65. Beängstigend

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Lillis Sicht

Das Letzte an was ich mich erinnern konnte, war, wie ich am Esstisch saß und Elizas Geschichten gelauscht hatte.
Nun befand ich mich in meinem Bett, mit dem Sauerstoffschlauch in meiner Nase... Vorsichtig schlug ich die Augen auf und versuchte mich aufzusetzen, was nur halb so gut funktionierte wie erhofft. Denn ich bewegte mich nur ein paar Zentimeter nach oben.

"Oh hey, warte, ich helfe dir!" Arizona kam in mein Sichtfeld, hob vorsichtig meinen Kopf an und schob eins der zahlreichen Kissen darunter.

Ich brauchte einen Moment um zu realisieren, was geschehen war. Allem Anschein nach musste ich ohnmächtig geworden sein. Meine Lunge hatte es nicht geschafft, mein Blut mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen, während ich einfach nur still am Tisch gesessen hatte.
Eine Welle aus Verzweiflung, Wut und Frust rollte wie eine Dampflock über mich und hinterließ ein dickes Gewicht auf meiner Brust.
Es konnte doch nicht sein, dass mein Zustand sich in so kurzer Zeit so sehr verschlechterte. Das war nicht fair..Schließlich würde es noch dauern, bis Air und Olivia mich verwandeln würden..und in so einem Zustand würde sich das Warten auf mein neues Leben wie eine qualvolle Ewigkeit anfühlen. Schließlich war ich schon jetzt nervlich am Ende...

Erst jetzt bemerkte ich, wie mir Krokodils große Tränen über die Wange liefen. Mein Zustand war nicht nur erschreckend, sondern hat mich auch auf ganzer Linie vor unseren Gästen blamiert, wie mir schmerzlichst bewusst wurde.
Ich hatte mich durch die PEG so viel besser gefühlt und angenommen, dass sich mein Zustand besserte oder zumindest unverändert blieb, doch es war alles nur Scharade gewesen. Ich war nach nichtmal 15 Minuten umgekippt und ich hatte nichtmals die Anzeichen des Sauerstoffmangels bemerkt.

Arizona war es, die mich aus meinen quälenden Gedanken holte, als sie mir die Tränen weg wischte. "Och Schatz, das ist aber kein Grund zu weinen!" Ihr Gesicht wurde weich. Ich nickte und verzog das Gesicht: "Doch!" Jammerte ich. "Ach Quatsch, warum denn, deine Sauerstoffsättigung ist wieder über 90%, das ist für deine Verhältnisse ganz gut!"
Ich schluchzte als Antwort nur und drehte den Kopf weg.
-Toll, das brachte mir jetzt auch nichts, dass meine Sauerstoffsättigung wieder gut war, während ich bewegungslos und mit Atemunterstützung im Bett lag.

Die junge Blonde, stand von meinem Schreibtischstuhl auf, ging um mein Doppelbett herum und legte sich auf die andere Seite und breitete die Arme aus. Sie lächelte einladend, so dass ich mich dazu entschied, ihr Angebot anzunehmen und mich trotzig in ihre offenen Arme zu kuscheln.

Sie gab mir einen Kuss auf den Kopf und klang mitleidig, als sie versuchte, mich zu beschwichtigen: "Ich kann mir vorstellen, dass das beängstigend sein muss! Das war es für Olivia und mich auch! Wir haben das auch nicht erwartet! Aber das ist gar nicht schlimm, du weiß ja, wir verwandeln dich so oder so, egal ob nächste Woche oder nächstes Jahr! Also mach dir keine Sorgen!"

„Es frustriert mich! Ich will einfach nur wieder normal sein! So wie alle anderen auch! Außerdem hab ich mich total vor unseren Gästen blamiert!" Murmelte ich, immer noch in ihren Armen, nachdem ich mich beruhigt hatte.
Ich konnte sie nicht nur lachen hören sondern auch spüren als sie sagt: "Glaub mir Eliza hat mich schon in viel schlimmeren Situationen erlebt! Das von dir heute interessiert die gar nicht!"

Ich hörte, wie die Tür aufging, weswegen ich mich von Arizona löste um zu schauen, wer es war. Auch wenn ich es mir eigentlich denken konnte. Wenige Momente später bestätigte sich meine Annahme und Olivia stand im Raum.
Leise sprach sie: "Hey, wie geht es dir, Liebes?" Sie kam näher und setzte sich auf die Bettkante.

"Besser, oder Lilli?" Antworte Arizona für mich und ich nickte beklommen. 
Olivias Gesichtszüge wurden weicher, als sie meinen Oberarm tätschelte und erklärte: "Natürlich ist es erschreckend, aber es ist ja nochmal gut gegangen! Also mach dir keine Sorgen, Air und ich sind immer in Rufweite, es kann gar nichts passieren!" Ich nickte, während ich versuchte, ein erneut aufkommendes Schlurzen zu unterdrücken. "Ist der Schock, oder?" Fragte die Rothaarige mitleidig. Manchmal wusste Olivia besser darüber Bescheid, was in mir vorging als ich selbst. Erneutes nicken meinerseits folgte, denn ihre Aussage ergab Sinn für mich.

