Ginevra
Ich stehe am Rande der Gruppe, mein Glas in der Hand, und lächle mechanisch. Die Frauen um mich herum sprechen über Mode, Reisen und ihren Familien, doch ich kann mich kaum auf ihre Worte konzentrieren. Einige der Männer nicken mir höflich zu, wenn ihre Gespräche mit Enrico eine kurze Pause machen. Ich erwidere die Grüße und spiele weiterhin die Rolle der perfekten Ehefrau. Doch innerlich brodelt es in mir. »Entschuldigt mich einen Moment«, sage ich schließlich zu den Frauen und trete einen Schritt zurück. Ich brauche eine kurze Auszeit von dem Schauspiel. Als ich mich umsehe, entdecke ich eine Tür, die zu einem kleinen Balkon führt. Ich gehe hinaus, lasse die kühle Nachtluft auf mich wirken und atme tief durch.
Der Lärm der Gala dringt gedämpft nach draußen, und für einen Moment fühle ich mich erleichtert.
Nach ein paar Minuten kehre ich wieder in den Saal zurück und gehe zum Stehtisch. Ich stelle mein Glas auf den Tisch und lehne mich leicht dagegen, während ich das Geschehen um mich herum beobachte. Plötzlich bemerke ich, wie sich ein Mann neben mich stellt. Er wirkt selbstbewusst und hat eine gewisse Ausstrahlung, die mich sofort neugierig macht. »Guten Abend«, sagt er mit einem Lächeln, das aufrichtig und freundlich wirkt. »Ich hoffe, ich störe nicht.« »Nein, überhaupt nicht«, antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. »Es ist eine willkommene Ablenkung.«
»Hast du einen-« »Ich habe keinen Freund«, beende ich sein Satz und lächle. Plötzlich spüre ich wie jemand einen Arm um meine Taille schlingt und mich fest zu sich zieht. »Sie hat aber einen Ehemann, der vor dir steht, Stronzo«, zischt Enrico. Ich blicke zu ihm hoch und huste. »Was soll das?«, frage ich. »Sie ist deine Ehefrau?«, fragt der Fremde und schaut direkt zu Enrico. »Halt dich fern von ihr«, warnt Enrico ihn und stellt sich vor mich hin. Merda, was ist das schon wieder? »Beruhig dich, wir haben nur geredet«, schildere ich. »Halt dich da raus, Ginevra.«
»Ginevra also.. freut mich dich kennenzulernen«, murmelt der Fremde und grinst. Als Enrico ihm eine reinhauen will, halte ich seinen Arm fest. Es ist unnötig, was er hier abzieht.
»Wir gehen«, stellt er fest und zieht mich hinter sich. Ich winke ihm zu, nehme meine Tasche in die Hand und folgt Enrico. »Mach langsam«, brumme ich.
Im Auto herrscht eine angespannte Stille. Enrico sitzt neben mir am Steuer, seine Miene verschlossen und starr nach vorne gerichtet. Ich sehe aus dem Fenster und versuche, die Ereignisse des Abends zu verarbeiten. Der Motor brummt leise, und die Lichter der Stadt ziehen an uns vorbei. »Warum hast du mich so abrupt weggezogen«, frage ich. Enrico wirft mir einen kurzen, scharfen Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert. »Er ist gefährlich«, meint er. »Für dich ist jeder gefährlich.«
»Ich habe noch was zu tun. Dich lasse ich zu Hause ab«, wechselt er das Thema. Ich antworte ihm nicht. Stattdessen drehe ich mein Kopf nach rechts und schließe die Augen.—
Er lässt mich vor der Haustür ab und fährt dann weiter. Sofort gehe ich zu einen der Wachmänner und befehle nach ein Autoschlüssel. Nach gefühlten Minuten gibt er mir einen und ich steige ein. Sofort gebe ich gas und folge Enrico.
Wir haben aber viel Abstand, was ich auch besser finde, weil er es sonst checkt. »Wohin willst du?«, flüstere ich vor mich hin. Meine Augen kleben am Rücklicht seines Autos, während ich ihm folge.
Nach einer Zeit biegt er er in einen großen Parkplatz ein. Ich halte etwas entfernt und sehe, wie er aussteigt und sich in Richtung eines nahegelegenen Parks bewegt. Überall sind Menschen, es gibt Stände und es herrscht eine fröhliche Atmosphäre.
Ich parke mein Auto und steige ebenfalls aus, bemüht, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Er geht zügig, scheint ein Ziel vor Augen zu haben. Dann bleibt er stehen und stellt sich neben eine Frau.Ich nähere mich langsam und versuche, im Trubel nicht aufzufallen. Als die Frau sich umdreht, erkenne ich sie sofort. Es ist Aria.
Wie ferngesteuert laufe ich auf die beiden zu, bis ich so nah bin, dass ich ihre Stimmen hören kann. »Ich habe damals einen Fehler gemacht. Ich wollte dich nie verlassen. Es war ein schrecklicher Irrtum«, schildert Aria. »Was erwartest du, dass ich tue? Du bist mir fremdgegangen«, entgegnet Enrico. »Ich weiß, aber es tut mir auch so leid.« Sie kommt ihm näher und verschränkt ihre Hände in seine. »Wir können einen Neu-Anfang machen..«, schlägt sie vor. Enrico schaut direkt in ihre Augen und sieht nachdenklich aus. »Ein Teil von mir hat immer gehofft, dass du zurückkommst«, sagt er. Ich räuspere mich und trete noch einen Schritt näher, sodass sie meine Anwesenheit bemerken müssen. Beide drehen sich erschrocken um und starren mich an. »Wow«, sage ich und applaudiere. »Ihr beide seid der Hammer. Zwei verlorene Seelen, haben sich wieder gefunden«, füge ich hinzu. »Ginevra, was machst du hier?«, brummt Enrico und tritt vor. Er will mein Oberarm berühren, doch ich entferne mich von ihm. »Halt dich fern! Ich will nichts mehr von dir.«
Ich drehe mich um und laufe zurück. Das alles wird mir langsam zu viel. Als ich die Autotür öffne, spüre ich Enrico hinter mir, weshalb ich mich umdrehe. »Bitte, geh. Geh zu ihr zurück«, sage ich. »Was?« »Du liebst sie doch, oder nicht? Sie ist zurück, deine Geliebte ist zurück. Was willst du mehr?«
Er sieht sprachlos aus. »Ich will nicht mehr diskutieren, verstehst du? Ich habe keine Kraft mehr. Vielleicht ist die Beziehung zwischen uns nicht echt, aber das heißt nicht, dass es mich nicht verletzt. Deswegen sollten wir die Sache komplett beenden. Besser für uns zwei.« »Ginevra-« »Nein, Enrico. Solche Lügen ertrage ich nicht.«
Ich steige ein, knalle die Tür zu und starte den Motor.
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La mia altra metà
Romance𝐆𝐢𝐧𝐞𝐯𝐫𝐚 𝐀𝐧𝐚𝐬𝐭𝐚𝐳𝐣𝐚 𝐕𝐞𝐧𝐭𝐮𝐫𝐢 ist die Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmannes. Nach der Trennung ihrer Eltern lebt sie mit ihrer Mutter in Polen und führt dort ihr eigenes Leben. Doch als ihre Mutter unerwartet an einer Krankhe...