Kapitel 7

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Milan


Wollte ich da wirklich reingehen?
Seit zehn Minuten saß ich in meinem Auto und starrte den Eingangsbereich des Velvets an. Unverhofft hatte ich eine Parklücke direkt vor der Bar erwischt. Manch einer würde wohl denken, dass dies ein Zeichen von oben war. Doch ich glaubte nicht an so einen Quatsch. Woran ich allerdings glaubte, war, dass es eine beschissene Idee war, mich mit einer Patientin zu treffen. Obendrein noch mit einer, die mir ein wenig zu fixiert auf mich war. Nachher würde sie nicht nur meinen Schwanz, sondern auch den Rattenschwanz an Leichen hinter mir auspacken.
Ich blinzelte zum Handschuhfach. Ein Fläschchen Chloroform war in diesem verborgen. Ich hatte nicht vor, sie zu entführen. Die Spur wäre zu offensichtlich. Allerdings hatte ich auch nicht vorgehabt, mich heute auf dieses Treffen einzulassen. Also wer weiß, was der Abend brachte ...
Leider war Ayla auch schon in der Bar angekommen. Eingehüllt in einen langen Mantel, der ihre zierliche Statur verbarg, wäre sie beinahe unbemerkt an meinem Auto vorbeigerauscht. Doch ich hatte sie sofort erkannt. Das lange Haar, das bis zu ihrer Taille fiel, und der Gang. Verdammt, auch der hatte sich schon bei mir eingeprägt.
Mit einem Seufzen stieß ich die Tür auf. Die Straße war wie leergefegt. Zügigen Schrittes ging ich voran und betrat die Bar. Das Licht war gedimmt und ich musterte das teure Interieur. Lederne Sitzbänke, eine ellenlange Bar und ausgefallene Designerlampen. Ein undefinierbarer Remix füllte in gedämmter Lautstärke den Raum. Eigentlich fand ich solche Möchtegern-High-Society-Läden zum Kotzen, aber es hatte einen Grund, weshalb ich diesen Ort gewählt hatte. Niemand, den ich kannte, frequentierte hier.
Ich brauchte nicht lange zu suchen. Sie sprang mir sofort ins Auge.
Ayla saß in einer der ausladenden Sitzecken.
Noch könnte ich umdrehen, ins Auto steigen und auf Nimmerwiedersehen davonbrausen. Als Patientin würde ich sie einfach einem Kollegen in der Gemeinschaftspraxis aufdrücken.
In dem Moment hob Ayla ihre Hand und winkte mir zu. Zu spät.
Angespannt lief ich zu ihr rüber.
"Hallo Herr Doktor Degard." Sie war aufgesprungen und ihre Stimme flatterte aufgeregt.
"Milan", raunte ich ihr zu. Es gab keinen Grund sich zu siezen und Doktorspiele waren definitiv kein Kink von mir.
Mit einem Lächeln hielt sie mir die Hand hin. "Ayla."
Ich drückte sie sacht. In meiner wirkte ihre Hand so zerbrechlich. Ayla war ein gutes Stück kleiner als ich und wog bestimmt nicht mehr als eine Feder. Metaphorisch natürlich. Eine dunkle Eingebung streifte meine Gedanken. Sie hatte mir nichts entgegenzusetzen. Wahrscheinlich konnte ich mit meinen Händen ihren Oberarm umgreifen und diesen einfach durchbrechen.
Den Gedanken beiseiteschiebend ließ ich ihre Hand wieder los.
"Wollen wir uns setzen? Ich hoffe, der Platz passt für dich." Sie ließ sich nieder und zupfte ihr Top zurecht. Ein glänzender Satinstoff, der dieselbe Farbe hatte wie ihre Augen. Das seidene Textil schmiegte sich um ihre grazile Silhouette. Zwei feingliedrige goldene Ketten lagen um ihren Hals. Eine mit kleinen goldenen Tröpfchen, die sich eng um ihre Kehle schmiegte, und eine längere, die wie ein Y auf ihrem Dekolleté auflag. Der schimmernde goldene Faden verschwand einladend zwischen ihren Brüsten in ihrem Top. Einen BH schien sie nicht zu tragen. Nicht, dass sie ihn nötig hätte.
Ich sog scharf die Luft ein und kämpfte gegen die Vorstellung, was sich darunter verbarg.
"Eine sehr schicke Bar", sagte Ayla. "Die Cocktails klingen auch sehr ... ausgefallen."
"Was möchtest du trinken?"
Sie warf einen Blick in die Karte. "Ich glaube, ich nehme einen Espresso Martini. Und du?"
"Ballechin."
Fragend legte sie den Kopf schräg und entblößte ihren schmalen Hals.
"Ein Whisky", erklärte ich.
Sie lachte. "Aha, so einer bist du also."
Ich kniff die Augen zusammen. "So einer?"
"Teure Bars, Whisky, Steak und vielleicht noch eine Zigarre. So einer halt."
Sie könnte nicht falscher liegen. "Ich fürchte, dass tatsächlich nur das zweite zutrifft."
"Also kein versnobbter Egomane."
"Egomane könnte schon eher passen."
"Oha, also bist du dir selber wichtiger als andere."
Ich schmunzelte. "Sollte das nicht bei jedem so sein?"
"Bis zu einem bestimmten Grad ja. Aber für geliebte Menschen gestaltet sich das dann doch etwas anders."
Wir waren schnell beim Thema Liebe gelandet. Glücklicherweise kam in diesem Moment der Kellner und nahm unsere Bestellung auf.
Nachdem dieser abgerauscht war, wandte sich Ayla wieder mir zu. "Also, wenn du kein Golf spielst und im Winter nicht Skiurlaub in Sankt Moritz machst, was treibt dich dann in deiner Freizeit um?"
Knochen brechen und Fleisch zerschneiden. "Ich jogge gerne."
"So wie dein Körper aussieht, aber nicht nur, oder?" Ihre Finger langte nach meinem Arm und strichen über den Hemdstoff.
Ich packte ihre Hand, auch wenn mir ihre samtweiche Berührung gefiel. Im Gegensatz zu diesem oberflächlichen "Und was sind deine Hobbys"-Geplänkel.
"Wie lange leidest du schon an Hypochondrie?"
Die Frage ließ Aylas Augen großwerden. Auch wenn ich ihrer lieblichen Stimme wahrscheinlich ewig hätte zuhören können, hatte ich wenig Lust auf Smalltalk.
"So ihre Getränke." Der Kellner servierte Aylas kunstvollen Espresso Martini und meinen dagegen biederen ausschauenden Whisky auf dem hölzernen Tisch. Fix eilte er von dannen.
Ayla griff nach ihrem Getränk, stieß ihn kurz gegen meinen und nahm einen Schluck. "Meine Hypochondrie also ..." Das Thema schien ihr sauer aufzustoßen. Wenig überraschend.
Auch ich nahm einen Schluck. Das rauchige Aroma benetzte meine Kehle.
Ayla blickte mich ernst an. "Angst vor Krankheiten hatte ich schon immer." Das war in der Tat überraschend. Ich hätte gedacht, dass sie vor diesem Thema kuscht oder ihre Krankheit leugnet.
"So wirklich schlimm ist es erst geworden, als ich ausgezogen bin. Manchmal schaffe ich es auch mich zu beruhigen und zu überzeugen, dass meine Symptome kein Todesurteil sind." Sie lächelte gequält. "Nicht oft allerdings und dass Ärzte mich nicht ernst nehmen, hilft auch nicht weiter." Der Seitenblick zielte in meine Richtung.
"Ich nehme das sehr ernst", erwiderte ich. "Allerdings bin ich, mal abgesehen von wenig Zeit, wohl nicht der kompetente Ansprechpartner, um da weiterzuhelfen."
"Jaja, ich weiß, man sollte in Therapie."
"Man?"
Sie fixierte mich und ein Funken Wut glomm in ihr auf. Es beflügelte mein Herz. Ich nahm einen weiteren Schluck.
"Ich", zischte sie. "Ich sollte in Therapie. Das wolltest du doch hören, oder? Sind Sie vielleicht doch ein versteckter Therapeut, Herr Doktor Degard?"
Ein Stück entspannter lehnte ich mich zurück. "Definitiv nicht. Allgemeinmediziner reicht aus."
Ayla wandte sich mir zu und rückte auf der Sitzfläche ein Stück näher. Ich erkannte die leichte Gänsehaut, die sich auf ihrer Haut bildete. Das kühle Leder schien sie zum Zittern zu bringen. Mein Schwanz reagierte prompt. So empfindsam. Wie sehr sie wohl zitterte, wenn ich sie hinaus in die nächste Gasse ziehen und gegen eine Wand ficken würde.
"Warum Allgemeinmediziner?", hauchte sie. "Für Chirurg nicht gereicht?"
"Sehr frech, Frau Sapor", nuschelte ich in mein Glas. So wie ich mit der Hypochondrie hatte sie meinen wunden Punkt getroffen. Einen meiner wunden Punkte.
Wie sie beschloss ich bei der Wahrheit zu bleiben. "Tatsächlich war es mein Plan Chirurg zu werden. Kardiologe, um genau zu sein."
Mit ehrlichem Interesse betrachtete sie mich. "Was hat den Plan geändert?"
"Fehlendes Fingerspitzengefühl." Ich erwiderte ihren durchdringenden Blick und hielt diesen fest. Es war die halbe Wahrheit. In der Tat hatte mir das nötige Geschick gefehlt. Meine Hände hatten versagt. Doch es war nicht, dass ich körperlich eingeschränkt war. Es war die Psyche. Wer auch immer meinte, der Körper sei ein Gefängnis für die Seele, war ein größenwahnsinniger Narr. Die Seele zwang den Körper in die Knie. Jedes Mal.
"Also, ich finde, du hast sehr viel Fingerspitzengefühl." Mit einem fachmännischen Nicken kippte sie den Rest ihres Cocktails in sich hinein, bevor sie sich wieder mir entgegen an das lederne Polster lehnte.
Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.
"Beim Abtasten hat es sich sehr geschickt angefühlt." In Aylas Augen blitzte es.
"Musstest du mich nicht führen?", gab ich zurück.
"Ein wenig anstoßen vielleicht", wisperte sie. Doch so nah wie sie mir war, hatte ich keine Probleme sie zu verstehen. "Aber als Frau kennt man seinen Körper am besten und gibt gerne Anweisungen."
"Gibst du gerne Anweisungen?"
Aylas spitzte ihre Lippen. Für einen Moment meinte ich einen Anflug von Nervosität in ihren Augen zu erkennen. Ich konnte ein Grinsen nicht verbergen. Bingo, sie war nicht diejenige, die im Bett den Takt angeben würde.
"Nicht unbedingt", bestätigte sie meine Vermutung.
Mein Kiefer knackte. Verdammt, sie würde sich so perfekt in den Laken unter mir machen. Doch ein Hauch von Zweifel blieb.
Auch drei Getränke und doppeldeutiges Geplänkel später, verschwanden dieser nicht gänzlich. Es war mir nicht möglich, mich fallen zu lassen. Zu viel stand auf dem Spiel. Dabei sah sie hinreißend aus. Ihre Wangen waren mittlerweile leicht gerötet und immer wieder blitzte der Ansatz ihrer Brüste aus dem seidenen Top heraus. Dieses verdammte Top, das ich ihr so gerne runterreißen würde, um ihre süßen Nippel, die sich bei jedem Kälteschauer abzeichneten, in den Mund zunehmen.
Ich trank einen weiteren Schluck Whisky. Ein leichtes Brennen zog durch meinen Hals. Begleitet von einer süßlichen Note nach Karamell und Früchten. So stellte ich mir vor, würde auch Ayla schmecken. Süßlich und doch etwas verrucht. Ich hätte nicht Lust sie zu packen, an ihrem seidenen Haar nach hinten zu ziehen und zu schauen, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag.
"Um noch einmal zum Abtasten zu kommen", setzte sie kokett an und stellte ihren Whiskey Sour ab, nachdem sie einen Schluck von meinem Whisky angewidert runtergeschluckt und sich für die Light-Variante in Form eines Cocktails entschieden hatte. Bei dem Versuch, ihr den überaus relevanten Unterschied zwischen Whisky und Whiskey zu erklären, war sie in Lachen ausgebrochen und hatte den Kopf über diese "Wortklauberei" geschüttelt. Ohne Worte.
"Also, ich wollte es noch einmal sagen", insistierte Ayla. "Du hast das klasse gemacht und sehr gutes Fingerspitzengefühl bewiesen. Ich habe es sehr genossen."
Ich konnte ein Lächeln nicht verbergen. "Das war eine Untersuchung. Die soll man nicht genießen."
"Ja, wirklich schade. Ich fand es sehr schön und hätte nichts dagegen ..." Sie hielt inne und presste die Lippen aufeinander. Auch wenn der Alkohol bei ihr ebenfalls die Zunge gelockert hatte, schien sie diesen einen Part, der ab und an dunkel in ihrem Blick aufblitzte, gut im Griff zu haben.
Ich konnte jedoch nicht anders und musste sie reizen, so wie sie mich reizte. "Wo gegen hättest du nichts?"
Sie ballte ihre Fäuste, hielt jedoch meinem Blick stand. "Ich hätte nichts ... gegen eine Wiederholung."
So dicht wie sie mir war, konnte ich den weichen Duft von Jasmin wahrnehmen, der sie umgab.
Ich lehnte mich ihr ein weiteres Stück entgegen.
Aylas Atmung beschleunigte.
"Wünschst du dir das?", raunte ich.
Ihre funkelnden grünen Augen hingen an meinen Lippen.
"Wünschst du dir, dass ich dich noch einmal anfasse?"
Wie hypnotisiert nickte sie.
Ein leiser Zweifel zog sich durch meine Gedanken, dabei hatte sie mich während des Abends schon mehrmals berührt. Flüchtig am Arm, ein kurzes Streichen über meinen Oberschenkel.
Außerdem flüsterte es in meinem Kopf, verschmähte man nicht, was sich so willig darbot.
Ich hob meine Hand zu ihrem Hals. Es hätte auch eine unverfänglichere Stelle sein können. Doch keine reizte mich so wie diese. Träge ließ ich meine Fingerspitzen über die empfindsame Haut streichen. Ihr Kopf war leicht zur Seite geneigt, sodass ich ihren Puls spüren konnte, der mir aufgeregt entgegenpochte. Auch ihre Atmung ging schneller. Sanft ließ ich meine Finger um ihren Hals wandern. Ein Schauer bildete sich auf ihrer Haut, als ich leichten Druck ausübte und sie sanft zu mir zog.
Ihre jadegrünen Augen sahen mich so erwartungsvoll an, dass ich nicht anders konnte. Vielleicht war es der Alkohol, aber in diesem Moment war ich ihr genauso verfallen, wie sie mir. Ich spürte ihre Nervosität, Erregung, Verlangen ...
"Wünschen Sie noch etwas?" Der Kellner hatte ein zwanghaft freundliches Lächeln von sich gegeben. "Wir machen letzte Runde? Beziehungsweise eigentlich schließen wir gleich."
Aylas Wangen liefen rot an und ich ließ meine Hand sinken.
"Nein, ich würde zahlen", entgegnete ich kühl. Draußen war es stockfinster geworden und bis auf ein weiteres Paar sowie einem älteren Herrn am Tresen waren wir die letzten an der Bar. Die Zeit war schneller vergangen, als ich dachte. Kein gutes Zeichen.
"Zahlen Sie zusammen oder getrennt? Und mit Karte oder bar?"
Gerade wollte Ayla etwas sagen, doch ich schnitt ihr dazwischen. "Zusammen und bar. Und ich benötige eine Rechnung."
"Vielen Dank, aber das musst du nicht", sprach Ayla.
"Alles gut, passt schon."
"Vielen Dank! Ich müsste auch mal ..." Sie blickte sich verwirrt um. "Wo ist bitte die Toilette?"
Der Mitarbeiter wies ihr den Weg und sie eilte in Richtung WC. Auch der Kellner verschwand, um die Quittung zu holen.
Einen Moment hatte ich für mich. Einen Moment und eine alles entscheidende Frage. Was würde ich nun mit ihr machen?

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