Kapitel 46

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Immer häufiger fasste sich Alec mit der Hand gegen die Brust, versuchte den Schmerz zu unterdrücken, der so viel mehr in ihm anrichtete, als ihn nur für ein paar Augenblicke außer Gefecht zu setzen. Je mehr Schmerz er erfuhr, desto schlimmer musste Jace leiden. Alec hatte auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz genommen. Ich hatte es geschafft ihn zu überreden, zumindest ein Glas Wasser zu trinken, wenn er schon das Essen verweigerte, dass sich noch in Ragnors Schränken befand.

„Was ist, wenn er schon tot ist? Wenn Asmodeus gerade dabei ist, ihn umzubringen?", fragte er, seinen Blick gesenkt. Wie in Trance starrte er auf das Glas zwischen seinen Händen. Er hatte sich leicht nach vorne gebeugt, die Beine gespreizt, die Hände auf seinen Oberschenkeln abgestützt. Die schwarzen Haare hingen ihm ins Gesicht und verbargen seine Augen vor mir.

„Das wird er nicht tun.", erwiderte ich und ließ mich gegenüber von ihm auf dem niedrigen Wohnzimmertisch nieder. Alte Zeitschriften lagen darauf, Bücher, die nie gelesen wurden aber mittlerweile so verstaubt waren, als hätten sie schon Jahre; Jahrzehnte hier verbracht. Zwei Fernbedienungen lagen auf den Zeitschriften. Fernbedienungen die zu einem Fernsehen gehörten, der nicht mehr richtig funktionierte. Es gab kaum noch Menschen. Menschen, die ein Unternehmen hätten weiter führen können. Also gab es auch kein Fernsehprogramm mehr, keine Nachrichten. Alles was noch übrig geblieben war, war das monotone dunkle Rauschen, wenn man den Fernseher einschaltete. Zum Glück war der Strom noch vorhanden. Immerhin etwas.

Alec hob nach einer Weile endlich wieder seinen Kopf, blickte mich fragend an, seine Augenbrauen eng zusammengezogen. Das Leuchten in seinen Augen war beinahe ganz verschwunden und mit ihm auch die Hoffnung.

„Was bringt ihm Jace, wenn er tot ist? Er braucht ihn lebend um das Ritual durchzuführen und das Ritual kann er erst dann durchführen, wenn er auch mein Blut hat." Ich hielt einen Augenblick lang inne. „Er braucht frisches Blut. Jace lebt noch. Ganz sicher." Alec sog die Luft zischend in seine Lungen. „Trotzdem leidet er Höllenqualen."

„Jace ist stark.", war alles, was ich darauf erwiderte. „Das Engelsblut wird ihm dabei helfen, zu überleben. Es macht ihn stärker als jeden anderen Schattenjäger."

Mit einer kurzen Handbewegung deutete ich auf das halb gefüllte Glas in seinen Händen. „Bitte trink das Glas aus, Alexander.", forderte ich ihn auf. Für einen Augenblick funkelte er mich an. Dann seufzte er, setzte das Glas an seine Lippen und leerte es in einem Zug. „Du solltest auch etwas essen."

„Ich hab keinen Hunger."

„Das spielt keine Rolle. Du brauchst all die Kraft, die du aufbringen kannst. Du musst dich stärken."

„Ich sagte, ich habe keinen Hunger!", betonte er noch einmal. Eine Klangfarbe lag in seiner Stimme, die keine Widerrede zuließ.

„Wie du meinst.", erwiderte ich, beinahe ebenso wütend und erhob mich von dem Tisch. Bevor ich allerdings auch nur einen Schritt nach vorne tun konnte, war seine Hand um mein Handgelenk geschnellt und hielt mich zurück. „Tut mir Leid.", stammelte er und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich seufzte, erkannte die Angst, die in seinen Augen lag, die er jedoch unter keinen Umständen zulassen wollte. „Bitte setz dich wieder.", bat er und ich tat wie mir geheißen. Ich nickte und ließ mich schwer atmend zurück auf der Tischkante nieder, faltete meine Hände auf meinen Knien zusammen, meine Ellenbogen auf meinen Oberschenkeln abgestützt und mein Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Alec hatte sich zwischenzeitlich zurück in die Kissen gelehnt, hielt seine Augen für einen Augenblick geschlossen. Seine Brust hob und senkte sich ganz leicht unter seinen Atemzügen. Ich glaubte noch nie so glücklich und erleichtert gewesen zu sein, einen anderen Menschen, einen Schattenjäger sogar, am Leben zu sehen. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen was geschehen wäre, wenn er mir nicht in die Höllendimension gefolgt wäre. War ich am Anfang wütend auf ihn gewesen, wütend über seine Dummheit und Naivität, über seine Blindheit vor Liebe zu mir, konnte ich ihm jetzt gar nicht genug danken, dass er nicht hier geblieben war, wo man auch ihm womöglich schreckliches Leid zugefügt hätte. Gerade aus dem Grund weil er derjenige war, der mir am nächsten stand. Für seine Freilassung hätte ich alles getan, was wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass ich Asmodeus freiwillig mein Blut überlassen hätte, ohne nachzudenken; ohne einen weiteren Versuch die Welt zu retten. Was wäre eine Welt ohne Alec schon? Nichts. Rein gar Nichts, sie wäre es nicht Wert gewesen, in ihr zu leben.

When Worlds Collide | Magnus BaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt