3.Kopfarbeit

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Physik war sehr einschläfernd für Harry und obwohl er sich wirklich Mühe gab, dabei zu bleiben, huschten seine Gedanken immer wieder zu Zayn und Louis. Liam hatte schon recht gehabt; Louis sah nicht ganz ungefährlich aus. Zayn hatte er nicht wirklich zu Gesicht bekommen, denn schließlich waren die ganzen Plastikflaschen auf ihn niedergeprasselt und hatten ihm die Sicht versperrt, aber Harry konnte nicht abstreiten, dass er neugierig auf Zayns Aussehen war.

Schon immer hatte er es spannend gefunden, andere Leute zu beobachten und wenn sie dann auch noch außergewöhnlich aussahen, war das noch besser. Wieso Harry das so gerne tat, konnte er gar nicht sagen.

Die Physikstunde zog sich unheimlich in die Länge und als es endlich zum Schulschluss läutete, kam es Harry vor, als wäre er schon eine ganze Woche auf dieser Schule gewesen. Stöhnen und ächzend erhob sich die Klasse von ihren Stühlen und trottete aus dem Raum, hinaus auf den Flur, der bereits wieder von Schülern bevölkert war, denn es war Schulschlus.

"Da ist Zayn", wisperte Niall und deutete geradeaus, wo ein Junge mit dunklen Haaren und Sidecut an einer Säule lehnte. Das Haar fiel ihm in langen Strähnen in die Augen, wirkte unfrisiert aber ziemlich cool. Er trug eine Lederjacke, dunkle Handschuhe, bei denen die Fingerkuppen abgeschnitten waren und ebenfalls eine schwarze Hose mit schweren Stiefeln - genau wie Louis. Eine verratzte Stofftasche baumelte von seiner linken Schulter und er ließ den Blick über die schnatternden Schüler schweifen. Dabei machte er ein Gesicht, als würde ihn das alles unglaublich langweilen.

"Ja, er sieht wirklich ein bisschen unheimlich aus", gab Harry zu, der nun auch noch die Piercings in Zayns Ohren gesehen hatte. "Sag ich doch. Komm wir gehen auf die andere Flurseite, dann müssen wir nicht an ihm vorbei", schlug Niall vor und schob Liam und Harry rasch nach links. Harry schielte noch einmal zu Zayn hinüber, der nun nicht mehr allein dort stand, sondern in Gesellschaft von Louis war. Der kleinere, braunhaarige Punk hatte sich eine Stoffjacke übergezogen und setzte sich gerade die Kapuze auf, als Harry den Blick abwandte.

"Wo wohnst du denn?", erkundigte sich Liam, als sie den Schulhof betraten und ihnen einige Regentropfen entgegenwehten. "Orchard Brae Gardens", antwortete Harry. "Oh, dann können wir leider nicht zusammen nach Hause gehen, das ist so gar nicht meine Richtung", sagte Liam bedauernd und so verabschiedeten sich die Drei per Handschlag voneinander.

Missmutig sah Harry zum wolkenverhangenen Himmel hinauf und hoffte, dass es trocken blieb, bis er Zuhause angekommen war. Er wohnte erst seit einigen Tagen in Edinburgh aber bisher hatte es keinen Tag gegeben, an dem die Sonne geschienen hatte. Das Wetter hier war noch englischer, als es in Holmes Chapel gewesen war.

Harry seufzte und schlug den Weg nach Hause ein, der ihn an braunen Backsteingebäuden vorbeiführten, die mindestens genauso alt waren, wie seine neue Schule und von Efeu bewachsen wurden. Er beschleunigte seine Schritte, als er in der Ferne ein Donnergrollen hörte und er hatte kaum die Wohnung betreten, da fing es auch schon an wie aus Kübeln zu regnen.

"Puh, das war knapp...", murmelte er, hängte seine Jacke an den Hacken im Flur, kletterte dann über einige Kisten, die noch im Weg herumstanden und ging in die Küche, wo seine Mutter Anne ihn schon mit dem Essen erwartete: "Hey mein Schatz, und wie wars?", fragte sie und stellte ihm sofort einen Teller hin. "Gut. Ich hab zwei Jungs kennengelernt, mit denen ich glaube ich ganz gut zurechtkomme", erzählte Harry und fing an zu Essen. Anne wuchtete einen weiteren Karton auf einen Stuhl und begann das Geschirr darin in die Hängeschränke zu räumen. "Ob du es glaubst oder nicht, ich bin schon den ganzen Tag am Auspacken und es nimmt einfach kein Ende...", seufzte sie und stellte einige Tassen ineinander, damit sie besser in den Schrank passten.

"Wenn du Schulaufgaben machen musst, musst du das im Wohnzimmer machen. Robin will heute Abend den Schreibtisch in deinem Zimmer aufbauen." teilte sie ihm mit und er nickte nur. Sein Zimmer war noch alles andere als gemütlich. Eigentlich sah es genauso aus wie der Rest der Wohnung: das Bett und der Kleiderschrank waren schon aufgebaut, ansonsten war noch alles in Kisten verpackt. "Ich mache die Schulaufgaben später, zuerst räume ich einige Kisten aus." teilte er seiner Mutter mit, die wenig begeistert die Augenbrauen hochzog, aber nichts sagte. Harry räumte sein Geschirr in die Spülmaschine und ging dann die Treppe hinauf in sein neues Zimmer.

Der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe und lief daran herunter. Es war so dunkel draußen, dass Harry das Licht anknipsen musste um überhaupt etwas sehen zu können. Er packte einige Kartons aus, räumte seinen Kleiderschrank ein und schaffte es sogar, ein Regal selbst aufzubauen, das er dann mit Büchern und allerlei Krempel belud.

Jetzt, wo er mindestens 5 Kartons weniger im Zimmer stehen hatte, holte er seine Schulsachen, setzte sich auf den Teppichboden und begann seine Schulaufgaben zu machen. Viel war es zum Glück nicht und so war er schon nach einer halben Stunde fertig. Noch immer regnete es Draußen und er lehnte sich ans Fensterbrett, um aus dem Fenster zu sehen.

Manchmal mochte er den Regen - es hatte etwas Mystisches, wenn man bei Regen auf die verlassenen Straßen blickte und die Häuser betrachtete, deren Umrisse ganz verschwommen wirkten. Harry zündete sich eine Kerze an, stellte sie ins Fenster, knipste das Licht aus und setzte sich aufs Fensterbrett.
Er vermisste sein Zuhause.

Irgendwie war in seinem Kopf der Gedanke noch nicht eingerastet, dass er nun hier leben sollte. Mit Sicherheit würde es auch noch eine ganze Weile dauern, bis er sich eingelebt hatte, aber mit Liams und Nialls Gesellschaft, würde ihm das hoffentlich schnell gelingen.

Harry beschloss seiner Mutter zu helfen, um sich abzulenken und so verbrachte er den restlichen Tag damit, Geschirr aus Kartons in Schränke zu räumen, Bücher und Spiele im Wohnzimmer unterzubringen und ihr neues Zuhause halbwegs wohnlich zu gestalten.

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