auch nur einmal die Szenerie vor mir aus den Augen zu lassen.
Die Wagentür öffnete sich. Ich erkannte sofort die hochgewachsene Statur des Arztes, eingehüllt in einen dunklen Mantel. Zudem trug er nun einen schwarzen Mundnasenschutz.
So nah wie ich mittlerweile am Geschehen war – lediglich geschützt durch das hohe Gras – meinte ich schwarze Lederhandschuhe zu erkennen. Doch viel wichtiger. Er hatte ein dunkles Stofftuch in der Hand.
Meine Kamera hörte nicht auf zu fotografieren.
Und da erblickte ich ihn.
Sein Opfer.
Ein angeheiterter Mann, der in Schlenkern die Straße langlief.
Kurz durchzuckte mich der Impuls, dazwischen zu stürmen, einzuschreiten. Den Mann zu retten. Dafür war ich ausgebildet. Aber ich zwang ihn runter. Ich musste ihn auf frischer Tat ertappen. Er musste tun, was er jetzt tat. Sonst hatte ich nichts. Auch die Fotos hätten wenig Bedeutung vor Gericht, wenn es keine Tat gab. Versuchte Entführung. Wahrscheinlich reichte es noch nicht einmal dafür. Lediglich für das gefälschte Nummernschild dürfte es etwas setzen. Und die Strafe, die darauf ausstand, wurde Finns Tod nicht einmal ansatzweise gerecht.
Ich musste mich darauf besinnen, für wen ich das hier tat.
Fast unwirklich zogen die folgenden Minuten, oder waren es nur Sekunden, an mir vorbei. Fließend packte Milan den hageren Mann. Natürlich hatte er nichts entgegenzusetzen. Er war sichtlich betrunken. Da hatte sich der Ficker ein leichtes Opfer gesucht.
Feiger Sack.
Alles daran war so feige.
Die Kamera hielt fest, wie er das Tuch auf den Mund des Mannes legte. Beide sackten zu Boden.
Nein, der Mörderarzt drückte ihn runter. In Filmen ging es immer so fix mit dem Chloroform. In Wirklichkeit brauchte es an die zehn bis zwanzig Sekunden, bis die Wirkung anschlug.
So war es auch hier. Aber das war in diesem Fall egal. Es hätten auch zwanzig Minuten sein können.
Der Mann konnte sich nicht wehren und kein Auto oder Passant war unterwegs, ihm zu helfen.
Mit einem kraftvollen Hieb zog Mörder-Milan ihn sich über die Schulter.
Natürlich hatte er den Koffer mit Plastik ausgekleidet. Mir stieg die Kotze hoch.
Mehrfach spuckte ich auf die feuchte Erde, als der Wagen verschwand.
Ich verharrte im Gras. Ich brauchte ihm nicht mehr zu folgen. Die Beweise waren auf Kamera, wobei ich inständig hoffte, dass die Bilder durch das schlechte Licht nicht zu verpixelt waren. Ich würde sie später auf meinem Laptop sichten und entsprechend sichern. Natürlich nicht in einer Cloud, das wäre viel zu heikel. Auch meinem Kollegen würde ich sie nicht schicken. Wenn ich eines im Leben gelernt hatte, dann war es: Vertraue niemandem!
Und so würde ich es auch jetzt halten. Eigentlich hatte ich jetzt bereits genügend Material, die Polizei anzurufen. Aber erstens war ich selbst die fucking Polizei. Und zweitens wollte ich sie alle bekommen. Inklusive Ed, diesen menschlichen Mülleimer zur Leichenentsorgung. Neben meinem ohnehin schon vorhandenen Groll, hatte ich durch die Scheißarbeit auf dem Hof einen ganz neuen Hass auf ihn entwickelt. Ich würde sie alle vor Gericht zerren. Auch wenn dies leider hieß, dass der entführte Mann dafür vor die Hunde ging.
Aber Opfer mussten gebracht werden. Und die Gerechtigkeit für Finn war jedes Opfer wert.

Down our Darkest PathsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt