Jetzt geht's los

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"Verdammt Lilli, du wirst doch deinen Koffer auch noch selbst hinter dir her ziehen können.", fluche ich und kämpfe mich durch die Haustür nach draußen, was gar nicht so einfach ist mit einer Tasche und meinem Koffer. Hinter mir höre ich meine kleine Schwester maulen, aber das ist mir gerade herzlich egal. Sie wird doch wohl ihr Zeug noch selber nach draußen bringen können, oder?

Vor dem Taxi steht meine Mutter und diskutiert mit dem Fahrer. Wir haben vier Koffer plus Handgepäck und all das muss irgendwie in den Kofferraum von dem Mercedes paasen.

"Oh Lisa, sehr gut, danke." Mama nimmt mir ihre Tasche ab und der Taxifahrer meinen Koffer, den er dann in den schon ziemlich vollen Kofferraum packt.

Ich mache mich nochmal auf den Weg nach innen und laufe durch jedes Zimmer um nachzuschauen, dass wir auch ganz sicher nichts vergessen haben, was ich in den zehn Kontrollgängen davor nicht gesehen habe. Ich habe ein komisches, unruhiges Gefühl im Magen bei dem Gedanken, dass ich nie wieder hier wohnen werde. Das Haus ist schon verkauft und es wird bald eine Familie einziehen.

Fast schon ehrfürchtig betrete ich die Stufen und zähle jede einzelne mit, bis ich nach oben zu meinem Zimmer gelange. Zweiundzwanzig. Vor meiner Zimmertür bleibe ich kurz stehen, bevor ich die Klinke runterdrücke. Innen erwartet mich nichts als Leere. Alles sieht so kahl aus, so fremd, aber trotzdem irgendwie vertraut.

Vor meinen Augen baut sich alles wieder auf, mein Bett steht wieder an seinem Platz und mein Schreibtisch am Fenster. Neben meinem Bett liegen Bücher und mein Kleiderschrank steht offen. Ich blinzle und sehe wieder nur die weißen Wände. Ich verlasse schnell den Raum, bevor ich noch irgendwie anfange zu heulen. Denn das habe ich in den letzten paar Tagen oft genug getan.

Heute Morgen habe ich Hannah und meinen ganzen Freundinnen Tschüss sagen müssen und ihnen versprochen, so bald wie möglich wieder zu kommen. Mir hat es fast die Kehle abgeschnürt und ich hab kein Wort mehr rausbekommen, als ich sie alle nochmal umarmt habe.

"Mädels, kommt ihr?", höre ich meine Mutter rufen und würde ich nicht auf diese ganzen leeren Wände starren, könnte man meinen, es wäre wie wenn sie uns zum Abendessen ruft. Ich werfe einen letzten Blick in die Zimmer von meinen Schwestern und atme nochmal tief durch, bevor ich die Haustür zuziehe. Okay, los geht's.

Anscheinend haben meine Mutter und der Taxifahrer alles verstauen können und ich quetsche mich auf die hinter Rückbank.

"Los geht's.", meint meine Mutter und versucht möglichst aufgeregt zu klingen, aber auch ihr fällt es schwer, alles hinter sich zu lassen, obwohl sie sich unglaublich auf England freut.

Die Fahrt zum Flughafen verläuft weitgehende schweigend, zumindest was Nelli, Lilli und mich betrifft. Auch für die beiden ist es nicht leicht, von hier wegzugehen.

Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Das letzte Mal war ich am Flughafen, als wir Brooklyn dorthin gebracht haben. Schon zwei Monate ist es her und in diesen zwei Monaten hat sich einfach so viel verändert. Ich habe mit ihm vor ein paar Wochen geskypet und ich wusste nicht genau, wie ich ihm sagen sollte, dass wir nach England ziehen werden.

"Brooklyn, wann fängt nach den Sommerferien die Schule nochmal an?", fragte ich ihn, während er gerade dabei war, seinen Koffer auszupacken, immerhin waren er und seine Familie erst am Abend davor von Los Angeles zurück gekommen.

Ich musste mich schon die ganze Zeit bemühen, nicht wie eine Dumme zu grinsen und auch nicht sofort mit der Nachricht rauszuplatzen. Ich hatte mir überlegt, wie er wohl darauf reagieren würde und in meinem Bauch hatte ich dieses freudige, aufgeregte Kribbeln.

"Anfang September, ist aber von Schule zu Schule unterschiedlich. Warum fragst du?" Brooklyn zog ein T-Shirt aus dem Koffer, roch daran und warf es dann hinter sich, bevor er aufblickte und mich ansah. Naja, durch die Webcam eben.

Ich biss mir auf die Zunge und versuchte mein Pokerface beizubehalten. Was gar nicht so einfach war, am liebsten hätte ich wie ein Wasserfall drauf los gelabert.

Schulterzuckend antwortete ich: "Ach nur so..." und als Brooklyn sich gerade wieder abwenden wollte, schob ich noch ein "Immerhin habe ich dann einen Monat Zeit mich an alles zu gewöhnen." hinterher.

"Häh? Was?" Brooklyn sah aus, als hätte ich mit ihm Chinesisch gesprochen.

"Hm?" Ich tat so, als wäre nichts gewesen und schaute ich fragend an. Innerlich explodierte ich aber fast und ich konnte das Grinsen kaum noch verstecken.

"Was hast du da gerade gesagt?"

"Hm?"

"Was hast du da gerade gesagt?"

"Hm?"

Brooklyn holte tief Luft bevor er langsam wiederholte: "Was. Hast. Du. Da. Gerade. Gesagt?"

Ich beschloss, mein Spiel weiter zu spielen. "Hm?"

Er hielt mich entweder für schwerhörig oder er hatte mich durchschaut, jedenfalls fuhr er sich nur seufzend durchs Haar bevor er sich so nah an die Webcam ransetzte, dass ich problemlos die Sommersprossen auf seinem Gesicht hätte zählen können. Es fiel mir so schwer, nicht in Lachen auszubrechen.

"Was hast du gesagt, bevor du 'Hm?' gesagt hast.", versuchte er es.

"Hm?"

"LISA!"

"Ja?"

"Okay, was hast du vor den ganzen 'Hm's gesagt, nachdem ich dir gesagt hatte, wann die Schule wieder losgeht."

"Ach das meinst du...", zog ich es in die Länge und er verdrehte lachend die Augen.

"Lisa, wir sind da!" Diese Stimme gehört nicht zu Brooklyn, sondern zu meiner Schwester. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass wir inzwischen am Flughafen angekommen sind. Während Nelli einen dieser Gepäckwagen herschiebt, versuche ich noch ein letztes Mal soviel deutsche Luft wie möglich einzuatmen. Weil in England die Luft ja auch total anders ist.

Meine Mutter bezahlt den Taxifahrer und wir gehen durch die großen Drehtüren. Als Kind bin ich mal in so einer Steckengeblieben, weil ich nicht kapiert hatte, dass man irgendwann einfach rauskann. Seitdem habe ich immer in ungutes Gefühl da drin und versuche, so schnell wie möglich wieder rauszukommen. Was leichter gesagt als getan ist, wenn man einen Riesenkoffer hinter sich herzieht und zwei Schwestern jetzt schon lautstark um den Fensterplatz im Flugzeug streiten.

"Wir checken erstmal ein und dann können wir was essen gehen.", schlägt meine Mutter vor und wir begeben uns zu der ellenlangen Schlange am Schalter.

Zwei Stunden später sitzen wir am Gate. Brooklyn hat mir gerade geschrieben, dass er gleich morgen vorbeikommt, was mir den Abschiedsschmerz von Deutschland ein bisschen vermindert. Er hat sich echt gefreut, dass wir kommen, obwohl er es mir am Anfang ebenso wenig geglaubt hat wie Hannah, als ich es ihr erzählte. Gelangweilt blättere ich durch die Bravo von Nelli und scrolle durch Instagram und Twitter. Wenigstens WLAN gibt es hier.

Je näher der Zeiger zu vier Uhr kommt, desto aufgeregter werde ich. Klar, habe ich Angst. Immerhin werde ich dort an eine komplett neue Schule gehen, mein Englisch ist noch nicht perfekt, ich kenne dort niemanden außer Brooklyn und meiner Familie und ich werde auf einmal in der größten Stadt Europas leben. Meine Aufregung müsste also berechtigt sein.

Ich spiele an dem Armband rum, dass ich heute Morgen von meinen Freundinnen zum Abschied bekommen habe, während ich darauf warte, dass wir endlich boarden können.

Zehn Minuten später ist es endlich soweit und mit Wackelpuddingbeinen folge ich Mama und den Zwillingen durch den Gang ins Flugzeug. Wir werden von einer Stewardess mit Zahnpastalächeln begrüßt, aber alles an das ich gerade denken kann sind Brooklyn, London und nochmal Brooklyn.
Ich quetsche mich durch den engen Gang und bin froh darüber, dass ich wie beim letzen Mal, zwei Reihen vor meiner Familie sitze und diesmal hab ich sogar den Fensterplatz erwischt.

Die Stewardess erklärt uns die Sicherheitsregeln und der Pilot begrüßt uns, bevor das Flugzeug auf die Startbahn rollt.

Jetzt geht es los.

Head over Heels {Brooklyn Beckham}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt