ºDes anderen Segen, ist des einens Fluchº

394 20 21
                                    

FARAHS POV:

Ich kam gerade von der Schule nach Hause.

„WIR WAREN LETZTES JAHR IN TUNIS!" schrie meine Mutter meinen Vater an.

„MIR EGAL, ICH BRING DAS GELD NACH HAUSE, ICH ENTSCHEIDE!" schrie mein Vater.

Tunis oder Nador.
Jedes Jahr die gleiche Frage.
Seit drei Jahren stritten sie sich jeden Sommer darum.
Ich hatte gelernt,
bei solchen Diskussionen den Mund zu halten.
Am Ende heißt es sonst wieder:
„Du hast sie manipuliert."
„Nein, ich hab sie nur großgezogen, weil du ja nicht da warst."
Bla bla.
Jedes Jahr die gleiche Scheiße.

Ich zog gerade meine Schuhe aus.

„FARAH, TAHLI!" schrie mein Vater direkt.

„Möchtest du nach Tunis oder Nador?" fragte er mich.

„Mir egal," sagte ich und wollte in mein Zimmer verschwinden.

„Dein Vater redet noch mit dir," sagte meine Mutter. Ich blieb stehen und hörte ihrem Geschrei weiter zu. Irgendwann kam Huda.

„Baba, kannst du mir dein Handy entsperren ," fragte die 10Jährige.

„REICHT MIT DEM HANDY! YALLAH, GEH KORAN ÜBEN! FARAH, WAS SITZT DU DORT RUM? YALLAH!" schrie mein Vater mich an. Also begab ich mich mit Huda ins Zimmer. Ich gab ihr mein Handy, damit sie Roblox spielen konnte, während ich meine Hausaufgaben machte.

„Farah, möchtest du eigentlich nach Tunis oder Maghreb?" fragte meine kleine Schwester mich, während sie weiter ihr Spiel spielte.

„Mir ist das egal," sagte ich.

„Ich würde gerne nach Maghreb wieder gehen," sagte Farah.

„Darf ich auf TikTok?" fragte sie mich dann.

„Nur für 15 Minuten," sagte ich und sie nickte. Ich begann meine Matheaufgaben zu machen.

„Welcher Schwanz will am Montag vor den Sommerferien bitte eine Klausur schreiben?" fluchte ich vor mich hin.
Ich wünschte einfach, die Sommerferien könnten jetzt beginnen.

Einfach jetzt.
Jetzt den Azan (Gebetsruf der Moschee) hören.
Jetzt über den Bazar schlendern.
Jetzt frisches Harissa mit M'smen essen.
Jetzt einfach weg von hier.
Weg von meinen Eltern und ab zu meinen Tanten,
die über alles und jeden lästerten
und mich heimlich für ihre Söhne wollten.

SAFRAOUIS POV:

„Wir können uns Meknes dieses Jahr nicht leisten," teilte mein Vater meiner Familie mit.
Genau wie letztes Jahr.
Ein weiteres Jahr konnten wir nicht nach Marokko.

„Alash? (Warum?)" fragte ich.

„Wir müssen eine Nachzahlung von 2.500 Euro an den Wasserversorger zahlen," sagte meine Mutter.

Ich hatte genug Geld vom Tijara.

„Ich hab vom Minijob genug Geld," sagte ich.

„Habibi, das reicht nicht," sagte meine Mutter.

„Wie viel brauchen wir denn?" fragte meine ältere Schwester.

„Das ist egal, inshallah nächstes Jahr," teilte mein Vater uns mit.
Ein weiteres Jahr wieder hier sein.
Ein weiteres Jahr im Block statt in der Heimat.
Ich aß weiter und teilte meiner Mutter mit, dass ich danach rausging.
Ich bewegte mich aus dem Haus.

Was muss ich machen,
damit meine Familie endlich den Traum aller reichen Hurensöhne leben darf?
Was muss ich machen,
dass meine Schwestern sich nicht zu dritt ein Zimmer teilen müssen?
Murrok, was muss ich machen?

Die eine wird Bonze, der andere bleibt Block.//Safraoui FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt