Kapitel 15

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Ensel

Was für ein abgeranzter Scheißhof. Müsste dieser alte Pisser nicht einen Haufen Kohle mit seinem kleinen "Hobby" machen? Warum steckte er nicht mal ein bisschen seines schmutzigen Geldes in die Sanierung dieser Drecksbude hier?
"Eh! Was glotzte so dumm?" Eine Männerstimme, die nach fünfhundert Jahren Kettenraucher klang, ertönte über den gesamten Hof.
Ein dicklicher Mann, der trotzdem irgendwie ausgezerrt aussah, schlurfte auf mich zu. Eine Hacke in der Hand.
"Was willste hier? Stress oder was?" Mit aggressiver Miene machte er Anstalten, sein Gartengerät als Waffe einzusetzen. Jetzt sah ich auch die rote Nase und die aufgedunsenen Gesichtszüge. Ein Alkoholiker. Sehr gut.
"Samma? Haste Scheiße in den Ohren oder im Hirn?", kreischte es erneut. Arschgesicht stand keine drei Meter von mir entfernt. Bevor er mir seine Spitzhacke in die Fresse rammte, entschloss ich mich zu antworten.
"Nee, bin hier wegen der Stelle als Aushilfe." Ja, manchmal spielte einem das Schicksal in die Karten. Nachdem Jacko, der zugekiffte Autodealer, mir die Adresse von "Ed" gegeben und ich dessen Hof ausfindig gemacht hatte, musste ein Plan zur Kontaktaufnahme her. Als wollte das Schicksal es, dass ich diesem Sack die Eier rasierte, fand ich eine Stellenausschreibung als Helferlein auf seinem Hof.
Besser konnte es nicht laufen. Die Aufgaben hatte ich mir gar nicht durchgelesen, sondern mich direkt auf den Weg zu meiner hoffentlich bald neuen Arbeitsstelle gemacht. Unterlagen hatte ich natürlich keine dabei. Zum einen war ich viel zu faul, einen Haufen halbwegs überzeugender Dokumente zu fälschen. Zum anderen war ich in Anbetracht der hundert Rechtschreib- und Grammatikfehler in der Anzeige davon überzeugt, dass Ed generell nicht der Typ war, der auf makellose Anschreiben und Lebensläufe bedacht war.
"Ah ja, und da biste so aufgeregt, dass de nicht direkt das Maul aufmachen kannst, oder was?" Ein brüchiges Lachen erklang aus Eds heiserem Rachen. Er musste sich unglaublich lustig finden. Hoffentlich erstickte er nicht. Oder vielleicht doch. Immerhin hatte er eindeutig etwas mit dem Verschwinden meines Bruders zu tun. Meine Kehle schnürte sich zu.
Der Autodealer meinte, Ed beseitige Leichen. Die Vermutung lag nahe, dass er auch meinen Bruder auf dem Gewissen hatte. Zumindest seine sterblichen Überreste könnte er verscharrt haben. Doch wer war dann der eigentliche Entführer oder vielleicht sogar Mörder?
Stopp. Ich musste mich mal wieder ausbremsen. Es war noch zu früh, voreilig Schlüsse zu ziehen. Bisher wusste ich nur, dass der potenzielle Wagen, der im Rahmen des Verschwindens meines Bruders gesichtet wurde, über Ed gemietet wurde. Vielleicht lebte mein Bruder noch und wurde gefangen gehalten. Die Hoffnung starb immerhin zuletzt. Mann Finn, wie bist du in diese ganze Scheiße hier überhaupt reingeraten?
"Kommt da noch was, Junge?" Ed knallte die Hacke auf den Boden und steckte sich eine Kippe in den Mund.
"Ja, was soll da noch kommen?", entgegnete ich patzig. Ich kannte Typen wie diesen Ed und wusste wie man diese kriminellen Ficker zu nehmen hatte. "Haste mir ne Frage gestellt, oder was?"
Ed grinste. "Ganz schön loses Mundwerk. Muss man hier aber auch haben." Er nahm einen tiefen Zug, der jeden anderen wahrscheinlich zu einem Hustenanfall samt Lungenembolie geführt hätte. "Aber nicht dem Chef widersprechen, ne."
"Wenn er mir keine dummen Fragen stellt."
Ed ignorierte meinen Kommentar. "Wie heißte denn?"
"Ensel."
Erneut folgte ein Lachen, das kurz vorm Ersticken war. "Hänsel?"
Alter, hatte er Scheiße in den Ohren?
"ENSEL", sprach ich überdeutlich aus.
"Ah ja, ist das so'n junger, fescher Name."
Fesch? Wie alt war er? Hundert? Vielleicht hatte der Alkohol ihn konserviert anstatt ihn um die Ecke zu bringen.
"Wie alt biste denn, Ensel?"
"Fünfundzwanzig."
"N ganz junger also." Ed musterte mich durch den Zigarettenrauch. "Und warum willste auf nem Hof arbeiten?"
