Milan
Endlich Ruhe. Entspannt lehnte ich mich auf dem Sofa zurück und schaltete den TV an. Eine Serie plätscherte leise im Hintergrund, während ich mich meinem wohlverdienten Feierabend hingab. Draußen dämmerte es bereits. Nachdem ich eingekauft und ein wenig Ordnung ins Haus gebracht hatte, wollte ich einfach nur noch abschalten.
Mein Handy vibrierte.
Müde schloss ich die Augen. Ich hatte keinen Nerv mehr für irgendwelche Gespräche heute. Eine Weile vibrierte es vor sich hin, bevor die störende Geräuschkulisse verstummte. Auch den TV schaltete ich kurzerhand auf lautlos. Ich genoss die Totenstille, die in der anbrechenden Dunkelheit meines Wohnzimmers herrschte.
Lediglich die Bilder, die in grellem Licht über den Bildschirm liefen, erhellten den Raum. Auch sie störten mich. Nicht das Licht, sondern das unruhige Flackern. Ich schaltete auf Pause.
Erneut vibrierte mein Handy. Ob es Ayla war? Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ihr meine Nummer zu geben. In Anbetracht der Etage unter mir, war es definitiv keine gute Idee gewesen.
Doch ich hatte mich hinreißen lassen. Zu süß hatten ihre Lippen heute geschmeckt, zu verlockend ihr Körper sich an meinen geschmiegt. Und wie feucht sie gewesen war. Ich bereute es, meinen Schwanz nicht in ihr versenkt und sie bis in den Wahnsinn gevögelt zu haben.
Wahnsinn. Das traf es gut. Es war absoluter Wahnsinn, mich auf all das einzulassen. Und dann auch noch in einer rappelvollen Praxis. Ich hasste mich, dass ich so unvorsichtig war und meine Finger nicht von ihr und zugleich in ihr lassen konnte. Wider aller Vernunft. "The Power of Boner" hätte Ed jetzt wohl gesagt.
Unruhig erhob ich mich und lief die Treppen hinauf in das Bad auf der ersten Etage. Ich wusste, wonach es mich verlangte. Zum einen war es das unbefriedigende Gefühl heute nicht zum Abschluss gekommen sein. Zum anderen war etwas anderes. Ein dunkles Verlangen nach Schmerz – jedoch nicht nach meinem.
Mit vorsichtigen Bewegungen löste ich eine der weißen Kacheln in der unteren Ecke neben dem Waschbecken. In dem Hohlraum ertastete ich die Erlösung.
Ein schwarzes ledernes Buch. Das wahrscheinlich wertvollste in diesem Haus. Ab gesehen von den Menschenleben, die ab und an in meinem Keller verweilten. Wenn auch nur kurz.
Mit dem Buch in der Hand lief ich wieder nach unten und ließ mich auf die Couch fallen.
Ich blätterte durch die Seiten. Ab und an hielt ich inne. Strich über das linierte Papier. Die Namen, die in schwarzer Tinte feinsäuberlich notiert waren. Erinnerungen stiegen empor. Doch es waren nicht die, nach denen ich suchte. Dafür waren sie fast zu verblasst. Zu abgenutzt.
Bei der letzten beschriebenen Seite hielt ich inne.
Finn Prickard, 22
Ich hatte sein Antlitz noch perfekt vor Augen. Immerhin war er mein Letzter gewesen.
Manche meines Schlags behielten Andenken von ihren Opfern. Ein Schmuckstück, Unterwäsche, eine Locke oder in extremeren Fällen eine Gliedmaße.
Mir reichte der Name, niedergeschrieben in diesem Buch. Er reichte, um jene machtvollen Bilder hervorzulocken. Bilder von einem Keller und einer Pritsche. Wie er dagelegen hatte.
Nachdem er sich in seinen Fesseln gewunden hatte, war er still geworden. Ab und an flehte er. Doch ab einem bestimmten Punkt waren seine Worte nicht mehr zu mir durchgedrungen. Zu berauschend war es, mein Skalpell in sein Fleisch zu senken. Blut sprudelte hervor. Ein ohrenbetäubendes Schreien war zu hören, dass ich genüsslich wahrnahm.
Schnitt für Schnitt wurde es lauter. Ich war zu der empfindlichen Stelle unterhalb seiner Brust übergangen.
Ein weiteres Einschneiden. Er wimmerte, woraufhin sich ein erregendes Hochgefühl in mir ausbreitete. Tränen rannen über seine Wangen. Sein Mund schien Worte zu formen. Trotz des aufgeregten Rauschens in meinen Ohren hörte ich die Laute, aber sie flossen zu einem akustischen Einheitsbrei zusammen.
Sein Körper verkrampfte sich, als ich erneut schnitt. Doch dieses Mal ließen seine Muskeln schneller nach. Ich musste vorsichtig sein. Zu tief und ich würde die lebenswichtigen Organe verletzen. Dann wäre das Leid vorbei.
Mein Blick, verschwommen von Ekstase, blickte auf das Gemetzel, das ich angerichtet hatte. Ein weiterer Schrei ertönte. Pures Glück schoss durch meine Blutbahnen. Es waren zig Endorphine, die mich volltrunken mein Werk fortführen ließen.
Langsam versiegte das Wimmern. Es wurde ruhig. Das letzte Wort, bevor er sein Bewusstsein verlor, vernahm ich noch.
"En-" Ein Röcheln. "Mama."
Es war überraschend, wie viele am Ende nach ihrer Mutter riefen.