"Zeig mal deinen Blutsauerstoff!" Fragte sie sanft und ergriff meine Hand, an dem sich ein kleines Gerät an meinem Zeigefinger befand.
Sie betrachtete es einen Moment, während Arizona das Wort ergriff: "Alles ganz normal. Keine Sorge, Schatz!" Olivia nickte zustimmend: „Sie hat recht, alles okay! Du kannst dich also wieder entspannen, Lilli!," Sie tätschelte meine Hand, bevor sie weiter sprach: „Aber jetzt schlaf erstmal!" Ich nickte betroffen, da ich wirklich geschwächt war und meine Augenlieder von Minute zu Minute schwerer wurden.

Nachdem sie gegangen waren, brauchte es keine zwei Minuten, da war ich bereits im Land der Träume.
Der Ort an dem ich mich im Moment am liebsten befand, da dort alles möglich zu sein schien und ich nicht krank sein musste.
Meist träumte ich, dass ich gesund war und normale Dinge tat, wie Jungs küssen, mit Freunden essen zu gehen und lustige Dinge mit meinen Müttern zu unternehmen. Doch gab es auch andere Träume, in denen ich verfolgt wurde, keine Luft mehr bekam oder meinen verstorbenen leiblichen Eltern gegenüberstand. Welche definitiv die schlimmsten waren.
Dies passierte aber zum Glück nur selten, so dass ich mich nun in einem wunderschönen Café mit einem Gesichtslosen Jungen befand und Kuchen aß.

Kraftlos schlief ich bis zum Abend immer noch in dieser wunderschönen Illusion eines Cafés, als mich plötzlich unfassbare Bauchschmerzen aus meinem Traum heraus in die Realität beförderten.
Voller Schmerz stöhnte ich auf und drehte mich auf die Seite, während ich mir den Bauch hielt.

Keine Sekunde später klopfte es leise an der Tür. Angestrengt bat ich die Person herein.
Es war Arizona, die leise hinter sich die Tür schloss und mein Deckenlicht anknipste. Ich stöhnte erneut auf und schloss die Augen über die plötzliche Helligkeit.
„Alles gut?," Fragte Air besorgt. „Ich habe dich gehört!" „Ich habe Schmerzen!" Platze es direkt aus mir heraus, in der Hoffnung auf schnelle Linderung. „Wo und wie schlimm!" fragte sie komprimiert. „Bauch! Eine acht von zehn!" Fasste ich ebenso kurz zusammen, ohne dass sie weiter fragen musste, da ich diese Art der Selbsteinschätzung bereits kannte. „Okay! ich spritze dir was, dann wird es dir gleich besser gehen!" Arizona öffnete die Tür erneut und war so schnell wieder da wie sie weg gewesen war.

„Mach deinen Port frei!" Befahl sie geschäftsmäßig, während sie sich Handschuhe anzog und eine kleine Spritze nahm, die sie zuvor geholt und auf mein Nachttisch gelegt hatte. Verzweifelt zog ich an dem Kragen des Pullis, damit Arizona an das kleine Implantat unterhalb meinen Schlüsselband kam. „Vorsicht kalt" Erklärte sie automatisiert, während sie meine Haut desinfizierte. Dann ertastete sie den Port und fixierte ihn mit zwei Fingern, als sie mir mit der Nadel direkt in die Haut stach.

Es dauerte nur ein paar Sekunden bis die Schmerzen nachließen und ich mich wieder beruhigte. Arizona wischte mir währenddessen das Gesicht mit einem kalten Lappen ab. „Du bist ganz verschwitzt! Du musst wirklich Schmerzen gehabt haben!" Erklärte sie leicht irritiert.
Noch ganz benommen schaffte ich es nicht darauf zu antworten. Bei mir drehte sich alles und meine Muskeln fühlten sich komisch, nachdem ich mich minutenlang vor Schmerzen gekrümmt hatte.

Arizona räumte in Ruhe die verbrauchten Utensilien weg, bevor sie anmerkte: „Dein Pulli ist vollkommen durchnässt! Den kannst du nicht anlassen!" „Okay!" Murmelte ich benommen am Rande meiner geistigen Fähigkeiten und ließ Arizona mich umziehen.
Nachdem dies erledigt war, maß sie noch meinen Blutdruck und klemmte mir erneut das Blutsauerstoffgerät an den Finger. Sie musterte meine Werte und sah zufrieden rein: „Alles soweit okay!" Sie räumte die Gerätschaften wieder beiseite und wollte schon gehen, da hielt ich sie am Arm fest.
Mittlerweile wieder etwas klarer geworden, fragte ich angestrengt: „Wer ist alles im Wohnzimmer, oder generell hier im Haus?" Sie drehte sich zu mir: „Olivia und Eliza sind ausgegangen und Luke ist bereits zu Bett gegangen, er leidet ziemlich unter Jetlag!" „Ich möchte gerne aufstehen und gehen!" Verkündete ich meinen Wunsch.

Das Leben ist zu kurz, um es zu hassen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt