Kapitel 34

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Milan


Rot.
Alles war rot. Getränkt von Blut, das aus den unzähligen Schnitten hervorquoll. Hautfetzen hingen hinab wie fleischfarbene, benutzte Lappen.
Erneut senkte ich mein Skalpell in den malträtierten Körper. Zuerst riss die oberste Hautschicht, bis die Klinge tiefer drang. Weißfaserig quoll das Fettgewebe hervor, das sich unter dem Druck der Metallspitze teilte. Erneut sprudelte tiefrotes Blut hervor.
Ein verzerrter, unmenschlicher Laut war zu hören.
Ein letztes entstelltes Grölen.
Dann wurde es still.
Die Augen, die eben noch so weit aufgerissen waren, dass man das Gefühl hatte haben können, sie würden beinahe aus ihren Höhlen springen, schlossen sich. Ein paar Mal flatterten die Lider, hob und senkte sich der Brustkorb des verstümmelten Torsos.
Ich stützte mich mit den Händen an der nassen Kante der Pritsche auf. Langsam lichtete sich der Nebel, der Wahn, der mich zuvor umhüllt hatte.
Immer noch benommen betrachtete ich das Massaker. Es war grausamer als sonst. Stellenweise blitzten die Knochen hervor, so tief hatte ich geschnitten.
Wie fremdgesteuert stieß ich mich von der Pritsche ab und schritt zum Kopf des Mannes. Das Gesicht ließ ich stets unberührt.
Meine blutverschmierten Finger griffen nach seinem Hals, der ebenfalls getränkt in Rot war. Wie alles in diesem Raum. Sachte spürte ich den Puls unter meinen Fingerkuppen.
Er war bewusstlos und in Anbetracht der Verletzungen sowie Menge des Blutes, das er verloren hatte, würde er nicht noch einmal aufwachen.
Mit einem gezielten, tiefen Schnitt durch seine Kehle beendete ich die Qualen, die ich ihm zugefügt hatte. Und sein Leben.
Ein schmatzendes Geräusch erklang, als ich barfuß über den feuchten Boden lief. Das Skalpell knallte ich unachtsam in die Ecke.
Immer noch betäubt löste ich den Blick von dem verunstalteten Körper. Der Leiche.
Erst da fiel mir auf, dass der Raum leer war.
Leer wie immer.
Allerdings sickerte allmählich die Erkenntnis durch meine Gehirnwindungen, dass dies nicht korrekt war. Der Raum sollte nicht leer sein. Auf dem Boden sollte eine junge Frau hocken oder stehen oder sitzen ...
Ayla.
Sie hatte den Raum verlassen und ich hatte es noch nicht einmal mitbekommen. Zu sehr war ich in meiner eigenen zerstörerischen Blase gefangen, als dass ich meine Umgebung auch nur ansatzweise hatte wahrnehmen können.
Scheiße meldete sich ein kleiner, vernünftiger Teil in meinem Kopf, der in diesem Raum sonst geknebelt und verdrängt in eine Ecke meines Gehirns lag.
Aber was hatte ich erwartet?
Natürlich war sie weggelaufen, wahrscheinlich bereits nach dem ersten oder zweiten Schnitt, den ich getätigt hatte.
Und höchstwahrscheinlich hatte sie mittlerweile die Polizei informiert.
Ich streifte das blutbefleckte Hemd ab, knüllte es zusammen und warf es ebenfalls zu Boden. Ein paar der blutigen Flecken hatten den hellen Stoff durchdrungen, bedeckten auch meinen nackten Oberkörper.
Normalerweise würde ich mir jetzt auch die Hose abstreifen, alles Verdreckte in diesem Raum zurücklassen und eine Dusche nehmen.
Allerdings Milan, murrte die rationale Stimme erneut wie von fern in meinem Kopf, kann es gut sein, dass da oben bereits die Polizei auf dich wartet.
Vielleicht sollte ich zumindest meine untere Bekleidung anlassen.
Wie betäubt lief ich zur Tür und riss sie auf.
Einen Moment hielt ich inne, ließ die Erinnerungen der letzten Stunden mit voller Wucht auf mich niederprasseln. Vielleicht war es das letzte Mal, dass ich diesen Raum verlassen würde.
Ich spürte, wie meine Lippen nach oben wanderten.
Das war okay.
Ich hatte es voll ausgekostet und war bereit für das, was mich oben auch immer erwarten würde.
Wie eine Trance umhüllte mich die Nachwirkung des Highs, der Qualen, die ich die letzten Stunden verübt hatte, als ich die kühlen Kellerstufen emporstieg.
Doch ich spürte die Kälte nicht. Alles war wie von Nebelschwaden bedeckt.
Oben angekommen nahm ich einen tiefen Atemzug. Ein Teil von mir wollte sich vorbereiten auf die Verhaftung, die Fragen, auf alles. Ein anderer Teil wollte in dem entrückten Zustand und dem, was ich getan hatte, schwelgen.
Doch die Realität wartete bereits auf mich. Vielleicht hatte ich auch Glück und sobald sie mich blutverschmiert sahen, würden sie direkt losschießen.
Ja, ich war bereit zu sterben. Hatte alles ausgekostet. Hatte alles mitgenommen.
So volltrunken ich noch war, würde ich es wahrscheinlich gar nicht merken.
Mit einem Ruck stieß ich die Tür auf.
Leere.
Keine Menschenseele war zusehen.
War Ayla vielleicht noch bei der Polizei, um ihre Aussage zu machen?
Da schlich sich ein kleines, aber feines Detail in meine Wahrnehmung. Während die Tür zum Wohnbereich sperrangelweit offen stand, wie es immer der Fall war, lehnte die Küchentür leicht an. Ayla konnte es nie leiden, wenn Türen offenstanden. Ein Spartick, den sie von ihren Eltern übernommen hatte. Insbesondere im Winter mussten alle Türen zumindest angelehnt sein, damit die Wärme nicht entkam. Eine Angewohnheit, die sie auch bei wärmeren Temperaturen durchzog, auch wenn es bescheuert war.
Mit dem Zeigefinger stieß ich gegen die weiße Tür. Geradezu sanft schwang diese auf.
Und da stand sie.
Ayla.
In ihrem absolut unpassenden Sommerkleidchen rieb sie sich die Arme, als hätten wir tiefsten Winter.
Prompt erschrak sie, als sie mich erblickte.
Ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich war übersät von Blut und – auch wenn ich nicht wusste, was sie alles noch gesehen hatte – musste für sie das fleischgewordene Monster aus ihren Alpträumen sein.
Doch es sollte mich nicht scheren, viel drängender war die Frage, was sie hier noch tat. Auf die Polizei warten?
Sie sagte keinen Mucks, während ihr Blick weiter verunsichert an mir haftete.
Auch ich ließ sie nicht aus den Augen. Warum hatte ich mein Skalpell nicht mit aus dem Keller genommen? Wobei meine Hände auch ausreichen sollten.
Meine Fäuste ballten sich bereits, als Ayla leise schniefte.
Sofort spannten sich meine Muskeln an und die feinen Härchen auf meiner Haut stellten sich auf. Ich stand noch zu sehr unter Strom. Das Adrenalin begann wieder zu pumpen. Alles in mir begann zu schreien, auf sie loszugehen.
"Ist er tot?"
Ihre sanfte Stimme, die mich sonst milde stimmte, bewirkte in diesem Fall das Gegenteil.
Ich trat einen Schritt auf sie zu, bemüht darum, die Fassung zu bewahren. Eine Antwort brauchte es ohnehin nicht.
"Warum bist du noch hier?" Es war lediglich ein Knurren, das meiner Kehle entwich. Würde ich lauter werden, geschweige denn auch nur ein Stück der in mir wütenden Kraft anzapfen und sei es nur für ein schnelleres Zusammenschlagen meiner Stimmbänder, würde es die geradeso aufrechterhaltene Balance in meinem Inneren aus dem Gleichgewicht bringen.
Aylas lange Wimpern flatterten. "Warum sollte ich gehen?"
Wollte sie mich verarschen? War das ein Spiel für sie?
"Hast du die Polizei gerufen?" Eine weitere Frage, die meine Nerven kitzelte.
Ayla schüttelte den Kopf.
Diese ... diese Idiotin.
Plötzlich wurde ihr Blick weich. "Es war ... unerwartet." Kurz geriet ihre Stimme ins Straucheln, fing sich jedoch wieder. "Zuerst wollte ich rausrennen, als du das erste Mal ..."
Wieder stockte sie. Natürlich sie schaffte es mal wieder nicht das für sie Unangenehme in Worte zu fassen.
Ich tat ihr nicht den Gefallen, dies für sie zu übernehmen. Vor allem nicht, wenn alles in mir schrie, sie endlich zu packen und an den Haaren runterzuziehen. Immer noch vollgepumpt mit Dopamin, würde ich da unten ein zweites Massaker an ihr anrichten. Vernunft und selbst der Teil, der Zuneigung für sie empfand, wurden verdrängt von dem Trieb, weiterzumachen.
Ich wollte weiter machen.
"Aber ich bin geblieben." Sie zog das geblümte Kleid am Saum hinab. Als ob dies auch nur einen Millimeter mehr von ihren nackten Oberschenkeln, ihrer Haut bedeckte. Wie würde sie schreien, wenn ich dieses Mal tiefer schnitt als beim letzten Mal. Damals war es nur ein Spiel gewesen. Dieses Mal könnte ich die Klingel bis auf ihre Knochen durchdrücken. So tief bis richtiger Schmerz ihr Keuchen durchsetzte. Mein Herz hämmerte aufgeregt bei dem Gedanken. Und was würde es schon ausmachen. Das Leben war kurz. Der Himmel und die Hölle nicht existent.
Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.
Verwirrt blinzelte ich. Ein Lächeln?
"Ich weiß, was du denkst", sagte sie leise.
Einen Scheiß wusste sie. Sonst würde sie rennen.
Fast lautlos tat sie zwei Schritte auf mich zu. "Aber es stößt mich nicht ab."
Was ...
Ein weiterer Schritt auf mich zu. "Du stößt mich nicht ab. Auch jetzt nicht."
Sie blieb vor mir stehen.
Meine Brust bebte.
Ihre Augen suchten meine. "Vielleicht ...", hauchte sie. "... gefällt es mir."
Wie ein Donnerschlag durchfuhren ihre Worte mich, brachen die Dämme, die so mühevoll aufgebaut und immer wieder notdürftig geflickt worden waren. Vielleicht waren sie dennoch über die Jahre marode geworden. Ich konnte den Drang, das wild umherwuchernde Monster in mir nicht mehr bändigen.
Grob packte ich ihr Haar, zog sie nach hinten und dirigierte sie vor mir her.
Rückwärts tippelte sie auf Zehenspitzen und versuchte Schritt zu halten.
"Tut es das?" Meine Stimme war ein dunkles Grollen, das die Küche erfüllte. "Gefällt dir das?"
Ein Japsen nach Luft kam aus ihrem Mund, bevor sie meinem Ziehen folgend gegen die Kühlschranktür stieß.
"Ich ..." Es war ein süßes Säuseln. Auch ihre Augen hafteten noch immer wie vernarrt an mir. Genau deshalb wollte ich die Worte, die folgten, nicht hören.
Meine Finger lösten sich aus ihrem seidenen Haar. Wie ich sie in diesem Moment hasste. Rein und engelsgleich sah sie aus, während ihre großen Jadeaugen mich anblickten. Ich dagegen glich einem Schlächter, getränkt in Blut.
Kurzerhand packte ich ihre Handgelenke und knallte sie gegen die Küchentür.
Ein kurzes Wimmern kam über ihre Lippen. Endlich.
"Dir gefällt, was du gesehen hast?" Blanke Wut loderte in mir auf. "Willst du das ich das auch mit dir anstelle?"
Sie musste endlich verstehen, worauf sie sich einließ. Und wenn ich es ihr tatsächlich in ihren Schädel prügeln oder in ihre Haut einritzen musste.
Es folgte ein leichtes Kopfschütteln. Doch in ihren Augen erkannte ich immer noch das Dunkle. Es war wie bei unserem ersten Treffen in der Praxis, nur dass ich es damals nicht komplett begreifen konnte. Aber es war nicht mehr von Bedeutung. Sie musste begreifen, dass das hier kein Spiel war.
"Nein", bellte ich, ließ ihre Handgelenke los und packte den Ausschnitt ihres Kleides.