Dann war er gegangen und es war Zeit gewesen, das Ganze zu beenden.
Doch jetzt, hier auf dem Sofa, gab es kein Ende. Ich spulte die Erinnerung zurück. Minutiös sezierte ich sie erneut. Ein erregtes Ziehen breitete sich in meinen Lenden aus. Die sexuelle Lust, die beim eigentlichen Akt kaum zum Tragen kam, flammte in mir auf. Verstärkt durch die Schreie, das Zittern, die Schmerzen ...
Mein Handy vibrierte.
Aus den süßen Erinnerungen herausgerissen, starrte ich zu dem leuchtenden Display, das sich langsam in Richtung Sofaritze verabschiedete.
Es half ja nichts.
"Degard", meldete ich mich gereizt, nachdem ich das Handy zu mir gefischt hatte.
"Jo hey, hier is Ed."
Unruhig richtete ich mich auf. Ed rief nie an. Ich hatte seine Nummer noch nicht einmal im Handy abgespeichert.
"Was gibt's?", fragte ich.
"Jo, muss mal mit dir reden. Alles gut bei dir?" Seine Stimme klang bemüht gelassen.
"Ernsthaft?", entgegnete ich. Er wollte doch nicht etwa Smalltalk führen.
"Sorry, aber es ist ein wenig schwierig. Bei dir alles okay?"
Erst jetzt schaltete ich. Er wollte mir indirekt etwas mitteilen.
Das Schlimmste befürchtend raunte ich: "Ja, bei mir ist alles gut."
"Okay, das ist gut."
"Was ist bei dir los?"
"Gerade alles okay. Die Tage war's n bisschen schwierig." Ein Rascheln war am anderen Ende der Leitung zu hören.
"Bist du allein?", fragte ich.
"Jo, bin in der Küche. Allein ..." Einen Moment blieb es still. "Glaube ich ..."
Ich erahnte, worauf er hinauswollte. In dem Raum, in dem er sich aufhielt, mochte er allein sein. Ob wir es in der Leitung waren, war ungewiss.
"Was war denn die letzten Tage los?"
Ed sog die Luft ein. "Hab mit nem alten Kumpel gequatscht und der hatte ein bisschen nervigen ... Besuch."
Mein Kiefer spannte sich an. Scheiße.
"Besuch?", zischte ich. "Familie?" Hoffentlich verstand Ed den Code, der fragte, ob es sich um Vertraute handelte.
"Nee, entfernter ... Bekannter." Ein Flaschendeckel ploppte auf. "Kenn den auch mehr oder weniger. Sehr alter Bekannter, du weißt. War wie immer ziemlich neugierig und hat den Kumpel von mir echt genervt mit seinem Gelaber."
Angestrengt lauschte ich seinen Worten. Alter Bekannter. Ed saß mal im Knast. Ob er die Polizei meinte, die bei seinem Kumpel aufgeschlagen war. Allerdings verstand ich noch nicht, wer sein Kumpel sein sollte. Und wieso es brenzlig für mich werden könnte?
"Kenn ich den Kumpel?", hakte ich nach.
"Jo, wir sind schonmal mit ihm mit 'm Auto nach Holland gefahren."
Fuck. Dieses Mal wusste ich haargenau, wen seine kryptischen Andeutungen meinten. Es war dieser vorlaute Kiffer-Typ, der mir den Wagen "vemietet" hatte, als ich mein letztes und vorletztes Opfer entführt hatte.
"Cool", murmelte ich. "Hat er nach mir gefragt?"
Schlucke waren zu hören. "Nee, er redet nicht gerne über Freunde."
Wenigstens etwas.
"Der Bekannte hatte da glaube ich auch kein Interesse dran", schob Ed hinterher.
Meine Hand entkrampfte sich ein wenig und ich sah die roten Abdrücke, die meine Nägel in der Handinnenfläche hinterlassen hatte. "Okay."
Ed hatte einige Eisen im Feuer liegen. Von seinem Kumpel ganz zu schweigen.
"Ach ja", ertönte Eds Stimme erneut. "Ich glaube, ich muss leider für unseren nächsten und übernächsten Kneipenabend absagen."
"Kein Problem, hab momentan arbeitstechnisch ohnehin viel zu tun. Holen wir nach."
"Jo, wollte dir, wie gesagt, nur mal Bescheid geben, was so geht bei mir. Hoffe du machst nen Entspannten bis dahin."
Eine Warnung.
"Klar", antwortete ich mit ruhiger Stimme.
"Okay, also bis denne."
"Bis dann." Ich legte auf.
Natürlich war ich mit Ed als Eingeweihtem ein Risiko eingegangen. Zumal ich nicht sein einziger Kunde war. Aber einen Haufen Leichen ohne Spuren zu entsorgen, war nicht ohne weiteres möglich. Allerdings schien sein Netzwerk löchrig zu sein. Für zukünftige Opfer sollte ich mir eventuell andere Wege zur Beseitigung überlegen. Zukünftige ... Ed hatte schon Recht. Falls ermittelt werden sollte, wäre es besser, erst einmal die Finger stillzuhalten. Auch wenn es mir bereits in den Spitzen kribbelte.
DU LIEST GERADE
Down our Darkest Paths
HorrorMan sagt, dünn sei die Mauer zwischen Liebe und Hass. Doch wieviel dünner ist sie zwischen Schmerz und Lust ... Als die junge Studentin Ayla in die Praxis von Doktor Degard reinstolpert, ist sie sofort gefesselt von dem attraktiven Arzt. Fast verges...