Was für ne Frage. "Ich brauche Geld."
Ed zog eine Augenbraue hoch. "Brauchen wa das nicht alle."
Ich legte ein verliebtes Lächeln auf. "Und ich liebe die Tiere, Blumen und die wunderschöne klare Luft."
Ein gelbes Grinsen folgte. "Klare Luft? Hier riecht's nach Gülle und Pisse, Junge."
Ich zuckte mit den Schultern. "Das Geld nicht."
"Ich schätze mal, die Kohle willste bar?"
Ich nickte. "Is mir lieber."
"Okay, Bankkonten und Führungszeugnis brauche ich aber schon von dir."
Überrascht blinzelte ich ihn an, nur um ein weiteres schallendes Lachen zu ernten.
"War'n Scherz." Ed rieb sich das fettig glänzende Kinn. "Aber wenn ich dir schon n Vertrauensvorsprung geben soll, musste mir sagen, was de so verbockt hast?"
"Was meinst du?", fragte ich.
"Na, komm. Du wirkst wie'n solider junger Mann, kriegst gerade Sätze raus und willst hier für'n bisschen Bargeld Scheiße aus Ställen räumen. Was würde in dem Führungszeugnis stehen, das ich nicht bekommen soll?"
Ich sog scharf die Luft ein. "Körperverletzung", log ich.
Wohlwollend klopfte Ed mir auf die Schulter. "Sehr gut. Hätteste Betrug oder Diebstahl gesagt, hätteste dich direkt wieder verpissen können. Kein Bock, dass mich hier jemand bescheißt und um mein hart verdientes Geld bringt."
"Und warum saßt du?" Ich verschränkte die Arme. Jemand der keine Probleme mit Kriminellen hatte, war meist selbst kriminell ... oder Psychologe. Außerdem gab Ed mir genau den Vibe, eines Exknastis, der mich – sollte er von meiner wahren Arbeit erfahren – mit der Hacke zu Schweinefutter verarbeiten würde.
Ein Funkeln legte sich in seine Augen. "Totschlag."
Dieser Wichser. Er war da wahrscheinlich auch noch stolz drauf. Geilte sich darauf ab, mir in meiner gelogenen Straftat vermeintlich überlegen zu sein.
"Da muss ich wohl aufpassen", erwiderte ich emotionslos.
"Och, nur wenn de mir querschießt."
"Hab ich nicht vor."
"Sehr gut, dann komm mal mit rein und wir klären alles Nötige drinnen." Ed deutete zu dem runtergekommenen Herrenhaus.
Wer sagte es denn. Ich folgte ihm über den Hof und beobachtete aufmerksam meine Umgebung. Stallungen, zwei Lagerhallen. Bei einer standen die Türen offen, bei der anderen waren sie verschlossen. Doch dies war nicht das Detail, das mich misstrauisch stimmte.
Die Fenster der zweiten Lagerhalle waren komplett blickdicht.
Jemand hatte die Scheiben von innen mit Farbe bestrichen. Natürlich konnte es sein, dass dort Futter oder ähnliches in Dunkelheit lagern sollte. Doch in Anbetracht von Eds Nebentätigkeiten, schrie die Halle förmlich "verdächtig".
"Wie viele arbeiten hier?", fragte ich.
Ed zuckte mit den Schultern. "Paar Leute. Wechselt hier aber oft. Haben meistens Saisonarbeiter aus'm Osten oder so. Kein Plan, welche Sprachen die labern. Interessiert mich aber auch nicht." Er warf mir einen Seitenblick zu. "Dich sollte das auch nicht interessieren, wer hier verkehrt."
Ich nickte. Eine wenig verhaltende Drohung von Totschlag-Ed.
"Du bist aber deutsch, oder?", hakte Ed nach und kramte einen Schlüssel aus seiner Tasche.
"Jo, wieso?"
"Nur so, ham wir hier nicht so oft. Wo kommste her?"
"Ach so n kleines Dorf im Nirgendwo", antwortete ich vage.
Wieder dieser Seitenblick.
"Schleswig-Holstein am Arsch der Welt", ergänzte ich daher vorsichtshalber.
"Und weißte dann schon, wo du unterkommen willst?"
"Geht hier nichts aufm Hof?"
Ed lachte. "Nee, haste die Anzeige nicht gelesen? Lasse hier niemanden wohnen, außer die Hunde. Bisschen Privatsphäre muss ja auch sein, ne."
Privatsphäre, dass ich nicht lachte. Er wollte nur, dass niemand sah, wie er hier Leichen beseitigte.
"Ich find schon was. Sonst penn ich irgendwo in ner Pension für den Anfang."
"Wenn de dir das leisten kannst. Zahle kein Vermögen."
Mir entging nicht das Misstrauen, das in seiner Stimme lag. Und er hatte Recht. Ich passte hier nicht rein. Doch ich musste es, um voranzukommen.

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