Mit alles Kraft riss ich dieses auf. "Warum denn nicht? Ich dachte, dir gefällt, was du siehst?" Ich wusste nicht, wohin mit meiner Kraft, dieser beschissenen umtriebigen Energie in mir. Das Kleid schien mir ein erstes gutes Ventil zu sein.
Der florale, helle Stoffe hing in Fetzen runter, entblößte ihre Brüste. Blutige Spuren bedeckten nun beides. Das Kleid und ihre Haut. Den Ansatz ihrer Titten.
Ich spürte das Pochen meines Schwanzes.
Fuck.
"Milan, so meinte ich das nicht. Ich ..."
Aber ich wollte nichts hören. Meine beiden Hände griffen um ihren Hals. Diesen wunderschönen, zierlichen, schwanengleichen Hals.
Noch während ich zudrückte, raunte ich: "Nicht? Was meintest du denn, meine Liebe?"
"Ich ... ich ..." Ihr Stammeln lag nicht daran, dass meine Finger auf ihrer Kehle lagen. Dafür war der Druck nicht stark genug. Noch nicht.
Es kotzte mich an, dass sie es nicht aussprechen konnte. Langsam schnürten sich meine Finger enger um ihren Hals.
"Ich will bei dir sein", röchelte sie.
Das reichte nicht. Wie ferngesteuert drückte ich stärker auf ihren Kehlkopf.
Ihre Hände griffen nach meinen.
"Ich ... Milan." Sie legte den Kopf in den Nacken, um nach Luft zu schnappen. "Bitte hör auf."
Ein bestätigendes Lachen entfuhr mir und ich ließ die Hände sinken. Es hatte nicht viel gebraucht, sie an ihre Grenze zu treiben.
Mit einer Hand packte ich ihr Gesicht, grub meine Fingerspitzen in ihre Wangen und zog sie zu mir. "Verpiss dich, Ayla."
In ihren Augen loderte es.
Doch ich duldete keine Widerworte. Wortlos wich ich zurück.
Sie sah schlimm aus. Das zerrissene Kleid, das Blut, die Striemen an ihrem Hals.
Falls sie zur Polizei lief, hätte sie dieses Mal einen Haufen Beweise. Doch ich ertrug ihre Gegenwart einfach nicht mehr. Es tobte in mir. Der angenehm betäubende Nebel hatte sich gelichtet. Stattdessen blieb nur Raserei.
Aylas Augen ließ meine nicht los, als sie langsamen Schrittes an mir vorbeiging. Hätte ich nicht gewusst, dass ich das Ungeheuer in diesem Raum bin, hätte ihr immer noch besessen dreinschauender Blick auch das Gegenteil vermuten lassen können.
Im Türrahmen hielt sie inne. Sie blickte an ihrem Kleid hinab.
Ja, sollte sie sich den Anblick ruhig einprägen und freuen, dass es nicht ihr Blut war und nur Stoff anstelle von Haut von ihrem Torso hing.
Seelenruhig nestelten ihre schmalen Finger an dem Kleid.
Konnte sie nicht endlich abhauen?
Sie zog und zerrte. Was sollte der Mist? Ihr scheiß Mantel hing doch im Flur. Den konnte sie einfach überwerfen und ...
Da fiel der helle Stoff zu Boden.
Splitterfasernackt stand sie im Türrahmen und blickte dem Kleid hinterher, wobei nicht ganz. Lediglich ein dünner, weißer Seidenslip verhüllte ihre intimste Stelle. Doch es war ein Hauch von Nichts. Wie mein Geduldsfaden ...
Gerade wollte ich die Stimme erheben, als sie den Blick wieder hob.
Erneut umspielte ein Lächeln ihre rosigen Lippen. Mit leuchtenden Augen betrachtete sie mich und schritt rückwärts hinaus. Aber nicht zur fucking Haustür, sondern zur Treppe, die nach oben führte.
Sie würde nicht ...
Doch leise wie immer lief sie die ersten Stufen empor, verschwand aus meinem Blickfeld. Ein helles, so flüchtiges Kichern ertönte, das ich kurz dachte, ich hätte es mir eingebildet. Aber es reichte, um ein weiteres Mal den Berserker in den Tiefen meiner Abgründe ausbrechen zu lassen.

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