Kapitel 5

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Milan

"Die Patientin wartet schon in Zimmer zwei", rief Arzthelferin Famke hinter mir, während ich durch den Flur der Praxis zur nächsten Behandlung eilte. Es war gerappelt voll. Zwei Notfälle am frühen Morgen hatten unseren Terminplan ordentlich durcheinandergewirbelt. Wobei nur einer einen wirklichen Notfall darstellte. Die andere Person hatte zwei Ibus zu viel genommen und fürchtete nun, aufgrund einer Überdosis von uns zu scheiden. Fast eine Viertelstunde hatte es gedauert, sie davon zu überzeugen, dass das Auspumpen des Bauches definitiv nicht notwendig war. Schnaubend stieß ich die Tür zum Behandlungszimmer auf.
Augenblicklich spannte sich mein Kiefer an.
Ein Wasserfall aus dunkelbraunem Haar wirbelte herum. Zwei opale Augen leuchteten mich an.
Nicht sie schon wieder.
Ihr letzter Besuch lag gerade einmal eine knappe Woche zurück.
"Hallöchen Frau Sapor", flötete Famke über meine Schulter hinweg, als ich stillschweigend in der Tür verharrte.
"Hallo, Herr Doktor Degard", ertönte die glockenhelle Stimme mit einem Strahlen. Sie strahlte tatsächlich. Zumindest im Vergleich zum letzten Mal.
War sie etwa geschminkt?
"Guten Tag Frau Sapor", erwiderte ich und desinfizierte mir die Hände, bevor ich zum Schreibtisch lief. Als ich sie passierte, wehte mir ein unwiderstehlicher Duft entgegen. Es war nicht nur Jasmin, sondern etwas schweres Verführerisches hatte sich daruntergemischt. Sie trug Parfum.
"Wie geht es Ihnen?", fragte ich bemüht konzentriert und nahm gegenüber von ihr Platz. "Was führt Sie heute zu uns."
Ein Lächeln folgte und ihr schmaler Finger spielte mit einer Strähne ihres langen Haares. Die Fäuste unter der Tischplatte ballend erahnte ich, dass dieses Gespräch herausfordernd sein könnte. Für mich. Auch dieses Mal trug sie eine Bluse, allerdings war diese aus einem hellen seidenen Stoff gewebt. Und leicht transparent. Ich konnte nicht anders. Mein Blick glitt für einen Moment hinab. Ein BH aus Spitze schimmerte durch den dünnen Blusenstoff.
Scheiße.
"Es sind leider immer noch diese Kopfschmerzen", säuselte ihre weiche Stimme. Eine Spur gehauchter, als es notwendig war. "Ich habe auch alles probiert, was sie gesagt haben. Den Bildschirm und Stuhl korrekt eingestellt. Aber mein Kopf und Nacken schmerzen immer noch höllisch." Sie massierte sich ihren zierlichen Hals und rief für einen Augenblick das Bedürfnis in mir hervor, meine Hand um diesen zu legen und zuzudrücken. Nicht fest, aber so dass sich ihre geröteten Lippen öffneten, um nach Luft zu ringen. Ich streifte den Gedanken ab.
Nummer eins: Sie war meine Patientin und auch wenn ich ethisch gesehen Bodensatz war, hatte ich nicht vor hier eine Grenze zu überschreiten.
Nummer zwei: Jede Person, die mir zu nahekam, war eine Gefahr für die Geheimnisse, die in meinem Keller lauerten. Ich würde also gut daran tun, keine Menschen unbedacht in mein Leben zu lassen.
"Ich fürchte, allein reichen diese Veränderung nicht aus", sagte ich. "Wenn ihr Nacken und vor allem Rücken verspannt sind, sollten Sie die Muskulatur beispielsweise durch Sport stärken."
Ihre Lippen pressten sich kurz aufeinander. "Vielleicht hilft auch eine Massage?" Ich hatte das Gefühl, dass ihr die Frage, sobald sie ihren süßen Mund verlassen hatte, unangenehm war. Doch es war nicht das Gesagte, was mich reizte. Sie hatte sich ein Stück nach vorne gelehnt und der Ansatz ihrer Brüste blitzte aus dem tiefen Ausschnitt hervor.
Fuck. Mein Schwanz rührte sich augenblicklich in meiner Hose.
Gut, dass der Schreibtisch wie ein Sichtschutz zwischen mir und der Patientin sowie Famke, die auf dem Plastikstuhl in der Ecke des Zimmers saß, stand. Ich ärgerte mich über die heftige Reaktion meines Körpers auf sie. Doch noch viel mehr ärgerte mich ihr Verhalten. Was sollte der Scheiß?
"Eine Thaimassage bei einem Profi kann auch eine unterstützende Option darstellen", knurrte ich.
Den Kopf schräg legend betrachtete sie mich, als sei ich ein fucking unlösbares Kreuzworträtsel.
"Können das eigentlich auch Nebenwirkungen der Pille sein?" Ihre Wimpern klimperten. "Ich habe manchmal auch so Hitzeattacken und meine Libido spielt auch ..."
"Famke." Ich wandte mich an meine Arzthelferin, die von ihrem Klemmbrett aufschreckte. Gut, dass sie anscheinend während der gesamten Konversation geistig abwesend war. "Haben wir noch diese Wärmeumschläge für den Nacken und Rücken da?"
"Ähm", stammelte Famke sichtlich aus dem Konzept gebracht. "Ich glaube schon. Das müsste ich mal nachgucken."
Ich lächelte kalt. "Es wäre prima, wenn du eben nachschauen und welche rüberbringen könntest."
"Jetzt?", fragte sie ebenso verwirrt, wie Frau Sapor zwischen uns beiden hin und herschaute.
Ich ignorierte sie wohlwollend.
"Ja, bitte, Famke", sprach ich. "Ich denke, eine Wärmebehandlung könnte helfen." Glaubte ich nicht. Ich glaubte auch nicht, dass Nackenprobleme hier das Problem waren.
"Okay." Famke trottete mit ihrem Klemmbrett zur Tür. Konnte sie nicht schneller machen?
Kaum hatte sich die Tür hinter meiner Arzthelferin geschlossen, wandte ich mich meiner Patientin zu. Mit eiskaltem Blick fixierte ich sie.
Augenblicklich rutschte sie auf ihrem Stuhl ein Stück zurück. Ob sie sich auch in anderen Belangen so wortlos navigieren ließ?
"Was soll das hier?" Eigentlich hatte ich "Scheiß" sagen wollen, aber Fluchen war ein No-Go bei Patientengesprächen. Wobei wir uns ohnehin weit von diesem entfernt hatten.
"Hm?", kam es zurück. Hielt sie mich für bescheuert?
"Ayla." Ich ließ mir ihren Namen auf der Zunge zergehen. War jedoch zu wütend, um es zu genießen. "Es ist jetzt schon das dritte Mal, dass Sie hier aufkreuzen."
"Zweimal", fiepste es dazwischen.
"Dreimal." Ich deute auf den Monitor. "Sie sind letztes Mal bei einem Kollegen gelandet."
Sichtlich unwohl wandte sie sich auf dem Stuhl. "Ich habe wirklich Schmerzen und ..."
"Krebs", zischte ich und ärgerte mich im nächsten Moment. Ich sollte gelassen und erwachsen reagieren. Was kümmerte mich der Aufriss einer random jungen Studentin? Und wenn sie jeden Tag hier sitzen würde. Ich war ihr Arzt und außer ihrer Behandlung, gab es nichts, was mich interessieren sollte. Punkt.
Doch etwas provozierte mich an ihr, wie sie mich immer noch stumm mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Auf der einen Seite wollte ich sie hochkant rausschmeißen. Auf der anderen Seite wollte ich ihr die scheiß Bluse runterreißen und sie auf meinem Tisch durchvögeln. Ob sie sich unter mir auch so winden würde, wie gerade auf ihrem Stuhl. Vielleicht sollte ich sie auch, um meinem Dilemma zu entkommen, in meinen Keller verfrachten.
Ich atmete tief ein. Saublöde Idee. Wahrscheinlich hätte ich keine zwei Tage später die Polizei auf der Matte stehen. Außerdem wisperte ein winziger Part mir zu, dass er dieses liebevolle, wunderhübsche Geschöpf ungern aufgeschlitzt und ausgeweidet auf meiner Pritsche sehen würde. Unwirsch wischte ich die zaghafte, innere Stimme weg. Bullshit. Es sollte mir scheißegal sein.
Es war mir scheißegal.
Sie war mir scheißegal.
"Entschuldigen Sie bitte, Frau Sapor. Der Kommentar zum Krebs war überflüssig", sagte ich abgespannt. Warum hatte ich Famke nur rausgeschickt? Und dann auch noch, um Utensilien zu holen. Der Lagerraum befand sich hinter dem Empfang. So wie ich sie kannte, würde sie noch einen netten Plausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg führen.
"Sie haben schon Recht", wisperte Ayla.
Überrascht blinzelte ich meine Patientin an. Sie hatte den Rücken gestrafft und blickte mich aufrichtig an.
Gerade wollte ich insistieren, dass ich mitnichten glaubte, dass sie Krebs hatte.
Doch sie kam mir zuvor. "Eigentlich bin ich hierhin gekommen, um ..." Sie stockte. Natürlich fehlte ihr das Rückgrat, um ...
" ... Sie zu verführen." Einen Moment blieben ihre Lippen leicht geöffnet, ohne etwas zu sagen, und ich konnte nicht anders, als mir vorzustellen, wie diese sich um meinen Schwanz legten. Doch hier war nicht der richtige Ort.
Nirgendwo war der richtige Ort.
"Ich bin Ihr Arzt", erwiderte ich streng. "Sie begeben sich da auf sehr problematisches Terrain." Sollte der Verdacht auf sexuellen Machtmissbrauch auftauchen, wäre dies strafbar, führte ich in Gedanken fort.
"Sie müssten nicht mein Arzt sein."
Ich konnte ein amüsiertes Lächeln nicht verstecken. "Bin ich aber aktuell."
"Ich hatte auch nicht vor hier und heute ..." Sie ließ den Blick durch das Behandlungszimmer gleiten. Sie log und ich spürte schon wieder, wie mein Ständer sich regte, bei der Vorstellung, sie genau jetzt über meinen Schreibtisch zu ziehen, und sie würde nicht einen Hauch des Widerstands von sich geben.
Allerdings würde Famke einen Herzinfarkt bekommen, sollte sie uns vögelnd auf dem Tisch erwischen. Und dann wäre da wieder das Problem mit der Polizei.
"Man könnte sich auch woanders treffen", wisperte sie schüchtern.
Ich wollte direkt abblocken, als mir der kleine Funke Willenskraft in ihren Augen entgegenspiegelte. Sie schien sich das Ganze bereits fest in ihren hübschen Kopf gesetzt zu haben. Fast schon besessen von etwas zu sein, auch wenn es nur ein winziger Part war, kam mir bekannt vor. Es war ein Teil, der sofort mit mir in Resonanz ging. Ihre schimmernd grünen Augen verkeilten sich mit meinen. Aber es war noch mehr. Nicht nur die Überzeugung, ihren Willen durchzusetzen, sondern dieses ungeachtet der negativen Konsequenzen zu tun.
Mein Kiefer knackte. Es kam mir so unheimlich vertraut vor. Zu tun, scheißegal, was es kostete. Entgegen von Sitten, Moral und Gesetzen. In meinem Fall vor allem von Gesetzen. Alles für ein paar flüchtige Momente, die jedoch so intensiv und erfüllend waren, dass man auf das "Später" gut und gerne pfiff.
Allerdings hatte mich genau diese Einstellung in die Scheißhaufen reingeführt, die hinter mir lagen und mittlerweile alles andere überschatteten. Zurecht natürlich und in Anbetracht der Leben, die ich genommen hatte, nie genug.
"Bitte ..." Es war ein geflüstertes Flehen, das mir durch Mark und Bein ging. Jedes andere Wort hätte mich wahrscheinlich kaltgelassen. So oft hatte ich es schon gehört. Als Flehen, Jammern, Befehl. Doch nie klang es so süßlich wie aus ihrem Mund.
Sämtliche Bedenken, die mein Verstand mir entgegenschrie, beiseiteschiebend, griff ich nach einem Post-it und Kugelschreiber. Wie auf Autopiloten schrieb meine Hand auf das neongelbe Papier.
In dem Moment wurde die Klinke runtergedrückt.
Seelenruhig schob ich den Zettel rüber, als Famke mit einer Packung Wärmepflaster durch die Tür marschierte.
Rasch langte mein Gegenüber nach dem Stück Papier. Einen Moment berührten sich unsere Finger und Röte stieg ihr in die Wagen. Prompt bereute ich meine Entscheidung. Emotionale Verstrickungen waren gefährlich. Vor allem wenn sie, wie in diesem Fall, einseitig waren.
"Glück gehabt, da war noch ne ganze Charge", quittierte Famke fröhlich ihre Ausbeute. "Jetzt wird's hier aber heiß." Es folgte ein glucksendes Kichern.
Mein Blick haftete immer noch unschlüssig an Frau Sapor. Ayla. Ich konnte sie ruhig beim Vornamen nennen, wenn ich schon plante, mich entgegen allen Argumenten auf sie einzulassen. Das war so ein scheiß Plan.
Doch es war zu spät, ihr den Zettel zu entreißen. Sie hatte ihn in ihrer Hand gefaltet und wollte ihn in der Tasche verstauen. Da hielt sie inne und funkelte mich an – die Arzthelferin noch in ihrem Rücken. Ein sündhaft verspielter Glanz schimmerte in ihren Augen auf, als sie den Zettel langsam in dem Spitzen-BH, der kurz aus ihrem Ausschnitt hervorblitzte, verschwinden ließ.
Mein Kiefer knackte.
Was für ein scheiß Plan.

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