Kapitel 11

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Ayla


"Was macht ihr denn hier?" Erschrocken sah ich meine Eltern an, die vor unserer WG-Tür standen.
"Überraschungsbesuch." Meine Mutter herzte mich kurz und drängte sich dann bereits in die Wohnung hinein.
"Ich habe gar nicht mit euch gerechnet?", murmelte ich überfordert, als mein Vater mich umarmte. Hätte ich gewusst, dass sie kommen, hätte ich eine mehrtägige Putz-Session eingelegt.
"Das hat ein Überraschungsbesuch so an sich", erklärte meine Mutter kopfschüttelnd. "Warst du gestern feiern, Liebes?"
Verwirrt verneinte ich: "Nein, wieso?"
"Du wirkst etwas zerstreut. Vielleicht bist du ja noch verkatert."
Ihre Aussage ignorierend lief ich in unser Wohnzimmer. "Wollt ihr euch hinsetzen?"
"Ja, und könntest du bitte etwas Kaffee aufsetzen." Ihre vermeintliche Bitte klang eher nach einem Befehl samt Peitschenhieb.
"Natürlich", knurrte ich, ohne dass es jemand hören konnte, und lief zur Küchenzeile.
"Ihr habt es ja wirklich ... urig hier", kommentierte mein Vater.
"Klappt euer Putzplan?"
Ich sah meine Mutter an, die naserümpfend den Couchtisch und Fensterbank inspizierte. Gut, dass Fee nicht da war. Sie hätte ihr ein Kissen ins Gesicht geklatscht.
"Ja, klappt prima." Ich schüttete Wasser in die Kaffeemaschine und schaltete sie an. Kurz überlegte ich etwas Abführmittel, das noch von Fees Darmspiegelung übriggeblieben war, mit rein zu kippen. Dann könnte ich mir den Nachmittag mit ihnen sparen und mich wieder unter der Bettdecke verkrümeln. Meine Gedanken waren aktuell ohnehin woanders.
"Vielleicht wollt ihr mal ein paar neue Kissen holen." Meine Mutter konnte es nicht lassen. Besser sagte ich ihr nicht, dass die Couch, auf der sie saßen, von den Vorgängern stammte und der Tisch vom Sperrmüll.
"Ach, ich mag sie sehr gerne", erwiderte ich und zog einen der Stühle vom Küchentisch zum Sofa. "Also, was führt euch her?"
"Wir wollten unsere Tochter sehen." Mein Vater lehnte sich unwohl gegen das Sofapolster.
"Einfach mal schauen, was du so machst", ergänzte meine Mutter lächelnd. "Wie läuft das Studium?"
Ich räusperte mich. "Gut, gut."
"Wirst du das kommende Semester fertig?", hakte mein Vater nach.
Mein Magen zog sich zusammen. "Mal schauen. Ich plane es schon. Allerdings habe ich noch Klausuren, mindestens eine Hausarbeit und die Bachelorarbeit muss ich auch noch schreiben."
Meine Mutter warf mir einen mitleidigen Blick zu. "Das ist noch einiges ..."
"Ja, aber ich habe ja noch meinen Nebenjob an der Uni und etwas vorgesorgt, falls es doch ein Semester länger wird." Ich sendete ein stilles Stoßgebet nach oben, dass das Thema damit erledigt war.
"Wenn man so viel feiert, ist das wohl schwierig." Mein Vater fing sich ein bestätigendes Nicken von meiner Mutter ein.
"So viel feiere ich nicht", insistierte ich und lief zur Küchenzeile, wo mittlerweile der Kaffee durchgelaufen war.
"Letztens warst du doch auch wieder aus."
"Das war kein Feiern, sondern ein Date ..." Ertappt kniff ich die Augenlider zusammen. Mist, warum war mir das jetzt rausgerutscht?
"Oh, ein Date." Neugierde legte sich in die Stimme meiner Mutter. "Stimmt, du hattest geschrieben, dass du dich mit jemanden triffst. Und wer ist der nette, junge Mann?"
Ja, nett traf es so semi. Ich hatte Milan seit dem katastrophalen Ende unserer Verabredung weder gehört noch gesehen. Es war aber auch kein Wunder. Wir hatten keine Handynummern getauscht und ihn auf Insta und Co anzuschreiben – wenn er denn überhaupt einen Account hatte – hielt ich für ein wenig zu übergriffig. Zumindest aktuell noch.
"Er ist ... er hat Medizin studiert." Ich beschloss vage zu bleiben, während ich den Kaffee auf drei Tassen aufteilte. Der Altersunterschied würde nur Benzin ins Feuer gießen. Außerdem mochte ich nicht über ihn reden. Immerhin war er, und ausnahmsweise keine potenzielle Krankheit, der Grund, weshalb ich die halbe Nacht wachgelegen hatte und direkt wieder ins Bett wollte.
Ab wann war es legitim Liebeskummer zu haben? Nach einem Date? Oder war ich wieder zu voreilig? Dabei hatte ich schon nach unserem ersten Treffen in der Praxis abends meinen Vibrator rausgeholt und war bei dem Gedanken, an seine Hände auf meinem Körper, gekommen. Dreimal. Beim letzten Mal war es mehr als nur seine Berührung. Viel mehr. Viel dunkler. Oje, peinlich berührt schob ich den Gedanken beiseite.
"Ach, das ist ja spitze. Ein zukünftiger Arzt also." Mein Vater klang begeistert. Natürlich war er das.
"Und wann lernen wir den netten Mann mal kennen?", hakte meine Mutter nach.
Es versetzte mir einen Stich. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich ihn überhaupt wiedersehen würde. Geschweige denn wann.
"Vielleicht bald mal", sprach ich zögerlich, während ich meinen Eltern die Tassen auf den Couchtisch stellte – wohlbemerkt unsere einzigen beiden ohne Porzellansprung.
"Habt ihr keine Untersetzer?" Eine weitere Spitze meiner Mutter.
Ich schüttelte den Kopf und griff meine Tasse.
"Ich glaube, bei dem Tisch machen ein paar Schlieren mehr den Braten auch nicht fett", scherzte mein Vater und klopfte auf das Holz.
Ein leidiges Lächeln legte sich auf das Gesicht meiner Mutter. "Wahrscheinlich." Nachdem sie bemüht unauffällig die Sauberkeit der Tasse geprüft hatte, nahm sie einen Schluck. "Das klang eben nicht besonders überzeugt. Lief eure Verabredung doch nicht so blendend?"
"Hm?" Ich tat so, als hätte ich nicht zugehört. Am liebsten würde ich beide gerade komplett ausblenden.
"Der Medizinstudent und du."
"Ach", nuschelte ich. "Es ist etwas schwierig. So ist das ja immer am Anfang."
Mein einem kleinen Rums stellte meine Mutter ihre Tasse ab. "Also bei deinem Vater und mir war es nicht schwierig. Wir haben uns kennengelernt, hatten ein paar Verabredungen und sind zusammengekommen. Ich glaube, bei euch jungen Leuten geht es einfach etwas zu sehr drunter und drüber. Wie bei deinem Cousin."
Mein Vater nickte. "Der stellt uns auch bei jeder Familienfeier eine neue vor."
"Ja, grässlich. Die letzte war auch so eine ganz unangenehme Person. Hat nicht richtig gegrüßt und war von oben bis unten tätowiert. So eine Verschandelung der Haut."
Den Kaffee abstellend, überlegte ich meinen Kopf auf die Tischplatte zu knallen. Das würde mich zwar ins Krankenhaus, aber wenigstens hieraus befördern. Zudem könnte dann jemand meine rechte Brust untersuchen. Diese hatte gestern unangenehm geziept. Fee meinte, es könnte daran liegen, dass ich kurz vorm Eisprung war. Allerdings war ein wenig Kontrolle und medizinische Expertise besser.
"Wie diese eine Schauspielerin gestern in der Talkshow", fuhr meine Mutter pikiert fort. "Die hatte auch drei Kinder von drei Vätern."
"Ja, und als Unterhalt stellte sie auch so promiskuitive Bilder auf einer dieser grenzwertigen Plattformen online", ergänzte mein Vater eifrig. Wie lustig diese abwertenden Worte aus seinem Mund zu hören, dachte ich bitter.
"Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Einfach nur billig." Meine Mutter wandte sich an mich. "Vielleicht ist es ganz gut, dass du dich nicht mehr mit diesem Medizinstudenten triffst – auch wenn er zukünftiger Arzt ist. Wenn er sich nicht festlegen will, will er wahrscheinlich nur das eine. Da solltest du dich nicht drauf einlassen."
"So ist er nicht ..." Ich ärgerte mich prompt, dass ich auf ihr Geschwätz überhaupt noch einging.
"So sind sie alle", wurde ich prompt von meiner Mutter korrigiert. "Wobei, du hast ihm hoffentlich nicht den Eindruck vermittelt, leichtes Spiel zu haben, oder Liebes?"
Jetzt ging es aber los.
"Können wir vielleicht das Thema wechseln?", gab ich gequält zurück. "Ich mag darüber nicht mehr reden."
"Nun gut, solange du dich noch im Spiegel angucken kannst", quittierte meine Mutter meine schroffe Abfuhr. Auch wenn ihre Neugier an meinem Liebesleben noch lange nicht besänftigt war, konnte ich das Thema wieder auf Talks Shows und Prominente lenken. Sofort war sie in ihrem Element – befeuert durch meinen Vater. Drei Stunden musste ich mir den Gossip über Stars und Sternchen anhören, die, gemessen an den Moralvorstellungen meiner Eltern, so verkommen waren, dass sie alle geradeswegs in die Hölle gehörten. Sehr schön, so war ich da unten wenigstens nicht allein.
Kaum hatte ich die beiden rausgelotst, war ich direkt in meinem Bett verschwunden. Eine Stunde hatte ich einfach dagelegen und an die Decke gestarrt. Erst dann lösten sich meine Gedanken von dem Besuch und es trat die so sehr benötigte Distanz ein, die mich ein Stückchen aufatmen ließ.
Ich war so unendlich froh, von zuhause ausgezogen zu sein. Doch eine Sache beschäftigte mich noch immer.
Da solltest du dich nicht drauf einlassen.
Wie gerne würde ich von mir selbst behaupten können, dass mich die Worte meiner Eltern nicht mehr berührten, dass ich frei war von den Fäden ihrer Erziehung. Doch sie zogen noch immer an mir. Nicht mehr so stark wie früher, aber trotz Therapie konnte ich mich nicht vollständig lösen.
Hatte meine Mutter Recht? Sollte ich Milan besser nicht mehr sehen?
Nein. Der Gedanke gefiel mir nicht. Wobei ich es vielleicht ohnehin schon komplett vergeigt hatte zwischen uns. Allerdings gab ich so schnell nicht auf.
Vielleicht war es der Trotz, genau das Gegenteil von dem zu tun, wozu mir meine Eltern rieten. Vielleicht war es aber auch die Sehnsucht, die mich die gestrige Nacht wachgehalten hatte. Ich konnte und würde das Ganze nicht einfach loslassen. Das dunkle Bedrohliche, das Milan versprüht hatte, als ich das Handschuhfach geöffnet hatte, hatte mich erschrocken, ja. Aber nicht verängstigt. Im Gegenteil. Es lockte mich. Er lockte mich. Und ich konnte nicht anders, als dem unbekannten, düsteren Pfad zu folgen.
Wohin auch immer er mich führen würde.

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